Im Armenhaus der arabischen Welt: Wie sehr Kinder im Jemen unter den Pandemie-Folgen leiden
Krieg, Armut, Hunger und nun die nächste Katastrophe: Die Pandemie trifft das geschundene arabische Land mit voller Wucht.
Salem hat keine Wahl. Der Vater muss sein krankes Kind in eine Klinik bringen, auch wenn er sich vor dem Coronavirus fürchtet. Doch die ängstlichen Augen des Kleinen lassen nichts anderes zu. Also leiht sich Salem Geld für ein Taxi und geht das Risiko ein, sich und seine Familie zu infizieren.
„Viele Familien isolieren sich wegen der Pandemie zu Hause. Aber was bringt es, wenn das Kind dort durch einen Luftangriff stirbt – oder weil es nicht ins Krankenhaus gebracht werden kann?“ So schildert der 45-Jährige seine Nöte einem Mitarbeiter Hilfsorganisation Save the Children.
Die weltweit größte humanitäre Katastrophe – so nennen die UN das Drama im Jemen. Seit mehr als fünf Jahren ist das Armenhaus der arabischen Welt gefangen in einer tödlichen Kombination aus Krieg, Armut, Hunger und Krankheiten. Mehr als 24 Millionen Menschen, das entspricht 80 Prozent der Bevölkerung, sind auf Hilfe angewiesen. Für die meisten ist das nichts anderes als Überlebenshilfe.
Besonders verheerend wirkt sich die Mangelernährung aus. Der Hunger wütet in weiten Teilen des Landes. Allein das World Food Programme der Vereinten Nationen (WFP) versorgt gut zwölf Millionen Jemeniten.
[Alle aktuellen Entwicklungen in Folge der Coronavirus-Pandemie finden Sie hier in unserem Newsblog . Über die Entwicklungen speziell in Berlin halten wir Sie an dieser Stelle auf dem Laufenden.]
Doch den Helfern geht das Geld aus, die Unterstützung wird deshalb drastisch reduziert. Bei einem Spendengipfel kamen jüngst trotz aller Appelle lediglich 1,3 Milliarden Dollar zusammen – nötig wären 2,4 Milliarden gewesen. Für die vom Welternährungsprogramm versorgten Familien heißt das: Sie müssen zwei Monate lang mit den Lebensmitteln auskommen, die zuvor für einen Monat gedacht war.
Jobs sind Mangelware, wie Währung wertlos
Auf dem freien Markt an Essbares zu kommen, ist für die meisten Einwohner aber fast unmöglich. Die Preise haben unerschwingliche Höhen erreicht. Sogar einfache Jobs sind Mangelware, die bescheidenen finanziellen Rücklagen längst aufgebraucht, die Währung wertlos.
Hilfsorganisationen berichten von entkräfteten Müttern, die ihre Babys nicht mehr stillen können. Und von verzweifelten Männern, die weinen, weil sie keine Ahnung haben, wie ihre Familien an die nächste Mahlzeit kommen sollen.
Kein Wunder, dass die Pandemie den Jemen mit voller Wucht trifft. Bisher gibt es zwar erst knapp 1600 bestätigte Fälle. Doch Experten sind sich sicher, dass dies aufgrund fehlender Testkapazitäten wenig über die tatsächliche Verbreitung des Coronavirus aussagt – und schon gar nichts über die Überlebenschancen der Menschen.
Denn die sind offenkundig sehr gering. Fachleute verweisen auf mehrere Hundert Covid-19-Tote. Das würde bedeuten, dass die Sterblichkeitsrate im Jemen zwischen 20 und 30 Prozent betragen könnte. Auf den Friedhöfen werden deutlich mehr Menschen bestattet als vor der Pandemie.
Das hat mehrere Gründe. Jemens Gesundheitssystem ist infolge des jahrelangen Kriegs zwischen den aufständischen Huthi-Milizen und einer von Saudi-Arabien geführten Militärallianz weitgehend zusammengebrochen. Viele Kliniken sind zerstört.
Die wenigen, die noch funktionieren, werden zu selten von Infizierten genutzt. Oft begeben sie sich erst in ärztliche Behandlung, wenn ihr Zustand lebensbedrohlich ist. Viele Kranke meiden medizinische Einrichtungen, weil sie fürchten, sich anzustecken. Hygienemaßnahmen wie Händewaschen sind ebenso wenig umsetzbar wie das Einhalten von Abstandsregeln.
„Social Distancing ist für Jemeniten im Grunde unmöglich“, sagt Jean-Nicholas Beuze, Jemen-Repräsentant des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR), im Gespräch mit dem Tagesspiegel. „Die Menschen können nicht zu Hause bleiben. Sie müssen etwas verdienen, um ihrer Familie das nächste Essen zu sichern.“
Besonders prekär ist nach Beuzes Einschätzung die Lage für die Millionen Vertriebenen. „Oft leben mehrere Familien, die nichts mehr haben, auf engstem Raum in behelfsmäßigen Zelten im Nirgendwo. Da gibt es nun mal keinen Zugang zu Wasser oder sanitäre Anlagen und damit keine Möglichkeit, sich zu schützen.“
Die Angst der Helfer
UNHCR hat unter dem Stichwort Prävention daher begonnen, Geld an die Bedürftigsten zu verteilen. So soll verhindert werden, dass sie sich auf die gefährliche Suche nach Arbeit machen und sich dabei womöglich infizieren.
Mit ähnlichen Problemen haben auch die Helfer zu kämpfen. Ihnen steht zumeist keine eigene Schutzausrüstung zur Verfügung. Sie müssen daher täglich für sich die Frage beantworten: vorsichtshalber zu Hause bleiben oder zur Arbeit gehen und eine Infektion riskieren? Ganz abgesehen von der Gefahr, in einen Luftangriff zu geraten. Abertausende sind den Bomben bereits zum Opfer gefallen.
Die Pandemie und fehlende medizinische Kapazitäten haben gerade für Jemens Kinder fatale Folgen. Save the Children zufolge ging die Zahl der Besuche bei kinderärztlichen Diensten zwischen Januar und April um mehr als 80 Prozent zurück. Verschärfend kommt hinzu: Kliniken wurden zu Covid-19-Zentren umgewandelt.
Damit geht einher, dass die Behandlung von Mädchen und Jungen häufig als zweitrangig erachtet wird. So berichtet es Save the Children. Dabei leiden Kinder am Stärksten unter der Not. Zwei Millionen Heranwachsende seien akut unterernährt. Das mache sie besonders anfällig für das Virus. Im Jemen hat die Pandemie noch längst nicht ihren Höhepunkt erreicht.
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