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Asia Bibis Töchter machen auf das schlimme Schicksal ihrer Mutter aufmerksam.
© Adrees Latif/Reuters

Bedrohte Christin Asia Bibi: Wie Pakistans Islamisten das Land vor sich hertreiben

Asia Bibi muss in Pakistan um ihr Leben fürchten - weil religiöse Eiferer das muslimische Land mehr und mehr in Geiselhaft nehmen und die Regierung einknickt.

Fazlur Rehman scheint fest entschlossen. „Unser Protest wird weitergehen, bis die Regierung im Arabischen Meer versunken ist“, ruft der muslimische Geistliche seinen Anhängern zu. Nach dem Freispruch der Christin Asia Bibi macht Rehman mobil gegen Pakistans Führung. Am Montag kündigte der 65-Jährige mit seinem weiß-gelb gemusterten Turban einen „Marsch der Millionen“ durch die Hafenstadt Karachi an.

Pakistan kommt nicht zur Ruhe, seit das Oberste Gericht das Blasphemie-Todesurteil gegen die etwa 50-jährige Bibi aufgehoben hat. Die fünffache Mutter war 2009 nach einem Dorfstreit um ein Glas Wasser wegen Gotteslästerung angezeigt und 2010 zum Tode verurteilt worden.

Doch ihre Freilassung nach mehr als neun Jahren Haft ist nach wie vor fraglich. Die Regierung des Landes beugte sich dem Druck des islamistischen Mobs, der tagelang die Straßen des Landes unsicher gemacht hatte. Mit dabei ist Mullah Rehman.

Tausende protestieren gegen den Freispruch

Er ist Chef der religiösen Partei Jamiat Ulema-e Islam und sitzt mit Unterbrechungen seit Ende der 80er Jahre im Parlament in Islamabad. Er unterhielt enge Verbindungen zum Taliban-Regime in Afghanistan und hat sich in der Vergangenheit dafür ausgesprochen, dass das islamische Scharia-Gesetz in Pakistan eingeführt wird.

Im Moment macht Rehman gemeinsame Sache mit einem anderen islamischen Prediger: Khadim Hussain Rizvi, der 2015 eine Partei gegründet hat, die nichts anderes zum Ziel hat, als Gotteslästerer an den Galgen zu bringen und über die Einhaltung der drakonischen Anti-Blasphemie-Gesetze des Landes zu wachen, wie ein Drache über seinen Schatz.

Nach dem Freispruch Bibis zogen Rizvis Anhänger zu Tausenden durch die Straßen, randalierten, plünderten und griffen unbeteiligte Leute an. Sie riefen dazu auf, die verantwortlichen Richter und die Christin zu lynchen und die Regierung von Premier Imran Khan zu stürzen.

Religiöse Fanatiker fordern den Tod der Christin Asia Bibi.
Religiöse Fanatiker fordern den Tod der Christin Asia Bibi.
© Aamir Qureshi/AFP

Der Fall Bibi ist der erste große Test für Khan, der im August gewählt wurde. Der Regierungschef hatte sich zunächst in einer mutigen Fernsehansprache an die Bevölkerung gewendet, um harsche Kritik an den Islamisten zu üben. Doch wenig später taugten seine Worte nur noch für den Papierkorb.

Seine Regierung einigte sich mit den Islamisten. Gegen Bibi wurde ein Ausreiseverbot verhängt. „Noch eine Kapitulation“, kommentiert die Zeitung „Dawn“. Und Islamwissenschaftler Thomas K. Gugler sagt: „Der Druck auf Khan wächst dramatisch. Das Land befände sich in einer schweren Wirtschaftskrise und sei praktisch zahlungsunfähig. Der durch die religiösen Parteien entfachte Volkszorn verschärfe die Situation.

Die fragwürdige Rolle des Militärs

Pakistans mächtiges Militär hatte von Beginn an eine abwartende Haltung gegenüber den Protesten eingenommen. Damit steht die Regierung allein gegen die Islamisten, die Morgenluft wittern. Denn ohne Rückhalt des Armeechefs hat Khan kaum Möglichkeiten, Druck zu machen. Und Pakistans Armee hat wenig Interesse ihre „5. Kolonne Dschihad“ zu demontieren, die sie selbst erschaffen hat.

Denn die religiösen Fanatiker führen einen Stellvertreterkampf, ohne dass sich die Generäle im Hauptquartier in Rawalpindi die Hände schmutzig machen müssen. Ob gegen den Erzfeind Indien oder in Afghanistan – die Islamisten sind vielfältig einsetzbar.

Diese stille Allianz geht einher mit einer Radikalisierung des Landes. So wird Pakistan mit seinen 200 Millionen Einwohnern zunehmend zum Schauplatz religiöser Gewalt. Die Islamisierung einer einstmals liberalen Gesellschaft und das wachsende Netz islamischer Aufständischer erzeugen ein Klima der Angst. Zielscheibe sind religiöse Minderheiten, wie Schiiten und Christen, aber auch Menschen mit liberalen Ansichten.

Auch Saudi-Arabien spielt dabei eine unrühmliche Rolle. Mit viel Geld hat das Königreich seine erzkonservative Version des Islams in Pakistan hoffähig gemacht. Ein gutes Beispiel für diese Entwicklung sind die Verurteilungen nach den Blasphemie-Gesetzen. Bis 1986 wurden in Pakistan nur 14 derartige Urteile gefällt.

Pakistans Premier Imran Khan, hier bei einer Fernsehansprache, wird von den Islamisten in Bedrängnis gebracht.
Pakistans Premier Imran Khan, hier bei einer Fernsehansprache, wird von den Islamisten in Bedrängnis gebracht.
© Asif Hassan/AFP

Dann wandelte sich das Klima. Seither sind ungefähr 1300 Menschen wegen Gotteslästerung verurteilt worden. Religiöse Minderheiten sind überdurchschnittlich häufig betroffen. Pakistans Blasphemie-Gesetze sind nicht nur harsch, sondern auch vage. Immer wieder stellt der Nachweis von Blasphemie ein Problem dar.

Ein Mittel, um Atheisten, Andersdenkende und Minderheiten mundtod zu machen

Schon die Debatte darüber, ob eine Handlung oder eine Aussage Gotteslästerung ist oder nicht, gilt als nicht statthaft. Es bestehe schließlich die Gefahr, dabei Gott zu lästern. Im Jahr 2015 musste sich sogar ein Gericht mit der Frage befassen, ob die Kritik an Pakistans harschen Blasphemie-Gesetzen bereits Blasphemie darstellt.

Mit Hilfe der Gesetzgebung ist es einfach, Atheisten, Andersdenkende, Islam-Kritiker, Christen und andere religiöse Minderheiten zu schikanieren und zu verfolgen. Im April 2017 wurde der Student Mashal Khan von einem Mob aus Kommilitonen auf dem Campus in der Stadt Mardan gelyncht, weil er angeblich liberale Ansichten vertrat und nicht zum traditionellen Freitagsgebet ging. Hunderte Studenten prügelten und traten den 23-jährigen Journalismus-Studenten zu Tode.

Bereits der Vorwurf der Gotteslästerung bedeutet Lebensgefahr. Immer wieder kommt es zu Fällen von Lynchjustiz und Rachemorden. Alle Versuche, das Blasphemie-Gesetz zu ändern, scheiterten stets am Widerstand religiöser Hardliner, denen das Gesetz auch als Instrument dient, ihre Anhänger zu mobilisieren. Bibi, eine mittellose Feldarbeiterin, ist das Opfer dieser Politik.

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