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Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan.
© Adem ALTAN / AFP

Festnahmen in der Türkei: Wie Präsident Erdogan die Redefreiheit einschränkt

Türkische Behörden gehen jeden Tag gegen etwa 50 Verdächtige vor, die mit Kommentaren in sozialen Medien auffallen. Mehrere Deutsche sind deswegen in Haft.

Die Festnahme des türkischstämmigen Bundesbürgers Adnan S. wegen angeblich staatsfeindlicher Facebook-Beiträge zeigt die zunehmende Unterdrückung der Meinungsfreiheit in der Türkei. Nach offiziellen Angaben gehen die Behörden im Durchschnitt jeden Tag gegen etwa 50 Verdächtige vor, die ihnen mit Kommentaren in sozialen Medien auffallen. So kamen im vergangenen Jahr mehr als 18.000 Verfahren zusammen. Viele Türken sagen deshalb in der Öffentlichkeit lieber nichts mehr.

S. steht im Verdacht, per Facebook für eine Terrororganisation geworben zu haben. Rund ein halbes Dutzend Bundesbürger ist wegen politischer Vorwürfe in der Türkei in Haft. Berlin spricht von Willkür der türkischen Behörden, doch die Regierung in Ankara weist dies zurück. Präsident Recep Tayyip Erdogan betonte erst vor wenigen Tagen, die Türkei sei eines der wenigen Länder, in denen die Demokratie „in ihrer vollen Bedeutung“ umgesetzt werde. Seine Regierung argumentiert, Terror-Propaganda werde auch in westlichen Ländern geahndet.

Allerdings ziehen regierungstreue Richter und Staatsanwälte die Grenzen der Meinungsfreiheit wesentlich enger als ihre Kollegen in Europa oder den USA. Kritik an Erdogan oder anderen Mitgliedern der türkischen Führung wird häufig als Präsidentenbeleidigung oder Volksverhetzung verfolgt. Einer zum Jahreswechsel vorgelegten Statistik des Innenministeriums zufolge wurden 2018 gegen 18376 Betroffene rechtliche Schritte eingeleitet, weil sie per Internet schwere Beleidigungen von Amtsträgern oder aufrührerische sowie gewaltverherrlichende Äußerungen verbreitet haben sollen.

Justiz handelt in Erdogans Auftrag

Der Schutz des Staates und seiner Vertreter vor angeblichen Angriffen wiegt für die Justiz weit mehr als das auch in der Türkei verfassungsrechtlich garantierte Recht auf freie Rede. Fast jeden Tag gibt es neue Beispiele dafür. So muss sich ein prominenter Banker derzeit vor der Justiz verantworten, weil er vor fünf Jahren ein Erdogan-kritisches Video auf Twitter verbreitet hatte.

Mitunter wird die Justiz aktiv, wenn Erdogan sie dazu auffordert. Vor Kurzem wurden zwei prominente Schauspieler vorübergehend festgenommen, nachdem sich der Staatspräsident über ihre Kommentare im oppositionsnahen Fernsehsender Halk TV beschwert hatte. Auch gegen den bekannten Fernsehmoderator Fatih Portakal wird ermittelt, weil er Erdogan unangenehm auffiel. Portakal hatte die Frage gestellt, ob in der Türkei noch friedliche Protestdemonstrationen möglich seien. Halk TV sowie Portakals Sender Fox erhielten Strafen von der Medienbehörde Rtük. Der Journalistenverband TGC brandmarkte dies als Angriff auf die Pressefreiheit.

Auch im Parlament in Ankara hat die Justiz angebliche Staatsfeinde ausgemacht. Allein neun Abgeordnete sollen laut Staatsanwaltschaft ihre Immunität verlieren, weil sie auf Twitter eine Erdogan-Karikatur verbreitet hatten. Einer der Betroffenen, Ali Mahir Basarir, erklärte, in der Türkei solle ein „Reich der Angst“ errichtet werden.

Offenbar denken viele Türken wie Basarir. Ein hunderttausendfach angeklicktes Video, das in sozialen Medien der Türkei die Runde macht, zeigt die vergeblichen Versuche einer TV-Reporterin, Passanten nach ihrer Meinung zu den Kommunalwahlen im März zu befragen. In einer Szene geht ein Mann schweigend am Mikrofon der Journalistin vorbei, streckt die Arme aus und legt die Handgelenke übereinander – ganz so, als würde er mit Handschellen gefesselt.

Erdogans Regierung begründet das von Kritikern als Hexenjagd bezeichnete Vorgehen damit, dass Gülens Bewegung den Staatsapparat unterwandert habe und deshalb aus Verwaltung, Ministerien, Justiz und Armee entfernt werden müsse. Rund 34000 Lehrer, 21000 Polizisten, 4000 Richter und Staatsanwälte sowie mehr als 15000 Soldaten sind aus dem Staatsdienst entlassen worden. Neun von zehn Einsprüchen gegen die Entlassungen wurden von einer Beschwerdekommission zurückgewiesen.

Seit dem Putschversuch sind zudem mehr als hundert Medieneinrichtungen verboten worden. Laut der US-Journalistengruppe CPJ befinden sich in der Türkei mindestens 68 Journalisten in Haft, mehr als in jedem anderen Land der Welt. Erdogans Regierung betont dagegen, es gebe keinen einzigen Häftling, der wegen seiner journalistischen Arbeit hinter Gittern sei.

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