Der US-Präsident und der Irankonflikt: Wie Joe Biden den Atomstreit entschärfen will
Donald Trump setzte im Atomstreit mit dem Iran auf „maximalen Druck“ – sein Nachfolger Joe Biden will dagegen verhandeln. Kann das gelingen?
Joe Biden macht sich in Sachen Nahost an die Arbeit. Der US-Präsident will möglichst bald mit Verbündeten über einen Neuanfang in den Beziehungen zu Teheran sprechen. Das brisante, weil konfliktreiche Thema werde in ersten Kontakten mit den Partnern der USA zur Sprache kommen, sagte Präsidialamtssprecherin Jen Psaki kurz nach Bidens Vereidigung am Mittwoch.
Mit der Ankündigung zeichnen sich bereits die Konturen seines neuen Kurses ab. Biden sucht den Schulterschluss mit den Partnern beim Versuch, verschärfte Regeln mit langer Geltungsdauer für Teherans Atomprogramm auszuhandeln. Trotz der Abkehr von der Politik des „maximalen Drucks“ unter Vorgänger Donald Trump gilt eine schnelle Lösung des Streits mit dem Iran allerdings als unwahrscheinlich.
USA – verhandeln unter Bedingungen
Die USA, Europa und viele Staaten im Nahen Osten befürchten, dass der Iran eine Atombombe bauen will. Im Nuklearabkommen von 2015 stimmte Teheran im Gegenzug für den Abbau von Wirtschaftssanktionen engen Grenzen für sein Atomprogramm zu. Trump kündigte den Vertrag im Jahr 2018 auf und überzog die Islamische Republik mit neuen Sanktionen.
Biden will nun den Vertrag neu beleben, wenn der Iran aufhört, gegen die Vereinbarung zu verstoßen. In Verhandlungen will die US-Regierung strengere Vorschriften verankern. Weil einige Regeln der alten Übereinkunft bereits in drei Jahren auslaufen, will Biden auch durchsetzen, dass die Regeln länger gelten.
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Über Irans Raketenprogramm, das auch außerhalb der Region als Bedrohung empfunden wird, soll ebenfalls gesprochen werden. Bidens künftiger Außenminister Antony Blinken betont zudem, dass sich Washington mit Verbündeten am Persischen Golf absprechen werde.
Mit dieser Taktik will Biden einerseits Gesprächsbereitschaft zeigen, andererseits den amerikanischen Nahost-Verbündeten die Sorge nehmen, dass der Iran durch neue Gespräche gestärkt werden könnte. Nicht zuletzt wegen der anti-iranischen Stimmung im Kongress braucht der US-Präsident Zugeständnisse aus Teheran, etwa bei der Urananreicherung, um Verhandlungen anschieben zu können. Davon ist bisher nichts zu sehen.
Iran – Machtkampf und Wahlkampf
Irans Präsident Hassan Ruhani fordert, die USA müssten nach dem Ende der Amtszeit des „Tyrannen“ Trump den ersten Schritt tun. Ruhanis Lager der vergleichsweise gemäßigten Kräfte kämpft vor der Präsidentenwahl im Juni mit den Hardliner um die Macht – und gerät dabei immer mehr in die Defensive.
So verpflichtete das von den Verfechtern eines harten Kurses dominierte Parlament die Regierung kürzlich zu einer höhere Urananreicherung. Ruhani hatte sich klar dagegen ausgesprochen. Er muss dringend Erfolge – zum Beispiel in Form einer Abmilderung der Sanktionen – vorweisen, wenn er Bewegung in der Atomfrage rechtfertigen und sein moderates Lager stärken will.
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Ein neuer Präsident aus den Reihen der Hardliner wäre wahrscheinlich deutlich weniger gewillt als Ruhani, auf Biden zuzugehen. Die mächtige iranische Revolutionsgarde droht nach wie vor mit Rache für den US-Mordanschlag auf ihren General Qassem Soleimani vor einem Jahr.
Nur Revolutionsführer Ali Chamenei, mächtigster Mann im Land, könnte Gespräche mit Biden absegnen. Chamenei gehört zwar zu den erklärten Feinden Amerikas, hatte den Gemäßigten aber den Abschluss des Atomvertrages von 2015 erlaubt. Kürzlich ließ er über einen Berater verkünden, sein Land sei zu Verhandlungen bereit, sofern die Androhung einer Rückkehr zu allen früheren Strafmaßnahmen vom Tisch genommen werde.
Europa – hoffen auf Verständigung
Für Deutschland, Frankreich und Großbritannien als Partner des Atomvertrages ist die Haltung der neuen US-Regierung ein Lichtblick nach den dunklen Jahren, die Trumps Ausstieg aus dem Abkommen folgten. Die Europäer wollen an dem Deal festhalten, weil sie Anreize für den Iran durch Sanktionsabbau für wirksamer halten als Trumps „maximalen Druck“.
Nach Bidens Amtsantritt besteht nun zumindest in dieser Frage wieder ein transatlantischer Konsens. Wirklich mitzuentscheiden hat Europa jedoch nicht.
Israel und die Golfstaaten – Allianz gegen die Mullahs
Bidens Wahlsieg war für einige Staatenlenker im Nahen Osten nicht unbedingt eine gute Nachricht. Mit Trump wussten vor allem die Monarchien am Golf und Israel einen mächtigen Mann an ihrer Seite, der wie sie für einen harschen AntiIran-Kurs stand. Nun hat in Washington einer das Sagen, der sich nicht ohne Wenn und Aber an ihre Seite stellen wird. Einer, der auf Kompromisse statt auf Konfrontation setzt.
Das behagt Saudis, Israelis und Emiratis gar nicht. Sie lehnen ein wie auch immer geartetes Abkommen mit den Mullahs strikt ab. Aus ihrer Sicht strebt Teheran nach einer Atomwaffe und hält an einem expansiven Kurs in der Region fest. Beides wird als Bedrohung empfunden.
Aber weder Israels Premier Benjamin Netanjahu noch Saudi-Arabiens Kronprinz Mohammed bin Salman wollen es sich mit Biden verscherzen. Zu wichtig sind die USA als Verbündeter. Nur: Allein auf Amerika verlassen möchte man sich auch nicht.
Schon lange sind Israelis und Saudis dabei, eine Allianz gegen den gemeinsamen Erzfeind Iran zu schmieden – und Überzeugungsarbeit in Washington zu leisten. Berichten zufolge will Netanjahu ein Team nach Amerika schicken, um Biden davon zu überzeugen, dass Gespräche mit Teheran der falsche Weg sind.