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Horst Seehofer und Andrea Nahles im Bundestag.
© imago/Markus Heine

Diskussion um Verfassungsschutzchef: Wie viel Zukunft hat diese Regierung noch?

In der Diskussion um den Wechsel Hans-Georg Maaßens ins Innenministerium soll sogar ein Bruch der großen Koalition gedroht haben. Wie lange geht das noch gut?

Im Mitgliederbrief der CDU-Generalsekretärin klang Dramatik an: Als sich die drei Parteichefs der großen Koalition am Dienstag im Kanzleramt trafen, um über die Zukunft des Verfassungsschutzchefs Hans-Georg Maaßen zu streiten, „stand die Gefahr eines Auseinanderbrechens der Regierung konkret im Raum – mit allen dahinterstehenden Konsequenzen bis hin zu Neuwahlen.“

Annegret Kramp-Karrenbauer ist nicht die Einzige, die dieser Tage den Koalitionsbruch an die Wand malt. Auch die angeschlagene SPD-Chefin Andrea Nahles versucht ihr Ja-Wort zu Maaßens Beförderung zum Staatssekretär damit zu rechtfertigen, dass in dem Streit mit CSU-Chef Horst Seehofer das Bündnis auf dem Spiel gestanden habe. Ob die Gefahr real war oder nur als Schutzbehauptung herhalten muss, könnten nur die drei Beteiligten beantworten. Doch in jedem Fall stellt sich die Frage: Wie viel Zukunft haben Regierende, die schon ein renitenter Beamter derart an die Grenzen führt?

Andrea Nahles und die SPD

Kurzfristig erscheint die Lage der SPD-Vorsitzenden unbequem, aber nicht akut gefährdet. Denn eine umfassende Bewegung für ein schnelles Raus aus der Groko gibt es im Moment nicht. Zwar findet sich eine Reihe an Spitzengenossen, die mit dem Koalitionsbruch drohen. So will Serpil Midyatli, designierte SPD- Chefin von Schleswig-Holstein, am Montag im Parteivorstand dafür kämpfen, „dass Maaßen keinerlei Verantwortung mehr trägt“, und das „mit allen Konsequenzen.“ Ähnlich hat sich Natascha Kohnen positioniert, Spitzenfrau der wahlkämpfenden Bayern-SPD: „Ich fordere jetzt alle SPD-Mitglieder im Kabinett auf, gegen Maaßens Ernennung zu stimmen“, sagt die Nahles-Stellvertreterin.

Das wäre angesichts der Mehrheitsverhältnisse in der Ministerriege freilich nur ein symbolischer Akt. Den Parteivorstand am Montag über ihre Forderung abstimmen lassen will Kohnen augenscheinlich auch nicht. Bislang lägen keine entsprechenden Anträge vor, heißt es im Willy-Brandt-Haus. Auch die Jusos werden wohl diesen Weg nicht gehen, obwohl Kevin Kühnert, der Chef der Parteijugend, seit Tagen Nahles scharf kritisiert. Doch auch er will den Konflikt offensichtlich nicht auf die Spitze treiben.

Ein Anführer einer neuen „No-Groko“-Bewegung ist also nicht in Sicht. Unbestritten ist jedoch die „Koalitionsmüdigkeit“ der Partei, wie es in der Bundestagsfraktion heißt. Nicht nur die Genossen an den Wahlkampfständen in Bayern und Hessen stöhnten über das ungeliebte Bündnis. Auch viele Abgeordnete seien genervt, dass Konflikthemen statt Sachpolitik die Schlagzeilen bestimmten. Viele Genossen sehnen deshalb die Zeit nach der Bayernwahl in gut drei Wochen herbei. Sie hoffen, dass die CSU nach einem Wahldebakel ihren Vorsitzenden Seehofer rauswirft. Sein Abgang könne dann den Weg frei machen für einen Neustart der Groko, lautet die Hoffnung der Genossen.

Was aber, wenn langfristig Seehofer bleibt – und weiter gegen Merkel und die Sozialdemokraten taktiert? Ob die SPD-Basis nach dem Asylstreit und dem Fall Maaßen einen weiteren Krach hinnehmen würden, ist zu bezweifeln. Vor allem, weil die ewigen Koalitionskrisen den vielen Groko-Gegnern in der SPD jeden Tag neue Nahrung liefern.

Dazu kommt, dass das Agieren der Parteichefin von vielen als mindestens unglücklich wahrgenommen wird. Aus allen Ebenen der Partei laufen wütende Briefe, E-Mails und Anrufe ein. Die Genossen verstehen die Welt nicht mehr und die Chefin auch nicht. Trotzdem muss sich Nahles um ihren Posten als Parteichefin noch keine Sorgen machen. Wer wollte die wunde SPD sonst führen? Auf die Rückendeckung der Parteiführung kann sich die Vorsitzende deshalb bislang verlassen. Seit sie im April für zwei Jahre gewählt wurde, habe sie ihren Job recht gut gemacht, sagt ein Vorstandsmitglied. Für Maaßens Berufung ins Innenministerium sei ja Seehofer verantwortlich, nicht die SPD-Chefin.

Andere sehen das deutlich kritischer: Nahles habe sich in der Sache Maaßen überschätzt. In der Tat wirkte sie nach dem Treffen mit Seehofer und der Kanzlerin am Dienstag nicht wie eine Gewinnerin. Sie musste der Öffentlichkeit erklären, warum Maaßens Beförderung ein Erfolg der SPD sei – obwohl die Sozialdemokraten den widerspenstigen Behördenchef doch los werden wollten. Dann stellte sich auch noch heraus, dass Seehofer für Maaßen den bisherigen Bau-Staatssekretär Gunther Adler, ein SPD-Mitglied, feuern wird.

Und Nahles hat das nicht selbst in die Partei hinein kommuniziert. Von Unionsseite wird versichert, dass über die Personalie in der Parteichef-Runde geredet worden war; in der SPD ist von einem nachträglichen Gespräch die Rede. Einerlei, es war wieder nicht Nahles, sondern Angela Merkel, die den guten Teil der Botschaft für sozialdemokratische Ohren verkündete: „Wir haben uns darüber verständigt, dass wir sehr schnell Herrn Adler eine ihm angemessene und auch seinem Erfahrungsschatz entsprechende Position geben wollen“, sagte die Kanzlerin am Rande des informellen Euro-Gipfels.

Längerfristig können sich solche handwerklichen Schnitzer zum Problem aufbauen. Sollte die SPD nicht nur, wie es alle erwarten, die Bayern-Wahl verlieren, sondern auch die Landtagswahl in Hessen Ende Oktober, droht die Personaldebatte wieder aufzuflammen und mit ihr die Frage nach dem Sinn des Mitregierens in Berlin. Noch ist die Angst vor der Neuwahl größer als die Angst, vom Regieren zerrieben zu werden.

Fühlt sich die Union als Sieger der Causa Maaßen?

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) kann sich in der Causa Maaßen als Sieger fühlen - bis zur Bayern-Wahl womöglich.
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) kann sich in der Causa Maaßen als Sieger fühlen - bis zur Bayern-Wahl womöglich.
© dpa/Michael Kappeler

Horst Seehofer und die CSU

Kurzfristig betrachtet fühlt sich der CSU-Chef als Sieger. Seehofer hat Maaßen aus der Schusslinie genommen, was der Recht-und- Ordnung-Flügel der Union dankt. Den Kritikern von Merkels Flüchtlingskurs gilt Maaßen als einer der Ihren. Ihnen gilt es auch als lässliche Sünde, dass Maaßen der Einschätzung der Kanzlerin widersprach, bei der Kundgebung nach der Tötung eines Deutschen in Chemnitz habe es Hetzjagden gegeben, und dann Beweise schuldig bleiben musste.

Horst Seehofer hat zugleich verhindert, dass die AfD Maaßen zum Märtyrer erklären konnte. Und er hat die Sache so gedreht, dass die Bundeskanzlerin schwach und die SPD von sich selbst ausmanövriert erscheint. Das mag dem Parteivorsitzenden in der eigenen CSU etwas Luft verschaffen. Die war zuletzt, nach dem Rücktritt vom Rücktritt im letzten Machtkampf mit Merkel, sehr dünn geworden.

Langfristig stellt sich allerdings für die CSU wie für Seehofer selbst die Frage, was es der Bayern-Partei nutzt, wenn ihr Frontmann in Berlin ständig im Zentrum selbstgemachter Krisen steht, mal als Brandstifter, mal als Brandbeschleuniger. Krawall im Bund zahlt schon lange nicht mehr automatisch auf dem CSU-Wählerkonto ein. Wird die Landtagswahl zu dem Desaster, das die Umfragen befürchten lassen, dürften aus Bayern viele auf Seehofer als Schuldigen zeigen – schon um eigene Fehler vergessen zu machen.

Den CSU-Chef schützt noch der Umstand, dass er für viele auf seinem Posten sehr bequem ist. Spitzenkandidat Markus Söder wird eine Wahlniederlage verarbeiten müssen; der CSU-Europäer Manfred Weber will aber erst mal EU-Kommissionspräsident werden; Landesgruppenchef Alexander Dobrindt hat Ehrgeiz, aber in Bayern zu wenig Gewicht.

Für die Koalition sind das auf längere Sicht schlechte Nachrichten. Ein alternder Parteichef auf Abruf, der mit der Kanzlerin Rechnungen offen hat, ist so wenig ein Stabilitätsfaktor wie eine CSU nach dem Ende ihrer Einzigartigkeit.

Angela Merkel und die CDU

Kurzfristig ist die Maaßen-Krise für Merkel nur ein weiteres von vielen Ärgernissen, die sie daran hindern, ihre letzte Amtszeit vernünftig zu Ende zu bringen. Sie hat versucht, sich die Sache vom Leib zu halten. Richtig gelungen ist das nicht; die CDU-Basis findet den Maaßen-Deal genau so unterirdisch wie die Sozialdemokraten. „Hundert Prozent Ablehnung“ fasst einer im Konrad-Adenauer-Haus die Reaktionen zusammen.

Kramp-Karrenbauer versucht in ihrem Mitgliederbrief die Gemüter zu beruhigen. „Sicher hätten sich viele von uns eine andere, mit weniger Fragen behaftete Lösung dieses Konfliktes gewünscht“, schreibt sie, „die jetzt gefundene Lösung war aber augenscheinlich die einzige, auf die sich die Koalitionspartner einigen konnten.“

Man kann solche Sätze zugleich als Sperrfeuer für SPD-Frau Nahles lesen nach dem Motto: Wenn selbst die CDU sagt, es ging nicht anders... Tatsächlich zeigen sie aber ungewollt eine der zentralen Schwierigkeiten dieser Koalition auf: Wenn weder Merkel noch Nahles bereit sind, einen Streit auf die Spitze zu treiben, hat ein Spieler wie Seehofer gute Karten. Allerdings – das hat der Streit um die „Zurückweisung“ von Flüchtlingen gezeigt – reizt er sie im Ernstfall auch nicht bis zur letzten Konsequenz aus.

Gleichwohl: Merkel hat nicht monatelang um diese Regierung gerungen, um sie wegen Nichtigkeiten aufs Spiel zu setzen. Die Vorstellung erscheint ja auch wenig verlockend: Deutschland im Wahlkampf, während die EU mit dem Brexit kämpft, das ungelöste europäische Migrationsproblem als Hypothek, die AfD auf einer Welle der Erfolge, die Nachfolgefragen in der CDU schwelend offen – nicht zufällig erscheinen gerade jetzt Biographien über Jens Spahn und Kramp-Karrenbauer, deren Autoren dem Gesundheitsminister und der Generalsekretärin jeweils eine große Zukunft vorhersagen.

Langfristig könnte sich allerdings dann schon die Frage stellen, ob ein entschlossener Schlussstrich nicht auch aus Merkels Sicht die bessere Lösung wäre. Schon die Vorgänge der letzten Tage werden in der Auslandspresse überwiegend als Schwächezeichen gedeutet: Eine Kanzlerin, die nicht mehr die Kraft hat zu verhindern, dass ihr die Mäuse auf dem Tisch rumtanzen. Im Europa- und Weltmaßstab sind solche Eindrücke nicht hilfreich beim Durchsetzen eigener Ziele. Im eigenen Land sind sie verheerend. Da mag das Kabinett noch so viele noch so vernünftige Dinge beschließen: „So ertragen das die Leute keine drei Jahre weiter“, sagt selbst jemand aus der Regierungszentrale.

Die Große Koalition, die Volksparteien und ihr Ansehen bei den Wählern

Eigentlich glauben Meinungsforscher, dass es mit den Beliebtheitswerten der Groko und der sie tragenden Parteien nach dem Regierungsbildungs-Gewürge und dem endlosen Flüchtlingsgerangel nicht mehr viel tiefer in den Keller gehen könne. Doch aus der Sicht der Bevölkerungsmehrheit haben sich in der Causa Maaßen alle falsch verhalten, wie eine Insa-Umfrage für die Bild-Zeitung ergab. Zufrieden mit dem Agieren von Angela Merkel äußerten sich nur 15 Prozent. Die Rolle von CSU-Chef Seehofer behagte 18 Prozent, die von SPD-Chefin Nahles 21 Prozent. Und mit dem Ergebnis des ganzen Manövers ist nicht mal jeder Zehnte zufrieden.

Nur neun Prozent finden die Ernennung Maaßens zum Staatssekretär richtig. 18 Prozent meinen, er hätte Verfassungsschutzpräsident bleiben sollen. 57 Prozent möchten ihn, nach allem was war, in keinem der beiden Ämter sehen. Verheerend sind aus Demoskopen-Sicht vor allem die Botschaften, die durch das politische Taktieren bei den Wählern angekommen sind. Zum Beispiel: „Da droben wird man für Fehlverhalten nicht abgelöst, sondern noch befördert.“ Oder: „Statt sich um die echten Probleme zu kümmern, beschäftigen sich die in Berlin nur mit Machtkämpfen und Personalstreitereien.“ Die CSU widerborstig, die SPD ausgetrickst, die Kanzlerin nicht willens oder in der Lage, einen renitenten Beamten feuern zu lassen: Profitieren, sagen Demoskopen, werden wieder einmal nur die politischen Ränder.

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