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Kevin Kühnert, Bundesvorsitzender der Jusos, beim SPD-Bundesparteitag.
© Bernd von Jutrczenka/dpa

SPD-Parteitag: Juso-Chef Kevin Kühnert – Umfaller, Vermittler oder Staatsmann?

Er ging in die Politik, weil er sich machtlos fühlte. Jetzt hat der 30-jährige Berliner echte Macht: Kühnert ist in den SPD-Parteivorstand aufgestiegen.

Es dauert fast eine Viertelstunde, bis Kevin Kühnert den Satz sagt, den er hier eigentlich gar nicht aussprechen müsste. Im dunkelgrünen Hemd steht er hinter dem Rednerpult beim Bundesparteitag in Berlin. Jeder im Saal kennt ihn. Doch dann stellt sich der Juso-Chef noch einmal förmlich vor: „Mein Name ist Kevin Kühnert, bin 30 Jahre, bin ein Berliner Jung.“

Solche Sätze sagen normalerweise unbekannte Kandidaten, die sich für ein Parteiamt bewerben – bei Kühnert sind die Worte nur Koketterie. Längst hat er große Teile des Publikums auf seiner Seite. Er hat die Genossen in der Hand mit seiner Ansprache, die etwas abstrakt beginnt, aber am Schluss mit stehenden Ovationen belohnt wird. Es ist Kühnerts Bewerbungsrede für den Posten des stellvertretenden Parteivorsitzenden. Wenig später stimmen 70,4 Prozent der Delegierten für den 30-Jährigen. Es ist kein Spitzenergebnis. Kühnert hat mit seiner Dauer-Kritik an der Groko zwar in der Vergangenheit vielen in der Partei aus der Seele gesprochen, doch er hat sich damit auch Feinde gemacht.

Nun ist er in den Parteivorstand aufgestiegen. Damit geht dieser Freitagabend so zu Ende, wie sich der Juso-Chef das vorgestellt hat. Erst wählen die rund 620 Delegierten eine neue Parteiführung von Kühnerts Gnaden: die Bundestagsabgeordnete Saskia Esken und den ehemaligen NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans, für die Kühnert wochenlang getrommelt hatte. Ohne seine Unterstützung, ohne die 80.000 Jusos im Rücken, hätten die zwei eher unbekannten Politiker die SPD-Urwahl wohl kaum mit 53 Prozent gewonnen.

Jetzt rückt Kühnert selbst in den Vorstand auf, bildet künftig eine Art Troika mit den neuen Parteichefs. Seine ohnehin schon einflussreiche Position in der SPD hat er damit deutlich ausgebaut. Er zählt zu den Gewinnern des Tages.

Für konservative Sozialdemokraten wird damit ein Horror-Szenario Wirklichkeit, die Parteispitze wendet sich nach links. Aber auch im linken Flügel beschweren sich Genossen inzwischen über Kühnert. Der habe das getan, was er immer kritisiert habe: einen Deal geschlossen mit der neuen Parteiführung, die Macht an sich gezogen, um von oben durchregieren zu können.

Getrieben „von einer Form von Ohnmachtsgefühl“

Der Grund, warum Kühnert vor 15 Jahren in die Politik gegangen sei, sagt er in seiner Rede: Er sei getrieben gewesen „von einer Form von Ohnmachtsgefühl“. Nun hat er echte Macht.

Als Kühnert am Morgen mit einem Jutebeutel über der Schulter die Parteitagshalle betritt, schart sich sofort ein kleiner Pulk um ihn. Journalisten, Fotografen und Kameraleute folgen dem Juso-Chef durch den Saal. Kühnert sieht aus wie immer, wie ein gewöhnlicher Juso-Vorsitzender: schlichte Frisur, das Hemd hängt frei über dem Hosenbund, studentischer Look.

Ernste Miene, schneller Schritt

Im Laufe des Tages eilt er immer wieder nach draußen, auf eine Zigarette. Ernste Miene, schneller Schritt, etwas angespannt wirkt er – wie ein echter Machtmensch. Einer, dessen Strategie aufgeht.

Seine eigene Rolle beschreibt Kühnert in seiner Bewerbungsrede als die des „Mittlers“ zwischen den Generationen. Er klingt ganz anders als noch vor zwei Jahren, als er den Alten beim Parteitag Anfang Dezember 2017 in Bonn vorwarf, die SPD zu ruinieren. Wortreich warb er damals für ein „Nein“ zur Groko und bekundete das Interesse der Parteijugend, „dass noch etwas übrig bleibt von diesem Laden, verdammt noch mal!“ Für solche Sätze feierten ihn die Delegierten, sie schätzen Kühnerts Angriffslust.

Der damalige Parteichef Martin Schulz nahm die Schelte stoisch hin, mit eiserner Miene und müdem Blick, machtlos gegen den Juso-Chef.

Volle Unterstützung für die neuen Parteivorsitzenden

Bei diesem Parteitag ist es anders. Die neuen Parteichefs Esken und Walter-Borjans können sich Kühnerts voller Unterstützung sicher sein. Deren linke Kernforderungen aus dem parteiinternen Wahlkampf finden zwar nur noch in deutlich abgeschwächter Form im Leitantrag. Der 12-Euro-Mindestlohn soll nur „perspektivisch“ kommen, von den versprochenen tiefgehenden Nachverhandlungen mit der Union über das Klimapaket sind in dem „Kompromiss-Leitantrag“, wie Esken sagt, nur noch „Gespräche“ übriggeblieben.

Kühnert wirbt trotzdem dafür. „Diese beiden Personen werden diese Nachverhandlungen führen“, sagt er mit Blick auf Esken und Walter-Borjans. Dafür bräuchten die beiden das Vertrauen der Partei. „Ich bin überzeugt, sie werden es nicht missbrauchen“, sagt Kühnert in der Aussprache zum Leitantrag.

Juso-Chef gibt sich staatstragend

Einen Ausstieg aus der Groko, den will Kühnert nicht empfehlen – wohl auch, um die neue Parteiführung nicht gleich zu Beginn unter Druck zu setzen. „Ich nehme nicht wahr, dass irgendeiner Oppositionssehnsucht in sich trägt“, sagt er. Der Juso-Chef gibt sich staatstragend. In den vergangenen Tagen musste er sich deshalb den Vorwurf anhören, „umgefallen“ zu sein. Das weist er zurück.

Kühnert ist rhetorisch gut und kommt gut an. Was ihm zum Verhängnis wird, ist seine fehlende Ausbildung. Er hat nie eine Berufsausbildung oder ein Studium abgeschlossen und will mir dann erzählen, wie man einen Staat oder eine Regierung führt? Für die SPD mag es also reichen, für ein öffentliches Amt reicht es nicht.

schreibt NutzerIn Etepetete

Beim Parteitag sagt er: „Das ist eine große Koalition, die ich nicht wollte.“ Doch jetzt brauche die neue SPD-Spitze die Unterstützung der Partei. Es gelte, das SPD-Profil zu schärfen – in Abgrenzung zur Konkurrenz. „Hier müssen wir die Unterschiede – innerhalb der Groko, außerhalb der Groko ist mir egal – herausarbeiten.“

Rhetorisches Talent und taktisches Gespür

Vor zwei Jahren führte der Juso-Chef hingegen noch das No-Groko-Lager an. Den vielen Frustrierten in der SPD – bei weitem nicht nur Jusos – gab er damit eine Stimme und stieg so zur „Nachwuchshoffnung“ auf, wie ihn sein Freund, Generalsekretär Lars Klingbeil, nennt. Der Groko-Frust machte Kühnert erst groß.

Es ist aber nicht nur die Anti-Haltung gegen das alte Parteiestablishment, die Kühnerts Einfluss in der zerrissenen Partei seit seinem Amtsantritt 2017 stetig vergrößert hat. Auch sein rhetorisches Talent und sein taktisches Gespür haben ihm den Aufstieg ermöglicht.

Das zeigt sich auch jetzt. Dass er den Kompromiss zwischen dem alten Parteivorstand und der neuen Führung mitträgt, passt gewissermaßen zu seiner Linie. Ein endgültiges Zerwürfnis mit den Genossen im Willy-Brandt-Haus oder den SPD-geführten Ministerien hat er selbst während der härtesten Groko-Auseinandersetzungen nie riskiert – zu sehr ist Kühnert Partei- aber auch Machtmensch.

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