„Dilettantismus gibt es schon genug“: Wie Fridays for Future sich im Nahost-Konflikt verzetteln
Nicht nur Greta Thunberg ergreift einseitig Partei im neuen Nahost-Konflikt. Experten warnen vor einem Glaubwürdigkeitsverlust der Klimaschutzbewegung.
Wenn man so will, erleben Fridays for Future gerade die Wachstumsschmerzen einer sozialen Bewegung. „Die Materie ist meiner Meinung nach für Fridays for Future die völlig falsche. Da kann man im Grunde nur in Fettnäpfchen treten, insbesondere wenn man keine Expertise dazu hat“, sagt der Politikwissenschaftler und Emeritus des Wissenschaftszentrums Berlin, Wolfgang Merkel.
Wenn Teile einer sozialen Bewegung, die bisher für ein ganz anderes Thema - Klimaschutz - stehe, sich so im Konflikt zwischen Israel und Palästinensern positioniere, verspiele sie Glaubwürdigkeit. Weil sie auf diesem anderen Feld "überhaupt keine Autorität hat."
Losgegangen war es damit, dass einige der jungen Klimaschutzaktivisten einseitig Partei ergriffen für die palästinensische Seite, obwohl die radikal-islamische Hamas im Verbund mit anderen terroristischen Gruppen seit Tagen israelische Städte bombardiert.
Und nun rumort es auch innerhalb der deutschen Sektion, nachdem über den offiziellen internationalen Instagram-Account von Fridays for Future ein Post geteilt worden war, in dem zum Boykott israelischer Waren und zu harten Sanktionen aufgerufen wird. Damit solidarisierte man sich mit der umstrittenen BDS-Kampagne (Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen), die Israel vorwirft, dass sie die Palästinenser unterdrücken und deren Land durch den fortgesetzten Siedlungsbau besetzen.
Auch die Schwedin Greta Thunberg geriet in das Kreuzfeuer der Kritik, weil sie einen Tweet der BDS-Unterstützerin Naomi Klein teilte. Als ihr vorgeworfen wurde, damit den Terror der radikalislamischen Hamas zu legitimieren, stellte die 18-Jährige klar: „Um glasklar zu sein: Ich bin nicht gegen Israel oder Palästina“. Es sei unnötig zu betonen, dass sie gegen jede Form von Gewalt oder Unterdrückung sei. „Und noch einmal: Es ist niederschmetternd, die Entwicklungen in Israel und Palästina zu verfolgen.“
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Sicher, bei Fridays for Future mischen sich längst nicht mehr nur ausschließlich am Klimaschutz interessierte Aktivisten; es ist eine Graswurzelbewegung und es gibt keine Kontrollmechanismen wie bei einer Partei, was wer veröffentlicht. Aber mit der gestiegenen Bedeutung können solche Statements schweren Schaden anrichten.
Intern wird einmal intensiv diskutiert, wie solche Dinge verhindert oder vorher abgesprochen werden können, reihenweise gibt es Distanzierungen. Auch Greta sei eben keine "Heilige", heißt es aus einer deutschen Ortsgruppe, zumal es vermintes Gelände ist und nicht mit dem Klimathema zu tun hat.
CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak betonte mit Blick auf Fridays for Future: „Jede Form der Hetze gegen Israel schockiert mich. Gerade für uns Deutsche muss klar sein: Wir stehen an Israels Seite - ganz unabhängig von der eigenen Parteizugehörigkeit!“
Aktivistinnen wie Luisa Neubauer, eines der Gesichter von Fridays for Future in Deutschland, stehen zunehmend im Rampenlicht. Zuletzt saß sie auch bei Anne Will und muss nun eine Hasswelle über sich ergehen lassen, nachdem sie mit CDU-Chef Armin Laschet wegen Hans-Georg Maaßen aneinandergeriet, der von der CDU in Südthüringen als Bundestagskandidat antritt und dem sie vorwirft, antisemitische Inhalte in sozialen Medien geteilt zu haben.
Sie stellte aber danach klar, dass sie nicht Maaßen selbst als Antisemiten bezeichne; sie erreichte durch ihre Intervention, dass es nun eine neue Aufmerksamkeit dafür gibt, wo Maaßen so auftritt, was für Inhalte er in sozialen Medien teilt. Zugleich spielten danach die Klimaaspekte aus der Sendung, der Disput über die Umsetzung des jüngsten Verfassungsgerichtsurteils kaum eine Rolle mehr.
Beim American Jewish Committee (AJC) in Berlin reagiert man irritiert auf die Israel-kritischen Stellungnahmen von Fridays for Future und Thunberg: „Ich kann mich nicht erinnern, dass sich Greta jemals zum Bürgerkrieg in Syrien, der Lage der Uiguren in China oder ähnlichem geäußert hat. Ich finde es fragwürdig, dass sie sich nun ausgerechnet zum israelisch-palästinensischen Konflikt äußert“, sagte AJC-Direktor Remko Leemhuis dem Tagesspiegel. Die Äußerungen hält er auch inhaltlich für nicht gelungen. „Das ist bedauerlich, die Situation ist komplexer als sie in einen Tweet passt“, sagte er.
AJC setzt sich für die Sicherheit von Juden weltweit ein und verknüpft sich dafür regelmäßig mit Politikern, zivilgesellschaftlichen Akteuren und Journalisten. Mit Fridays for Fututre habe man bislang keinen Kontakt gehabt, so Leemhuis. Es gebe inhaltlich keine Anknüpfungspunkte. Gänzlich überraschend seien die Äußerungen jedoch nicht: „Der israelbezogene Antisemitismus hat eine lange Tradition in der Linken und taucht in vielen sozialen Bewegungen auf.“
Für Professor Wolfgang Merkel zeigen sich zwei problematische Entwicklungen für die deutsche Sektion von Fridays for Future. „Die Bundeskanzlerin ist nicht meine politische Favoritin, aber was sie 2008 vor der Knesset gesagt hat, dass die historische Verantwortung Deutschlands für die Sicherheit Israels ein Teil unserer Staatsräson ist, das teile ich mit großer Überzeugung“, betont er im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Das indirekt anzuzweifeln, findet er einen fatalen Eindruck.
Die andere Perspektive, die hier in Frage gestellt werde, sei folgende: „Soziale Bewegungen haben meiner Meinung nach vor allem dann Kraft, wenn sie sich auf einen Punkt, den berühmten single issue konzentrieren.“ Damit hätten sie Stoßkraft und Fridays for Future habe damit ein riesiges moralisches Kapital akkumuliert, „das sie sozusagen in die Höhen der allerhöchsten Machtzentren geführt hat.“ Man habe ihnen zugehört. „Eine so fulminante Entwicklung wie diese Klimaschutz-Bewegung, kennen nur wenige soziale Bewegungen.“
"Damit verwässert und schwächt man das eigentliche Anliegen"
Wenn man sich nun dennoch zu politischen Fragen äußere, für die man weder eine kognitive noch moralische Autorität habe, führe das eben auch zu einer Vertrauenserosion auch in ihrem eigentlichen Kernbereich. „Damit verwässert und schwächt man das eigentliche Anliegen, Politik und Gesellschaft zu mehr Klimaschutz zu bewegen", betont Merkel.
Das sei ein riskantes Spiel. „Es handelt sich hier um keine Bewertung wissenschaftlicher Erkenntnisse in der Klimafrage, sondern um eines der komplexesten internationalen Probleme, das wir seit Jahrzehnten mit uns herumschleppen, nämlich das unbestreitbare Existenzrecht Israels und die friedenschaffende Lösung der Palästinenserfrage.“ Hier einfach mal so nebenbei ohne Expertise eine klare Position einzunehmen, gehe einfach nicht. „Das ist eine Verschleuderung von Vertrauenskapital in der Klimafrage, indem man auf anderen Gebieten dilettiert. Es dünnt das erworbene moralische Kapital aus.“
Fridays for Future sei hier schlicht nicht kompetent, „sie haben davon keine Ahnung“, betont Merkel und rät den jungen Leuten zu mehr Distanz: „Dilettantismus gibt es schon genug.“
FDP: Nähe zu BDS-Bewegung in "hohem Maße irritierend"
Der innenpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Konstantin Kuhle, betont im Gespräch mit dem Tagesspiegel: „Die Verbindungen zwischen Fridays for Future und der BDS-Bewegung sind in hohem Maße irritierend.“ Vertreter der Klimabewegung sollten sich von den fragwürdigen Methoden der BDS-Bewegung ganz klar distanzieren. Der Deutsche Bundestag habe 2019 in einer breit getragenen Resolution die Boykottaufrufe der BDS-Bewegung gegen Israel verurteilt.
„Mit einer gezielten Delegitimierung, Dämonisierung und Isolation Israels überschreitet die BDS-Bewegung regelmäßig die Grenze zwischen der Kritik an der israelischen Regierungspolitik und israelbezogenem Antisemitismus", sagte Kuhle. Wenn Fridays for Future nicht in der Lage sei, diese Grenze klar zu ziehen, „werden Zweifel an der politischen Zurechnungsfähigkeit der Bewegung entstehen.”
FFF-Sprecher: "Das ist nicht nur ein Kurswechsel"
Der Vorgang habe einen internen Diskurs ausgelöst, sagt Quang Paasch, Sprecher von Fridays for Future Berlin. Man können nicht jeden Account und jede Meinungsäußerung einer weltweiten Bewegung kontrollieren, aber die deutsche Sektion distanziere sich: „Wir als Fridays for Future distanzieren uns ganz klar von jeglicher Form der Unterdrückung, des Rassismus und Antisemitismus.“
Generell sei es jedoch richtig, dass man sich nicht nur zu Fragen des Klimaschutzes äußere. Konflikte in der Welt würden oft auf Ressourcenknappheit zurückgehen, zudem trete man auch für Klimagerechtigkeit an, betont Paasch. „Das ist nicht nur ein Kurswechsel, sondern auch ein Generationenwechsel. Wir sehen die Intersektionalität der globalen Probleme und gehen nicht nur fürs Klima auf die Straße.“
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