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Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron geben vor der Presse ihren Plan bekannt.
© AFP

Durchdachter Vorstoß von Merkel und Macron: Der Corona-Fonds sorgt für EU-Streit - und hat dennoch gute Chancen

Corona-Bonds? EU-Schulden? Beides umgeht der 500-Milliarden-Plan von Deutschland und Frankreich. Trotz Widerstand könnten am Ende alle EU-Staaten zustimmen.

Es ist ein Plan, der das Zeug für eine wirtschaftliche Wiederbelebung der EU nach der Coronapandemie hat - aber auch zur Spaltung der Gemeinschaft. 

Mit ihrem Vorstoß, 500 Milliarden Euro für die EU in einem Wiederaufbaufonds bereitzustellen und dabei die Aufnahme von Schulden durch die EU in Kauf zu nehmen, haben Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron die Debatte um Hilfen für stark betroffene Länder wie Italien neu befeuert. 

Aber einige EU-Partner wie Österreichs Kanzler Sebastian Kurz wollen die Initiative aus Berlin und Paris nicht mittragen.

[Alle aktuellen Entwicklungen in Folge der Coronavirus-Pandemie finden Sie hier in unserem Newsblog.  Über die Entwicklungen speziell in Berlin halten wir Sie an dieser Stelle auf dem Laufenden.]

Was besagt der deutsch-französische Vorschlag genau?

Die Mitgliedstaaten sollen der Kommission Garantien für Kredite im Umfang von 500 Milliarden Euro geben. Die Garantien der Staaten dienen als Sicherheit für Kredite, die die Kommission in Form von Anleihen aufnimmt. Eine Garantie bedeutet, dass das jeweilige Mitgliedsland für eine bestimmte Summe haftet, sollten die Anleihen nicht mehr bedient werden.

Der Wiederaufbaufonds wird im mehrjährigen Finanzrahmen der EU (MFR) für die Jahre 2021 bis 2027 angesiedelt. Die Kommission erarbeitet die Kriterien für die Vergabe der Gelder und überwacht die Programme. Die Schulden sollen über einen verbindlichen Rückzahlungsplan getilgt werden. Die EU-Mitgliedstaaten bekommen die Gelder nicht als Kredite, sondern als Zuwendungen.

Wie teuer kommt den Steuerzahler das?

Zunächst einmal wird der Steuerzahler gar nicht belastet. Die Zinsen für die Kredite werden aus dem EU-Haushalt gezahlt. Mittelfristig werden die Mitgliedstaaten aber mehr Geld nach Brüssel überweisen müssen als bisher, damit die Schuldenlast abgetragen wird. Deutschland müsste langfristig 135 Milliarden des 500-Milliarden-Pakets schultern.

Wie verträgt sich der Vorschlag mit dem Verbot der EU, Schulden zu machen?

Das Verbot, Schulden zu machen, bleibt bestehen. Es wird eine rechtliche Konstruktion gefunden, die rechtskonform ist. Genau genommen verschuldet sich natürlich die EU. Über die Konstruktion durch die Garantien sind es aber die Mitgliedstaaten, die das Haftungsrisiko tragen. Kritiker werden in der Konstruktion des Fonds daher einen Einstieg in die Vergemeinschaftung von Schulden sehen.

Tatsächlich ist es nicht das erste Mal, dass in Europa über Garantien der Staaten hohe Summen mobilisiert werden. Der Wiederaufbaufonds soll über den gleichen Mechanismus finanziert werden wie das erste Griechenlandpaket und wie das gerade beschlossene Programm für Kurzarbeiterregelungen (Sure) in den Mitgliedstaaten. Allerdings ist diesmal das Volumen mit 500 Milliarden Euro so hoch wie noch nie zuvor. Es entspricht mehr als zwei EU-Jahreshaushalten zu normalen Zeiten.

Worin besteht der Unterschied zu Corona-Bonds?

Die Idee bei Corona-Bonds bestand darin, dass in der Krise europäische Gemeinschaftsanleihen am Markt platziert werden, die das Zinsrisiko für klamme Länder wie Italien gemindert hätten. Allerdings hätte Deutschland nach diesem Modell auch für die Schulden anderer Staaten gehaftet. 

Dies ist bei Merkels und Macrons Plan für den Wiederaufbaufonds anders: Hier gilt nur eine teilschuldnerische Haftung. Berlin müsste also bei der Rückzahlung der EU-Schulden nicht für den Anteil Italiens aufkommen. Ein weiterer Unterschied zu den Corona-Bonds besteht darin, dass beim Wiederaufbaufonds die Entscheidung über die Verwendung der Mittel nicht bei den Mitgliedstaaten, sondern bei der Kommission liegt.

Zudem ist nicht damit zu rechnen, dass nun Euro-Bonds durch die Hintertür kommen. Derartige von Deutschland nach der Finanzkrise verhinderten Gemeinschaftsanleihen wären auf eine Vergemeinschaftung von Altschulden hinausgelaufen. Davon kann bei dem deutsch-französischen Vorstoß keine Rede sein.

Wie verträgt sich der Vorschlag mit den Plänen der EU-Kommission?

Die Finanzkonstruktion – Mobilisierung von Krediten über Garantien der Mitgliedstaaten – ist gleich. Darüber hinaus gibt es gravierende Unterschiede: Die Kommission wollte ein Notfallinstrument schmieden, Macron und Merkel möchten das Geld ganz normal in den bestehenden Programmen des EU-Haushaltes zur Auszahlung bringen. 

Die Kommission wollte den Fonds unbegrenzt laufen lassen. Dagegen bestehen die Kanzlerin und der Präsident auf einer genau definierten zeitlichen Befristung.

Wie wird die Kommission mit dem Vorschlag umgehen?

Nächste Woche will die EU-Kommission mit mehrwöchiger Verspätung ihren Vorschlag für den mehrjährigen EU-Haushalt und den Wiederaufbaufonds vorlegen. Der deutsch-französische Vorschlag fährt EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nun in die Parade. 

Sie dürfte aber erkennen, dass das Merkel-Macron-Papier aus Sicht der Kommission durchaus Charme hat: Zum einen stehen mit Deutschland und Frankreich die beiden größten Mitgliedstaaten, die knapp die Hälfte der EU-Wirtschaftsleistung verkörpern, hinter dem Konzept. Zum anderen dürften gute Chancen auf eine Zustimmung im Europaparlament bestehen. Das Parlament soll mitentscheiden dürfen über die Mittelverwendung.

Wie wahrscheinlich ist, dass alle 27 EU-Staaten dem Plan zustimmen?

Hoch. Im Rat gibt es vier Lager: Die von der Krise besonders gebeutelten Südeuropäer signalisieren Zustimmung, weil sie das Geld brauchen und ihnen Zuwendungen lieber als Kredite sind. Die von der medizinischen Krise nicht so schwer getroffenen Osteuropäer wollen nur zustimmen, wenn sie keine Abstriche bei den Struktur-Agrarhilfen machen müssen. Diese Unterschiede sollten überbrückbar sein.

Deutlichere Ablehnung kommt hingegen aus Dänemark, Österreich, Schweden und den Niederlanden. Besonders kritisch zeigte sich Österreichs Kanzler Kurz, der die Vergabe von Zuschüssen aus dem Wiederaufbaufonds ablehnt. 

Beobachter gehen aber davon aus, dass sich das noch ändern dürfte, wenn ein Teil der Gelder nur als Darlehen ausgezahlt wird. Kurz kündigte derweil an, dass ein Gegenentwurf zum deutsch-französischen Vorstoß, den er mit mehreren Ländern plant, "in den nächsten Tagen" vorgestellt werden solle.

Wie wichtig ist der Plan für den Neustart des deutsch-französischen Motors?

Zu Beginn der Pandemie wirkte es, als würden Deutschland und Frankreich eher gegen- als miteinander agieren: Von gegenseitiger Solidarität bei der Versorgung mit Mund-Nase-Masken konnte keine Rede sein, und auch die Abstimmung bei der Grenzschließung im März funktionierte nicht. 

Dabei hatten beide Seiten ein gutes Jahre zuvor den Aachener Freundschaftsvertrag geschlossen, der die grenzüberschreitende Zusammenarbeit fördern soll. Auch im Streit um europäische Corona-Hilfen vertraten Berlin und Paris zunächst entgegengesetzte Positionen. 

Während sich Macron zum Fürsprecher des italienischen Regierungschefs Giuseppe Conte machte und die Einführung von Corona-Bonds verlangte, lehnte Merkel dies ab und vertrat damit die Mehrheitsmeinung unter den 27 EU-Staaten.

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Umso wichtiger ist es daher, dass das deutsch-französische Duo mit der gemeinsamen Initiative wieder Tritt gefasst hat. Zudem hat Macron, der lange Zeit zu den wenigen Politikern in der EU gehörte, die großangelegte Reformen in der EU fordern, die Kanzlerin auf seine Seite gezogen. 

Merkel schloss bei der Pressekonferenz mit dem französischen Staatschef für die Zukunft sogar eine Änderung der EU-Verträge nicht aus. Denkbar ist etwa angesichts der Erfahrungen mit der Pandemie ein Vorstoß, die Gemeinschaft künftig mit größeren Kompetenzen in der Gesundheitspolitik auszustatten.

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