Altersvorsorge: Wie kann die Politik die Rente retten?
Das Rentenniveau droht drastisch zu sinken. Von der Flexirente bis zur Beitragserhöhung sind verschiedene Gegenmaßnahmen im Gespräch. Ohne Schmerzen geht es nicht.
Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium schlägt Alarm. Die soziale Sicherung wird immer teurer, warnen die Wissenschaftler in ihrem am Donnerstag vorgelegten Gutachten. Die alternde Bevölkerung hat ihren Preis: Weil immer weniger Junge immer mehr Rentner finanzieren müssen, sinkt die Rente – oder die Beiträge explodieren.
Auch die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung werden ohne Beitragserhöhungen nicht auskommen, warnen die Experten. Sie sehen die Sozialversicherungsbeiträge bis zum Jahr 2040 bei 54 Prozent und damit weit entfernt von dem Ziel der Bundesregierung, den Gesamtbeitragssatz unter 40 Prozent zu halten. Ein solcher Anstieg würde „die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft schwer schädigen und zu einer massiven Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland führen“, heißt es in dem Gutachten.
Was ist das Problem?
Eigentlich ist es eine gute Sache: Die Menschen in Deutschland werden immer älter. Alle zehn Jahre steigt die Lebenserwartung um zwei Jahre, sagt Axel Börsch-Supan, Direktor des Max-Planck-Instituts für Sozialrecht und -politik. Für die sozialen Sicherungssysteme ist das jedoch eine Herausforderung: Die Ausgaben für die Kranken- und Pflegeversicherung steigen, auch in der Rentenversicherung wird es ohne Reformen nicht gehen. 40 Jahre arbeiten, 20 Jahre Rente – so lautet die Faustformel.
Aber wer soll das bezahlen, wenn die Menschen künftig nicht mehr 20, sondern 30 Jahre lang Rente beziehen? Darüber streitet die Politik. Im November will Bundessozialministerin Andrea Nahles ein umfassendes Rentenkonzept vorlegen. Am Dienstag trifft sich die SPD-Politikerin mit Spitzenvertretern von Arbeitgebern, Gewerkschaften und Sozialverbänden zum Rentendialog, am Donnerstag will sich der Koalitionsausschuss mit der Rentenrettung beschäftigen.
Was ist mit der Flexirente?
Ein Projekt ist bereits auf dem Weg: Am Donnerstag hat sich der Bundestag – auf Initiative der Fraktionen – in erster Lesung mit der Flexirente befasst. Diese soll einen flexibleren Renteneinstieg und -bezug ermöglichen. Wer über das gesetzliche Rentenalter hinaus arbeitet, kann seine Rente erhöhen. Wer schon mit 63 kürzertreten will, kann künftig flexibler als heute Teilrente und Teilzeitarbeit kombinieren.
Aber: Die Flexirente mag dem Einzelnen Erleichterungen bringen, eine Lösung für die großen Rentenprobleme ist sie nicht.
Welche Möglichkeiten hat die Politik?
Um die gesetzliche Rente zu reformieren, gibt es drei Stellschrauben: den Rentenbeitrag, das Rentenniveau und das Rentenalter. An welcher man dreht, ist eine politische Entscheidung. Wenn das Rentenniveau – das Verhältnis der Rente nach 45 Jahren Arbeit zum Durchschnittseinkommen – auch für künftige Rentner bei den heutigen 47,8 Prozent stabilisiert werden soll, muss der Rentenbeitrag nach jüngsten Berechnungen des Bundessozialministeriums von derzeit 18,7 Prozent auf 26,4 Prozent steigen. Die Arbeitgeber wollen das nicht mitmachen und warnen vor einer „Überforderung für Beschäftigte und Arbeitgeber“.
Zweite Möglichkeit: das Rentenniveau. Subventionieren Beitrags- und Steuerzahler das Rentenniveau nicht, wird der Lebensstandard für künftige Ruheständler sinken. Nach Ministeriumsberechnungen sinkt das Rentenniveau bis zum Jahr 2045 auf 41,6 Prozent – ohne zusätzliche Vorsorge müssen Rentner von morgen Abstriche beim Lebensstandard hinnehmen. Vor allem die Gewerkschaften wollen das verhindern und das Rentenniveau verteidigen oder sogar noch ausbauen. Relevant wird das vor allem für Menschen, die 2030 oder später in Rente gehen. Bis dahin ist nämlich ein Rentenniveau von 43 Prozent gesetzlich garantiert, genauso übrigens wie die Rentenbeiträge, die bis 2030 auf maximal 22 Prozent steigen dürfen.
Müssen wir länger arbeiten?
Der Wissenschaftliche Beirat plädiert dafür, die Lebensarbeitszeit zu verlängern. Der Prozess ist bereits im Gange. Neurentner müssen schon jetzt immer länger arbeiten, bis sie ihre Rente ohne Abschläge bekommen können. 2031 ist die Anpassung beendet und das gesetzliche Renteneintrittsalter auf 67 Jahre erhöht.
Den Beratern von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) reicht das aber nicht. Sie schlagen eine dynamische Anpassung für die Zeit nach 2031 vor: In Fünf-Jahres-Schritten soll die Lebensarbeitszeit der längeren Lebenserwartung angepasst werden. Für zwei Jahre mehr Arbeit soll es ein weiteres Rentenbezugsjahr geben. Steigt die Lebenserwartung im bisherigen Tempo an, müssten Neurentner des Jahres 2046 bis zum 69. Lebensjahr arbeiten.
In der Politik hält sich die Begeisterung in Grenzen. Gabriel sei von der neuen 2:1-Formel nicht begeistert, gesteht der Beiratsvorsitzende Hans Gersbach ein. Aber auch bei Nahles dürften die Experten auf Skepsis stoßen. „Mein Vater war Maurer und ist mit 73 Jahren gestorben“, hatte die Ministerin im Frühling der „Bild“ gesagt. „Wenn mir da einer mit Arbeiten bis 70 kommt, werde ich sauer“.
Muss man zusätzlich vorsorgen?
Ja. Ohne zusätzliche Vorsorge über den Betrieb oder aus eigener Tasche wird man seinen Lebensstandard nicht halten können, das ist klar. Daher erwarten Beobachter, dass Nahles’ Rentenpaket auch ein Kapitel über die Riester-Rente enthalten wird. Bei der Betriebsrente ist man schon weiter. Nahles und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) haben sich bereits auf die Grundzüge einer Reform geeinigt.
Vor allem Geringverdiener sollen mehr über den Betrieb vorsorgen. Das soll mit steuerlichen Zuschüssen erreicht werden. Zudem soll die Betriebsrente nicht mehr in vollem Umfang mit der Grundsicherung verrechnet werden. Eine neue Haftungsfreistellung soll vor allem kleineren Arbeitgebern die Angst vor der Betriebsrente nehmen. Arbeitgeber und Gewerkschaften sollen sich in Tarifverträgen auf Modelle einigen können, nach denen die Arbeitgeber nur noch für die Beiträge, aber nicht mehr für die spätere Rente haften – zum Missfallen der Gewerkschaften.
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