Gegen das Vergessen am Holocaust-Gedenktag: Wie trotz Corona der Opfer des Nationalsozialismus gedacht wird
Fünf Großunternehmen nehmen eine offizielle Antisemitismus-Definition an, Gedenkstätten erinnern online an Holocaustopfer. Über Gedenken in der Pandemie.
Am Gleis 17 am Bahnhof Grunewald im Südwesten Berlins liegen fünf Kränze. Abgelegt haben sie Repräsentanten von fünf deutschen Großunternehmen: Der Deutschen Bahn, der Deutschen Bank, des Fußballclubs Borussia Dortmund, der Daimler AG und Volkswagen, die sich gemeinsam dem Kampf gegen Antisemitismus verpflichtet haben.
Von dem Gleis am Bahnhof Grunewald fuhr am 18. Oktober 1941 der erste Deportationszug in Richtung Osten in die Arbeits- und Konzentrationslager der Nationalsozialisten. An diesem Tag wurden 1013 Menschen von diesem Ort in den Tod geschickt, bis Kriegsende waren es mehr als 50.000 deutsche Jüdinnen und Juden.
Wäre die Pandemie nicht an einem solch kritischen Punkt, hätte die Gedenkfeier des Freundeskreises Yad Yashem Deutschland am Dienstag am Gleis 17 stattgefunden. Doch zum diesjährigen Holocaust-Gedenktag am Mittwoch wurde die Kranzniederlegung vorab aufgenommen und online veröffentlicht.
Ein Augenmerk lag bei der Veranstaltung auf einer gemeinsamen Erklärung gegen Antisemitismus, die die fünf Unternehmen unterschrieben haben. Von besonderer Symbolik ist die Erklärung, weil die damalige Reichsbahn, heute Deutsche Bahn, Menschen in ihren Zügen deportierte und Teil der Vernichtungsmaschinerie der Nazis war.
Weil die Deutsche Bank vom Handel mit dem Gold ermordeter Juden profitierte. Und weil bei Daimler-Benz 1944 jeder zweite „Mitarbeiter“ Zwangsarbeiter war.
Unternehmen unterschreiben Antisemitismus-Definition
Nun nehmen die fünf Unternehmen in der Erklärung die Arbeitsdefinition von Antisemitismus der International Holocaust Remembrance Alliance an. Darin heißt es, „Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Jüdinnen und Juden, die sich als Hass gegenüber Jüdinnen und Juden ausdrücken kann.“ Der Antisemitismus richte sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen und deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen.
Ruth Ur, Geschäftsführerin des Freundeskreises Yad Vashem, wünschte sich, dass die Konzerne „andere inspirieren, es ihnen gleich zu tun“. Josef Schuster, Präsident des Zentralrates der Juden, betonte: „Erinnern heißt nicht in der Vergangenheit verharren.“ Die Annahme der Definition sei so wichtig, weil wir Antisemitismus nur bekämpfen können, „wenn wir ihn benennen und erkennen“.
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In persönlichen Ansprachen betonten Ola Källenius, der Vorstandsvorsitzende von Daimler, sowie Bahn-Chef Richard Lutz, wie ergreifend und prägend für sie ihre Besuche in der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem war. Demnach haben Lutz, der laut eigener Aussage der erste Bahn-Chef ist,der die Holocaust-Gedenkstätte besuchte, besonders die dort ausgestellten und nachvollziehbar gemachten Einzelschicksale berührt.
Online-Gedenken in der Pandemie: Digitale Steckbriefe und Hashtag #WeRemember
Aufgrund der Corona-Pandemie bleibt auch in Jerusalem selbst eine große Gedenkfeier aus. Doch auch hier hat man eine digitale Lösung gefunden: Das „IRemember Wall"-Projekt ermöglicht es, Geschichten einiger der sechs Millionen ermordeten Jüdinnen und Juden kennenzulernen.
Das Projekt stellt einige Steckbriefe von Opfern des Holocausts auf einer digitalen Pinnwand zusammen. Nutzer können die Steckbriefe auf sozialen Medien wie Facebook und Twitter teilen und so ihrer gedenken. Dafür kooperiert Yad Vashem mit dem Digitalkonzern Facebook.
„Durch die Zusammenarbeit mit Facebook können wir ein breiteres internationales Publikum erreichen. Dies ist entscheidend, um die Erinnerung an die jüdischen Opfer und die Bedeutung des Holocaust am Leben zu erhalten“, erklärt Iris Rosenberg, Leiterin von Yad Vashems Kommunikationsabteilung.
Das Ausweichen auf den digitalen Raum, wo physisch kein Gedenken möglich ist, ist in der Pandemie essenziell. Auch der World Jewish Congress und das Staatliche Museum Auschwitz-Birkenau wird online an die Opfer des Holocausts erinnern. Dafür starteten die Institutionen die Aktion #WeRemember, die in ein Videoprojekt münden soll.
An der Kampagne konnten sich alle beteiligen, die ein Bild von sich auf die sozialen Netzwerke luden. Auf dem Bild sollten Nutzer ein Schild mit der Aufschrift "#WeRemember" hochhalten. Die Fotos werden am Holocaustgedenktag in der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau gezeigt.
Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier betonte am Dienstag wie wichtig das digitale Gedenken ist. „Auch wenn wir das in diesen von der Pandemie bestimmten Tagen nur virtuell tun können, ist uns das gemeinsame Gedenken nicht weniger wichtig."
Und weiter: „Wir müssen unsere Sinne wachhalten, Vorurteile und Verschwörungstheorien erkennen und ihnen mit Vernunft, Leidenschaft und Entschiedenheit entgegentreten."