Nach Anschlägen in Lahore: Pakistan steht vor einer Zerreißprobe
In Lahore sprengt sich ein ehemaliger Koranlehrer in die Luft und reißt 72 Menschen, darunter 35 Kinder, mit in den Tod. Seit den Anschlägen auf eine Schule im Dezember 2014 kämpft Pakistan gegen den Terrorismus, der sich gegen die Christen im Land richtet.
Der Selbstmordattentäter hat sich mit zynischem Kalkül platziert - am Haupteingang, nur wenige Meter entfernt von einem Spielplatz mit bunten Schaukeln und Karussells. Es ist früher Abend und Lahores populärer Gulshan-e-Iqbal-Park voller Familien, viele davon Christen, die den Ostersonntag mit einem Picknick feiern. Doch in Sekunden verwandeln die 20 Kilogramm Sprengstoff die fröhliche Szenerie in ein grausiges Schlachtfeld. Augenzeugen berichten von Blutlachen, von abgerissenen Armen, Beinen und Köpfen. Mindestens 72 Menschen sterben, darunter 35 Kinder. 233 Menschen werden verletzt.
Einer der schlimmsten Anschläge seit langem hat an Ostern Pakistans zweitgrößte Stadt Lahore erschüttert, die als Hochburg der christlichen Minderheit gilt. Als Täter wird der 28-jährige muslimische Religionslehrer Muhammad Yousaf Farid aus dem Süd-Punjab verdächtigt, dessen Ausweis man am Ort fand. Die Talibangruppe Jamaat-ul-Ahrar, eine besonders skrupellose Fraktion der pakistanischen Taliban, bekannte sich zu dem Blutbad. "Wir haben das Attentat begangen, weil Christen unser Ziel sind", sagte der Sprecher Ehsanullah Ehsan der Nachrichtenagentur AFP. Man plane weitere Anschläge auch auf Schulen.
"Ich sah meine Eltern, meine Schwestern und Verwandten sterben"
Am Ostermontag war das Land vor Entsetzen wie gelähmt. Ganze Familien wurden ausgelöscht. Der 27-jährige Muhammad Zubair wollte gerade Karten für die Schaukeln kaufen, als die Bombe hochgeht. Er war mit seiner zwölfköpfigen Familie im Park, nur drei überlebten. „Ich sah meine Eltern, meine Schwestern und Verwandten sterben. Alle mit einem Schlag tot“, erzählt er unter Schock der pakistanischen Zeitung Dawn.
Die Regierung rief eine dreitägige Trauerzeit aus. Premierminister Nawaz Sharif schwor, man werde erst ruhen, wenn der Terrorismus besiegt sei. „Wir werden den Kampf vor die Türen der Terroristen tragen. So Gott will, werden wir sie ausradieren.“ Das Militär nahm noch am Montag eine Reihe von Verdächtigen fest. Zugleich wurde in Pakistan Kritik an der mangelnden Sicherheit laut. Die Regierung hätte wissen müssen, dass Pakistans 2,5 Millionen Christen an Ostern besonders gefährdet seien und den Schutz erhöhen müssen. Bereits im März 2015 wurden 17 Christen bei einem Doppelanschlag auf zwei Kirchen in Lahore getötet. In 2013 starben in Peschawar über 100 Gläubige bei einer Attacke auf eine Kirche.
Wegen Blasphemie zum Tode verurteilt
Es dürfte nicht die letzte Terrorattacke sein: In Pakistan tobt ein blutiger Kampf um die Zukunft der 190 Millionen Einwohner zählenden Atommacht. Seitdem im Dezember 2014 bei einem Angriff auf eine Schule in Peschawar über 136 Kinder starben, führt das Militär einen aggressiven Feldzug gegen die Taliban in den Grenzprovinzen. Der Konflikt weitet sich aus, seit am 29. Februar diesen Jahres der Attentäter Mumtaz Qadri hingerichtet wurde.
Qadris Hinrichtung sehen viele als Zeitenwende, als Signal, das Pakistans Führung nicht länger vor den religiösen Hardlinern im Volk kuschen, sondern die Machtprobe wagen will. Der Polizist Qadri hatte Anfang 2011 den liberalen Gouverneur Salman Taseer mit 28 Schüssen ermordet, weil dieser Pakistans mittelalterliches Blasphemiegesetz kritisiert und sich für die wegen Blasphemie zum Tode verurteilte Christin Asia Bibi eingesetzt hatte.
Randalen in Islamabad
Dies könnte das Land in eine Zerreissprobe stürzen: Selbst bei seinem Begräbnis wurde Quadri noch wie ein Held gefeiert. Tausende Menschen gaben ihm das letzte Geleit. Die Unruhen dauern an. Am Sonntag kam es in Islamabad zu Straßenschlachten zwischen Soldaten und Qadri-Anhängern. Auch am Montag protestierten in Islamabads „Roter Zone“, in der Parlament und Regierung liegen, Tausende Muslime. Sie fordern, Qadri zum „Märtyrer“ zu erklären und alle wegen Blasphemie verurteilten Häftlinge zu hängen. Dies würde auch Asia Bibi treffen.
Nach dem furchtbaren Anschlag in Lahore kamen aus aller Welt Beileidsbekundungen. Der Vatikan verurteilte den Angriff als Ausdruck "fanatischer Gewalt gegen die christliche Minderheit". UN-Generalsekretär Ban Ki Moon sprach von einem "entsetzlichen Akt des Terrorismus" und forderte Pakistan auf, die Minderheiten besser zu schützen. Auch die US-Regierung und das Auswärtige Amtin Berlin verurteilten den Anschlag. "Ich bin am Boden zerstört durch das sinnlose Töten unschuldiger Menschen in Lahore", sprach die 18-jährige Friedensnobelpreisträgerin Malala Yousafzai in einem Tweet wohl vielen aus der Seele.