Die Mutter aller Fragen: Wie lange hält das Land den Stillstand aus?
Der Staat kann eine Wirtschaftskrise nicht verhindern. Deren Folgen müssen bald gegen den Nutzen des Shutdown abgewogen werden. Ein Kommentar.
Die Frage wird jeden Tag drängender, sie zu beantworten ist schwieriger als alles andere, was gerade zur Debatte steht: Wie lange wollen, müssen, können wir den Shutdown durchziehen, unter dem das ganze Land ächzt?
Es ist eine Illusion zu glauben, dass der Staat eine tiefgreifende Wirtschaftskrise verhindern kann. Das Bazooka-Krisenpaket hilft trotz der astronomischen Höhe nur, einigermaßen glimpflich durch die nächsten Wochen zu kommen. Wenn, und das ist die entscheidende Bedingung, der Shutdown nicht zu lange dauert.
Die Gesellschaft wird nach der Krise eine ärmere sein
Es ist auch eine Illusion zu glauben, dass die Gesellschaft danach eine bessere sein wird. Die Gesellschaft wird nach der Krise zunächst einmal eine ärmere sein: Menschen werden weniger Geld haben, um es auszugeben. Unternehmen werden weniger Geld für Investitionen haben. Und der Staat wird weniger Geld haben, um es für den ökologischen Umbau einzusetzen, die Digitalisierung, die Verbesserung von Pflege und anderen Sozialleistungen. Für all das, was uns so wichtig ist. Für all das, was wir uns für eine bessere Zukunft erhofft hatten.
Die Gesellschaft wird auch gespaltener sein als ohnehin schon. Denn während Wohlhabende viel Geld verlieren können, geht es bei den weniger Begüterten rasch um die Existenz: Den Job, die Wohnung, die bescheidenen Ersparnisse. Das erfahren schon jetzt die Millionen Menschen, die in bitterarmen Ländern an den Werkbänken und Produktionsbändern für die reiche Welt gearbeitet haben. Dort führt der Jobverlust zumeist direkt in die Existenzkrise, in Armut, in Hunger.
Das Krisen-Überbrückungsgeld ist keine Investition in die Zukunft
Die gewaltigen Summen, die wir derzeit ausgeben, dienen dazu, unser Land ein paar Wochen am Leben zu halten. Und uns damit die Zeit zu kaufen, die wir zuvor vertrödelt haben: Kliniken vorbereiten, Testkits besorgen, Schutzausrüstung bereitstellen, und vor allem die Ausbreitung des Virus verlangsamen. Es ist ein gigantisches Krisen-Überbrückungsgeld, nicht etwa eine direkte Investition in die Zukunftsfähigkeit der Republik.
Wie lange also noch? Wann übersteigen die Schäden durch den Stillstand den Nutzen der Virusbekämpfung? Es ist die Mutter aller Fragen, sie führt geradewegs in das schlimmste ethische Dilemma: Leben ist abzuwägen mit Wohlstand, Freiheit, sozialer Sicherheit – und damit wiederum mit Leben. Denn eine ärmer werdende Gesellschaft, so zeigen alle Untersuchungen, führt in der Konsequenz auch zu einem sich langsamer entwickelnden Gesundheitswesen, zu mehr Krankheit und kürzerer Lebenserwartung.
Die Entscheidung ist so ungleich schwerer zu treffen als das Verkünden von Freiheitseinschränkungen, dieser Wettbewerb in demonstrativer Tatkraft. Wir brauchen dafür die Virologen, wir brauchen die Ökonomen. Wer sich daran wagt, zeigt wirkliche Führungsstärke. Macron in Frankreich hat die Frage bereits aufgeworfen. In Deutschland ist es unter den Verantwortlichen noch still.
Dabei können wir die Antwort nicht allein an die Politik delegieren. In einem Land, in dem der Bürger letztlich auch Souverän ist, können wir uns nicht vor einer eigenen Einschätzung drücken. Am Ende steht für uns ja die Frage: Tragen wir die Vorgaben der Politik – oder nicht?
Die Menschen müssen bald wissen, wann der Stillstand ein Ende hat
Viel Zeit bleibt nicht. In den nächsten Tagen muss die Kanzlerin, müssen die Verantwortlichen und wir selbst unsere Hausaufgaben machen. Ökonomen wissen, dass Schäden einer Vollbremsung exponentiell steigen, je länger der Stillstand dauert. Sind es nur wenige Wochen kommen wir mit blauen Flecken davon, sind es zwei Monate oder mehr schlittern wir in eine beispiellose Rezession. Laut Ifo-Institut drohen dann Wohlstandsverluste bis zu einer halben Billion Euro.
Wir erleben gerade das größte gesellschaftliche Experiment der jüngeren Geschichte. Es dient dem höchsten Zweck: Viele tausend Leben zu retten. Deswegen ist der Shutdown so wichtig. Gleichzeitig belastet er die Bürger wie nie zuvor in Friedenszeiten. Die Menschen müssen bald wissen, wann dies ein Ende hat. Und wie dies aussehen wird.