Veranstaltungsreihe "Welt im Wandel": Wie kann man Jugendliche vor der Radikalisierung bewahren?
Junge Menschen in den Fängen islamistischer Gruppen: Das war das Thema einer Veranstaltung des Tagesspiegels und der Deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ). "Tat verdammen, den Täter nicht", war ein Ergebnis der Diskussionsrunde.
Krieg, Waffen, Terror: Die Faszination für den Islamischen Staat (IS) hat bereits hunderte Jugendliche dazu getrieben, Deutschland in Richtung Syrien oder Irak zu verlassen. Was treibt sie in die Reihen radikaler Kämpfer und gibt es Möglichkeiten, sie zur Rückkehr zu bewegen - oder gleich ganz davon abzuhalten? Darüber sprachen Claudia Dantschke von der Berliner Beratungsstelle Hayat und Masood Karokhail, Leiter der afghanischen Nichtregierungsorganisation "The Liaison Office", am Montagabend im Rahmen der Reihe "Welt im Wandel". Mohamed Amjahid vom Tagesspiegel moderierte die Diskussion.
"Der politische Salafismus bereitet uns große Probleme", sagte Dantschke vor voll besetzten Zuschauerreihen im Redaktionsgebäude des Tagesspiegels. Er sei Teil der Popkultur geworden, mit Rap-Videos oder Comics wie "Supermuslim" würden Jugendliche direkt angesprochen. Außerdem legten radikale Propagandisten den Islam so aus, dass Gewalt legitim und gerecht erscheint.
Sinnsuche und Minderwertigkeitsgefühle
Masood Karokhail berichtete, dass afghanische Jugendliche Hymnen der Taliban auf ihren Handys abgespeichert haben und Bilder von Sieges- und Folterszenen über soziale Medien verschickt werden. Wie viele junge Menschen in seinem Land bereits zu den militanten Kämpfern übergelaufen sind, konnte der Forscher nicht sagen - offizielle Zahlen existieren nicht. Er geht von bis zu 30.000 jungen Frauen und Männern aus, vor allem in ländlichen Regionen geraten sie demnach leicht in die Fänge der Extremisten. "Aber wir beobachten das auch zunehmend in den Städten." Die Ursachen für die Radikalisierung junger Afghanen seien vielfältig: Manchmal schürten die Familien extreme Einstellungen, oft sind die Jugendlichen frustriert von Korruption und staatlichen Missständen oder entwickelten Hass auf die stationierten ausländischen Streitkräfte. Viele seien auch entwurzelt und traumatisiert, zögen als Binnenflüchtlinge durchs Land.
Aus Deutschland sind bislang etwa 650 Jugendliche ausgereist, um sich islamistischen Terrorgruppen anzuschließen. "Die Dunkelziffer liegt aber bei 800 bis 1000, allein in Berlin wurden schon 90 Jugendliche gezählt", sagte Claudia Dantschke. "Sie fühlen sich oft unverstanden, minderwertig und suchen Sinn, Anerkennung und Geborgenheit." Radikale Prediger würden ihnen religiöse Antworten zu ihren Sorgen liefern und ihnen das Gefühl geben, besser als andere Muslime zu sein. "Plötzlich stehen sie auf der Seite der vermeintlichen Sieger, der Stärkeren", erklärte die Arabistin.
Mainstream-Muslime als erstes Feindbild
Deshalb arbeite sie etwa mit Hesham Shashaa, einem konservativen Imam zusammen. "Schlips-und-Kragen-Imame kommen an gefährdete Jugendliche gar nicht mehr ran, weil Mainstream-Muslime meist das erste Feindbild sind." Die religiösen Führer können da ansetzen, wo auch die Propaganda wirkt - im religiösen Verständnis. "Die Paradiesverheißung ist ein Top-Thema in der radikalen Weltsicht, da kann man nicht mehr rational diskutieren."
Auch Masood Karokhail hat die Moscheen und Gemeinden im Blick, setzt aber vor allem auf die traditionellen Strukturen der Dörfer, die immer noch großen Einfluss haben. "Wenn wir den Dorfältesten nicht von unserer Arbeit überzeugen können, haben wir es schwer." Mit Sport- und Bildungsprojekten versuche seine Organisation, den Jugendlichen das Gefühl zu vermitteln, dass sie nicht allein sind und dass der Verfassungsstaat wichtig ist.
Rückkehr aus Heimweh
Dantschke setzt besonders auf die Familien, mittlerweile melden sich besorgte Eltern auch selbstständig in der Beratungsstelle von Hayat. Sind ihre Kinder bereits im Ausland, seien sie oft der einzige Weg, um an die Jugendlichen heranzukommen. "Das Kind weiter lieben, aber die Tat ablehnen - das ist ganz wichtig." Wenn die Kinder Heimweh und Sehnsucht nach ihren Eltern bekommen, gebe es eine Chance, sie zur Rückkehr zu bewegen. Die wenigen, die desillusioniert wieder nach Deutschland gekommen sind, versucht Dantschke für die Präventionsarbeit zu gewinnen.
Dantschke engagiert sich auch beim Aussteiger Projekt "Exit", das Rechtsextremen bei der Resozialisierung hilft. Die Expertin sieht Parallelen zwischen ihrer Arbeit mit ehemaligen Islamisten und Rechtsextremen, es gehe immer um einen Minderwertigkeitskomplex bei den Betroffenen, den man aufheben müsse.
Beide Experten appellierten schließlich gemeinsam dafür, mehr für gefährdete Jugendliche zu tun. "Da geht es auch um Opferschutz, schließlich wird verhindert, dass anderen Menschen Leid zugefügt wird", betonte Claudia Dantschke. Es brauche aber viel Zeit, um langfristig erfolgreich gegen die radikale Islamisierung vorzugehen, fügte Masood Karokhail an. Die Arbeit mit Jugendlichen sei dafür die Wurzel.