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Ein Mann in Caracas durchsucht den Müll nach Essensresten.
© Rayner Pena/dpa

Südamerika: Wie sich Venezuelas Regierung bereichert

Viele Venezolaner leiden große Not – während korrupte Geschäftsleute und Militärs sogar mit dem Hunger Milliarden machen. Korruption gehört zum Alltag.

Mit welchem Geschäft wird man innerhalb eines Jahres Millionär? Ewald Scharfenberg zögert am anderen Ende der Telefonleitung einen Moment. Denn es gibt viele lukrative Geschäfte in Venezuela. Egal ob Lebensmittel, Benzin, Medikamente, öffentliche Bauten, Devisen, Gold oder Drogen – in dem südamerikanischen Erdölstaat wird eigentlich alles von einer Mafia kontrolliert und mit enormen Gewinnspannen auf dem Schwarzmarkt gehandelt.

Wo die mafiösen Strukturen enden und die Regierung beginnt, ist längst nicht mehr klar. Der 57-jährige investigative Journalist untersucht diese Verflechtungen und musste deshalb vor einem Jahr zusammen mit drei Kollegen seines Portals armando.info ins Exil nach Kolumbien gehen. Der Unternehmer Alex Saab hatte die vier wegen Diffamierung angezeigt, nachdem sie seine Geschäfte mit der Regierung ins Visier genommen hatten. Ihnen drohten sechs Jahre Haft. Seither wird armando.info im Exil erstellt.

Saab und sein kolumbianischer Geschäftspartner, so die Recherchen, verdienen am Geschäft mit dem Hunger der Venezolaner. Saabs Kontakte zur Regierung stammen noch aus der Zeit des verstorbenen Expräsidenten Hugo Chávez, für den Saab Fertighäuser im Wert von 500 Millionen US-Dollar lieferte, die dem sozialen Wohnungsbau zur Verfügung gestellt werden sollten.

Auch unter Chávez’ Nachfolgern blieb Saab gut im Geschäft. So kauft seine Firma Group Grand Limited mit Hongkonger Geschäftssitz in Mexiko die Inhalte der von der Regierung als Sozialhilfe verteilten Lebensmittelkartons. Saab zahlt 16 Dollar pro Karton mit elf Grundnahrungsmitteln, darunter Speiseöl, Reis, Maismehl und Nudeln. So steht es zumindest in den Exportlizenzen. Die venezolanische Regierung zahlt 34 Dollar – eine Gewinnspanne von 112 Prozent.

"Kleptokratie im Namen der Armen"

Doch Saabs Geschäfte sind nur ein Beispiel für Bereicherung zu Lasten der Notleidenden. Von den Lebensmittel-Kartons, die importiert werden, verschwindet die Hälfte unterwegs. „Ich musste die Verteilung der Kartons in Margarita organisieren“, erzählt ein inzwischen im Exil lebender Ex-Oberst. „Als wir den Lastwagen beluden, forderte ein General von mir die Hälfte der Kisten. Ich wagte zu widersprechen, danach war ich eine Woche lang in Einzelhaft eingesperrt.“ Korruption gehört zur Überlebensstrategie. In der Andenstadt San Cristóbal etwa bilden sich vor den Tankstellen täglich kilometerlange Schlangen.

„Wenn ich weit genug vorne bin, kann ich zwei mal am Tag volltanken“, erzählt ein junger Mann, der seinen Namen nicht nennen will. Für einen vollen Tank zahlt er in Venezuela umgerechnet 60 Cents. Mit seinem vollgetankten Amischlitten fährt er dann an die 25 Kilometer entfernte kolumbianische Grenze, lässt in einem Hinterhof den Tank bis auf ein paar Liter abpumpen und streicht dafür umgerechnet 20 Dollar ein. Das ist der monatliche Mindestlohn in Venezuela. Und die Hyperinflation von 1,3 Millionen Prozent hat Gehälter pulverisiert, die legale Ökonomie gelähmt.

Venezuela ist eine Kleptokratie im Namen der Armen“, sagt Carlos Tablante, Co-Autor der Bücher „El Gran Saqueo“ (Die große Plünderung) und „Estado delincuente“ (Verbrecherstaat). Ihm zufolge ist durch Erdöleinnahmen und Kredite seit 2004 knapp eine Billion US-Dollar in die Staatskasse geflossen. 300 Milliarden sind nach Tablantes Recherchen in dunklen Kanälen verschwunden, zumeist auf ausländischen Konten.

Es gibt viele Wege der Unterschlagung. Zum Beispiel flossen seit 2005 mehr als die Hälfte der Deviseneinnahmen nicht mehr an die Zentralbank, sondern an einem obskuren Stabilisierungsfonds, der keinerlei Aufsicht unterliegt und Projekte der Revolution finanzieren sollte. Viele wurden aber nie realisiert. Lieblingsobjekt der organisierten Kriminalität ist die Erdölfirma PDVSA. Von parallelen Exporten über Eigentümerwechsel ganzer Tankern voller Öl auf hoher See berichtet Scharfenberg. Drogen und illegal geschürftes Gold wiederum sind ein Geschäft, das ihm zufolge vor allem in der Hand korrupter Generäle ist, aber auch zwei Neffen der Präsidentengattin wurde dabei erwischt.

Reich durch Wechselkurskontrolle

Es gibt auch noch andere Arten, reich zu werden, zum Beispiel durch die Wechselkurskontrollen. Über Beziehungen bekommen der Regierung nahestehende Importeure Dollars zum Vorzugspreis, die sie dann auf dem Schwarzmarkt gewinnbringend weiter verkaufen. Darin verwickelt waren die Stiefsöhne Maduros und auch ein deutscher Banker im Dienste des Schweizer Geldhauses Julius Bär. Die US-Justiz deckte den Fall auf. Das ist auch nicht allzu schwer – Venezuelas „Bolibourgeoisie“ hinterlässt Spuren. Alejandro Andrade, früher Leibwächter des verstorbenen Hugo Chávez, protzte mit Luxusimmobilien, Sportwagen und einem Gestüt. Er wurde gerade zu zehn Jahren Haft wegen Geldwäsche verurteilt.

Auf der schwarzen Liste der US-Regierung stehen mehr als 100 Venezolaner, angeführt von Präsidentengattin Cilia Flores und Verteidigungsminister Vladimir Padrino López. Es ist das Ergebnis einer Regierung, die im Tausch für politische Loyalität Korruption akzeptierte. „Die Mafia hat sich wie eine Krake innerhalb des Staates ausgebreitet. Diese Netzwerke zu zerschlagen wird eine große Herausforderung für Maduros Nachfolger“, sagt Journalist Scharfenberg.

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