Vier Gründe: Wie Israel zur Hightech-Großmacht wurde
Das Heilige Land Israel ist in wenigen Jahrzehnten zu einem führenden Standort für die digitale Industrie aufgestiegen. Vier Gründe, wie das gelingen konnte.
Welch ein Coup! Am vergangenen Montag ließ das FBI die Welt wissen, dass man es mit Unterstützung eines „externen Partners“ geschafft habe, die Verschlüsselung des iPhones zu knacken. Den Namen des Helfers verschweigt die US-Ermittlungsbehörde bisher.
Doch wenige Stunden nach Veröffentlichung der Erfolgsmeldung machten Gerüchte die Runde, die Ermittler hätten vom israelischen Unternehmen Cellebrite einen Tipp bekommen. Eine offizielle Stellungnahme der Israelis steht zwar noch aus, doch sollten sie tatsächlich an der Entschlüsselung beteiligt gewesen sein, wäre das alles andere als eine Überraschung.
Denn der Staat Israel mag deutlich weniger Einwohner als Bayern zählen – wenn es aber um Sicherheitstechnologien geht, spielen die Unternehmen des Landes seit Jahren weltweit in der ersten Liga. Vier Gründe, warum der bitterarme Agrarstaat am Mittelmeer zu einem führenden Wirtschaftsstandort aufsteigen konnte.
1. DIE ARMEE
Die Firmen Check Point, FST Biometrics und Palo Alto Networks haben zwei Dinge gemeinsam. Zum einen gehören sie zu den weltweiten Marktführern bei Software-Anwendungen für Netzwerk- und Datensicherheit. Andererseits waren an ihrer Gründung allesamt Unternehmer beteiligt, die zuvor in der israelischen Armee gedient hatten.
Genauer gesagt: in der legendären Eliteeinheit 8200 zur Fernmelde- und elektronischen Aufklärung. „Es gibt so gut wie kein führendes TechUnternehmen in Israel, in dem nicht ein ehemaliger Soldat der Einheit 8200 mitarbeitet oder der an der Unternehmensgründung beteiligt war“, sagt Yair Cohen, ein früherer Kommandeur der Einheit.
Die israelischen Streitkräfte hätten schon vor Jahrzehnten erkannt, dass Kriege längst nicht mehr mit Soldaten und Waffen zu gewinnen seien – und hätten deshalb viel Geld und Arbeitskraft in die digitale Aufrüstung gesteckt. „Wir leben in einer Welt, in der der Cyberspace zum größten Kampfplatz geworden ist. In jeder Minute werden 500 Millionen Cyberattacken verübt – tagtäglich.“ Das zwinge die Armeen dieser Welt zum Umdenken. „Israelische Kampfjets haben im Sechstagekrieg innerhalb von drei Stunden die gesamten feindlichen Luftstreitkräfte außer Gefecht gesetzt“, sagt er.
„Wir können heute davon ausgehen, dass in künftigen Kriegen Ähnliches mit einem einzigen Knopfdruck und dem Einsatz von Cyberwaffen möglich sein wird.“
Doch nicht nur bei den Soldaten dieser Eliteeinheit, auch in vielen anderen Armee-Bereichen werden gezielt technisches Wissen und analytische Fähigkeiten gefördert, sagt Ester Levanon, die ehemalige Chefin der israelischen Börse TASE. „Durch den Wehrdienst erhalten viele Israelis schon im jungen Alter die Chance, sich bei großen Technologieprojekten zu beweisen“, sagt sie. „Wenn sie den Wehrdienst dann erst mal abgeschlossen haben, nutzen viele das erworbene Wissen, um ihr eigenes Unternehmen zu gründen.“
2. DIE BILDUNG
Die erste Regierungschefin des Judenstaates, Golda Meir, pflegte zeitlebens ein ambivalentes Verhältnis zum jüdischen Propheten Moses: „Er hat uns 40 Jahre lang durch die Wüste geschleppt, um uns an den einzigen Ort im Nahen Osten zu bringen, an dem es kein Öl gibt“, beschwerte sie sich einmal.
Zwar wurden vor der israelischen Küste vor einigen Jahren mittlerweile stattliche Erdgasvorräte entdeckt und Meirs Groll auf Moses scheint somit unbegründet. Dennoch, der Rohstoff für Israels Entwicklung hin zum Hightech-Standort waren weder Gas noch Öl, sondern Bildung.
Schon seit Jahren landet der Judenstaat bei internationalen Vergleichen regelmäßig auf den ersten Plätzen. Nach einem Bericht der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) lagen die Bildungsausgaben 2015 gemessen am Bruttoinlandsprodukt bei 6,5 Prozent, Deutschland kam auf 5,4 Prozent, der Durchschnitt der OECD-Länder lag bei 5,2 Prozent.
Und diese Investitionen zahlen sich aus. Fast die Hälfte der Israelis im Alter zwischen 25 bis 65 haben nach OECD-Daten einen Hochschulabschluss – weit mehr als im Durchschnitt der OECD-Staaten (35 Prozent). Die internationale Wirtschaft ist auf dieses Potenzial längst aufmerksam geworden.
Egal, ob Microsoft, Google, IBM, Cisco, Siemens oder Intel: Alle wichtigen Techkonzerne der Welt sind mittlerweile mit eigenen Forschungszentren in Israel vertreten.
Die Politik hat es allerdings nicht bei den hohen Bildungsausgaben belassen, sondern darüber hinaus Anreizsysteme geschaffen, um Industrie und Forschung eng miteinander zu verbinden. So laufen im Büro des sogenannten Chief Scientist, einem verlängerten Arm des Wirtschaftsministeriums, alle Fäden zusammen. Förderprogramme beispielsweise werden zentral koordiniert und Fördergelder vergeben, wo in Deutschland viele zuständig sind.
„In Israel gibt es eine sehr enge Verzahnung zwischen Start-ups und Forschungseinrichtungen, vor allem aber auch Industrie“, beschreibt Florian Nöll, Chef des Bundesverbands Deutsche Start-ups den entscheidenden Erfolgsfaktor der israelischen Wirtschaft.
3. DIE ZUWANDERUNG
Wer nach Jerusalem kommt, kann in der „Bar Putin“ dem russischen Präsidenten mit einem Glas Wodka zuprosten, und wen es nach Aschdod verschlägt, wird an jeder Ecke Pelmeni, Borschtsch und andere russische Spezialitäten entdecken. Keineswegs zufällig ist die kleine Küstenstadt unter Israelis auch als „Klein-Moskau“ bekannt.
Der Staat Israel hat in den sieben Dekaden seiner Existenz viele Einwanderungswellen miterlebt, aber nur wenige haben ihn derart geprägt wie die Zuwanderung aus Osteuropa. Kein Wunder: Mehr als eine Million Menschen sind seit Ende des Kalten Krieges aus Russland und den anderen Staaten der früheren Sowjetunion nach Israel eingewandert – ein Bevölkerungszuwachs um gut 15 Prozent.
Die Integration der Neuankömmlinge stellte das kleine Land allerdings zunächst vor eine ökonomische Mammutaufgabe: Alleine in den 90er Jahren führte der Zuzug dazu, dass die Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter um 15 Prozent anstieg. Die Arbeitslosenquote war unter den Neuankömmlingen daher anfangs hoch, mehr als jeder zweite Migrant war 1990 ohne eigenes Einkommen.
Durch ein entschlossenes Vorgehen der Regierung, durch Sprachkurse und zahlreiche weitere öffentliche Integrations-Programme gelang es, den Ansturm von neuen Bürgern zu bewältigen. Bereits 1992 war die Erwerbstätigenquote von russischen Migranten und der in Israel geborenen Bevölkerung nahezu identisch.
Erleichtert wurden die Integrationsanstrengungen der Politik durch das hohe Bildungsniveau der Einwanderer. Zehntausende Ärzte und Ingenieure machten in den vergangenen 30 Jahren Israel zu ihrer neuen Heimat und halfen dabei, das Land in einen weltweit führenden Technologiestandort zu verwandeln.
Wie aus Zahlen des Wirtschaftsministeriums hervorgeht, haben Produkte aus den technologienahen Industrien mittlerweile einen Anteil von rund der Hälfte sämtlicher israelischer Ausfuhren. Gleichzeitig sind 20 Prozent der Beschäftigten in diesem Sektor Immigranten aus Staaten der früheren Sowjetunion, wie aus Daten des israelischen Ministeriums für die Aufnahme von Einwanderern hervorgeht.
4. DIE MENTALITÄT
Nicht zuletzt ist es auch die Mentalität der Menschen, die das israelische Hightech-Wunder ermöglicht haben. Davon ist zumindest der Physiker und Nobelpreisträger Dan Shechtman überzeugt, der neben seiner akademischen Grundlagenforschung seit drei Jahrzehnten auch Studenten die Gründung von Unternehmen lehrt und sie berät. „Wir Israelis sind ein furchtloses Volk“, sagt er, „Deshalb sind wir erfolgreich in den Wissenschaften, und deshalb werden in diesem Land auch so viele Unternehmen gegründet. Die Furcht vor dem Scheitern, die Furcht davor, eine Schande für sich selbst und die Familie zu sein, gibt es bei uns nicht.“ Wer es in Israel versaue, so Shechtman, sei ein bisschen schlauer und fängt noch mal von vorne an. „Genau das ist es, was ich meinen Studenten seit Jahren beibringe.“
Shechtman scheint mit seinen Lehren erfolgreich gewesen zu sein. „Früher wollten jüdische Mütter, dass ihre Töchter und Söhne Ärzte oder Anwälte werden.“ Das aber habe sich geändert. Heute hoffe die israelische Mutter darauf, dass der Nachwuchs recht bald nach Kappen der Nabelschnur beim Gewerbeamt vorstellig wird. „Wer sich heute an eine israelische Supermarktkasse stellt, hört stolze Mütter davon berichten, dass ihre Kinder gerade damit beschäftigt sind, ein Unternehmen zu gründen.“
Johannes C. Bockenheimer