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Jubel bei über Wahlerfolg: Die neuen SPD-Spitzen Saskia Esken and Norbert Walter-Borjans
© AFP/John Macdougall

Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans: Wie vier junge GroKo-Kritiker dem SPD-Duo zum Sieg verhalfen

Sie wollten einen „Hype schaffen, der von unten kommt“: Vier junge Sozialdemokraten aus NRW waren entscheidend für den Erfolg der neuen SPD-Spitze.

Der Mann mit dem Hut strahlt. Es ist Freitagabend, kurz vor 22 Uhr, das Ende eines langen Tages. In der Vorhalle des SPD-Bundesparteitags haben sich zwei Dutzend Menschen an einem weißen Tresen versammelt. Gegen eine Spende von einem Euro gibt es frisch gezapftes Bier, der Erlös geht ans Willy-Brandt-Center in Jerusalem.

Neben der Bar steht Veith Lemmen im blauen Jackett und mit dunkelbraunem Stoffhut, seinem Markenzeichen. Er ist mit ein paar Mitstreitern hier. Die Stimmung ist blendend. Einige Stunden zuvor hat die SPD eine neue Doppelspitze gewählt: die Bundestagsabgeordnete Saskia Esken und den ehemaligen NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans. Es ist ein politischer Paukenschlag. Für Lemmen ist es ein ganz persönlicher Erfolg.

Der 36-Jährige, Ex-Chef der NRW-Jusos, war so etwas wie der Manager von Esken und Walter-Borjans. Wochenlang hat er für sie geschuftet, ist in aller Frühe aufgestanden, hat sich die Nächte um die Ohren geschlagen – alles ehrenamtlich, hauptberuflich ist er Prokurist. In seiner Freizeit hat er dem neuen SPD-Führungsduo zum Sieg verholfen, zusammen mit einer Handvoll junger Genossen.

Der Ex-Chef der NRW-Jusos, Veith Lemmen, kandidiert in der Kleinstadt Werther als Bürgermeister.
Der Ex-Chef der NRW-Jusos, Veith Lemmen, kandidiert in der Kleinstadt Werther als Bürgermeister.
© Pat Röhring

„Zeit und zuverlässige Leute“

„Wir sind eine hemdsärmelige Truppe“, sagt Lemmen über den kleinen Freundeskreis von GroKo-Kritikern, die verteilt in Bonn, Bielefeld und Gelsenkirchen leben. „Es freut uns, dass diese junge Truppe wie viele junge Mitglieder so viel Hoffnung in uns setzte und sich für uns so eingesetzt hat“, sagt die neue Parteichefin Esken.

Neben Lemmen hat sich vor allem dessen Lebensgefährtin Wiebke Esdar engagiert. Die 35 Jahre alte Bielefelderin sitzt seit 2017 im Bundestag, ist Mitglied des SPD-Vorstands. „Man braucht für so eine Kampagne vor allem Zeit und zuverlässige Leute“, sagt sie. Lemmen erzählt von dem „Spirit“, der die kleine Gruppe getragen habe: „Wir hatten wenig zu verlieren, aber viel zu gewinnen.“ Wenn das Paar über seinen bislang größten politischen Erfolg spricht, wirken die zwei wie Spieler einer Dorfmannschaft, die gerade den FC Bayern geschlagen hat.

Wiebke Esdar hat 2017 in Bielefeld ein Direktmandat für den Bundestag gewonnen.
Wiebke Esdar hat 2017 in Bielefeld ein Direktmandat für den Bundestag gewonnen.
© Benno Kraehahn

Wie war das möglich? Wie konnten wenige Jusos eine solch schlagkräftige Kampagne auf die Beine stellen? Ein Budget von 5000 Euro – so viel bekam jedes Bewerberduo vom Willy-Brandt-Haus – hatten sie zur Verfügung. Damit schlugen sie einen der prominentesten Sozialdemokraten aus dem Feld: Vizekanzler und Finanzminister Olaf Scholz.

„Das war stellenweise schon ein Kampf David gegen Goliath“, sagt Lukas Günther. Er ist der Pressesprecher der NRW-Jusos und arbeitete nebenbei im Team um Lemmen und Esdar. Günther ist 27 Jahre alt, Politik-Student und Mitglied im Stadtrat von Gelsenkirchen. Begonnen habe für ihn alles mit Bier und Fastfood, erinnert er sich.

Zwei Sixpacks und eine Pizza – so ausgestattet habe er sich an einem Abend im August mit seinem Genossen Frederick Cordes zusammengesetzt. Der ist ehemaliger Juso-Chef von Nordrhein-Westfalen und Mitarbeiter im Wahlkreisbüro von Wiebke Esdar. Bis vier Uhr morgens arbeiteten Günther und Cordes eine Strategie für Esken und Walter-Borjans aus. „Unsere Idee war: Wir müssen einen Hype schaffen, der von unten kommt“, sagt Günther. Seine Bachelorarbeit in Politologie hat er über die „No-Groko“-Kampagne der Jusos geschrieben.

Die Lehren aus dem Wahlkampf 2017

Für Esken und Walter-Borjans dachten sich die zwei Jung-Politiker an jenem Abend eine schlichte Kampagne aus – ohne viele Hochglanzbilder und bunte Online-Videos. „Wir haben uns gegen Instagram entschieden, weil das einfach nicht authentisch gewesen wäre“, sagt Günther. Es war eine Lehre aus dem überfrachteten SPD-Bundestagswahlkampf 2017: „Damals hat Martin Schulz seine Glaubwürdigkeit mit einer überprofessionalisierten Kampagne verspielt.“

Am Morgen nach der langen Planungsnacht fuhren Günther und Cordes nach Essen, um sich mit Esken und Walter-Borjans zu treffen. In einem Hotel stellten sie dem Duo ihre Ideen vor: Ein paar Powerpoint-Folien, einen Zeitplan, der Wahlspruch „Standhaft sozialdemokratisch“ entstand. „Das kam bei mir sehr positiv an, weil es zu mir passte“, erinnert sich Walter-Borjans. „Das war eine schöne Diskussion, ohne Floskeln oder Besserwisserei.“ Zwei Tage später erhielten er und Esken die Nominierung des SPD-Landesvorstands von NRW.

Von nun an koordinierte Lemmen die Kampagne. Cordes mobilisierte im Landesverband, Günther kümmerte sich um Social Media und Pressekontakte. Nach einiger Zeit holten sie sich Hilfe von der „Tanke“. So nennt sich eine Gruppe von drei weiteren Genossen, die dem Team im Hintergrund ehrenamtlich zuarbeiteten. Sie schrieben Reden, lieferten Positionspapiere, Wahlprüfsteine. Offen darüber reden wollen die drei von der „Tanke“ nicht. Sie arbeiten als Fraktionsreferenten in Düsseldorf oder für SPD-Abgeordnete in Berlin, wollen keinen Ärger mit dem Parteiestablishment bekommen.

Lukas Günther, SPD-Lokalpolitiker und Pressesprecher der Jusos in NRW.
Lukas Günther, SPD-Lokalpolitiker und Pressesprecher der Jusos in NRW.
© Julia Meya

Haben die Jusos die Mehrheit in der SPD überrollt?

Für die Mobilisierung in Berlin war die Bundestagsabgeordnete Esdar zuständig. In ihrer Fraktion habe sie sich damit keine Freunde gemacht, erzählt ein Kollege. Nur fünf von insgesamt 152 SPD-Angeordneten sprachen sich vor der Stichwahl offen für Esken und Walter-Borjans aus. Eine von ihnen war die 33 Jahre alte Saarländerin Josefine Ortleb: „Viele haben die Stimmung in der Partei unterschätzt“, sagt sie heute.

Die Wechselstimmung in der SPD war wohl der Hauptgrund für den Sieg der neuen Parteiführung. Zuletzt sei überall in der Partei der Wunsch nach Veränderung zu spüren gewesen, erzählt Walter-Borjans. „Auch viele ältere Mitglieder haben sich ein Ende der ewigen Groko-Zentrierung in der SPD gewünscht.“ Die weit verbreitete Ratlosigkeit über die Zukunft der SPD habe ebenfalls eine Rolle gespielt, meint ein langjähriger Bundestagsabgeordneter aus NRW. Er drückt es so aus: „Eine entschlossene Minderheit hat eine desorientierte Mehrheit überrollt.“

Das Team von Esken und Walter-Borjans erklärt den eigenen Erfolg vor allem mit „Feuereifer“, harter Arbeit und engem Zusammenhalt. „Wir haben bewiesen, dass eine Schwarmintelligenz funktioniert“, sagt Walter-Borjans.

Ihnen spielten aber auch die äußeren Umstände in die Hände: die lang anhaltende Führungskrise in der SPD – im Bund unter den schwachen Chefs Martin Schulz und Andrea Nahles, in NRW nach dem Rückzug von Landeschefin Hannelore Kraft 2017. Dort spielten die Jusos seither „eine wesentliche Rolle in der Partei“, sagt die Landeschefin des Jugendverbands, Jessica Rosenthal.

Jessica Rosenthal aus Bonn ist seit 2017 Landesvorsitzende der Jusos in NRW.
Jessica Rosenthal aus Bonn ist seit 2017 Landesvorsitzende der Jusos in NRW.
© Julia Meya

Auch Rosenthal hat sich früh in dem Team von Esken und Walter-Borjans engagiert. Auf Bundesebene bekamen sie die Hilfe von Juso-Chef Kevin Kühnert, der inzwischen stellvertretender SPD-Vorsitzender ist.

„Beeindruckend“ sei es, was den Jusos gelungen sei, sagt ein erfahrener Strippenzieher aus NRW. Jetzt bräuchten Esken und Walter-Borjans weitere professionelle Unterstützung, um im Willy-Brandt-Haus nicht rasch zu scheitern. Die Mitglieder des alten Teams wollen erstmal nicht weg aus NRW: Lemmen kandidiert als Bürgermeister im 11.000-Einwohner-Ort Werther, Esdar hat als Bundestagsabgeordnete genug zu tun, Günther will Stadtrat in Gelsenkirchen bleiben und Juso-Landeschefin Rosenthal macht gerade ihr Lehramtsreferendariat in Bonn. Esken und Walter-Borjans werden sich wohl neue Leute suchen müssen.

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