Münchner Sicherheitskonferenz: Wie Europa einen neuen Kalten Krieg verhindern kann
Am Freitag beginnt in München die Sicherheitskonferenz. Deutschland kommt eine zentrale Rolle zu, um einen neuen atomaren Rüstungswettlauf abzuwenden.
Es dürfte ein Seufzer der Erleichterung durch Europa gegangen sein, dass Russland und die USA zum Stichtag 5. Februar ihren Verpflichtungen aus dem neuen Start-Abkommen in vollem Umfang nachgekommen sind. Dass Rüstungskontrolle noch funktioniert, ist eine sehr gute Nachricht für Europa, und Europa sollte die Chance nutzen, auch den INF-Vertrag zur Vernichtung atomarer Mittelstreckenwaffen zu stützen.
Der Verfall der regelbasierten Sicherheitspolitik, zu der Europa so viel beigetragen hat, zeigt sich deutlich in der russischen Außen- und Sicherheitspolitik: Da sind die russischen Invasionen in Georgien und der Ukraine, die zunehmende Bedeutung von Nuklearwaffen im strategischen Gefüge des Landes seit 2003, die Verstöße gegen den INF-Vertrag durch den Einsatz neuer, bodengestützter atomarer Cruise Missiles, der Unwille, seine nicht-strategischen Nuklearwaffen in Europa zu reduzieren (obwohl die Nato ihre seit 1991 um 90 Prozent reduziert hat), die wiederholten, groß angelegten Militärübungen, bei denen auch Szenarien mit nuklearen Waffen geübt werden.
Auch, wenn sich ein Vergleich mit dem Verhalten der Regierung Putin eigentlich verbietet, sollten die Europäer sich ebenso ernsthaft mit den Entwicklungen in den USA befassen. Die kürzlich veröffentlichte nationale Sicherheitsstrategie fokussiert eher auf Konflikte zwischen Großmächten denn auf Terrorismus. Die neue US-Nuklearstrategie stärkt die Rolle nuklearer Waffen, indem Abschreckung „über alle Bereiche hinweg“ erzielt werden soll, bis in den Cyber-Raum und bis hin zur Entwicklung „kleiner“ nuklearer Waffen, die sich auf U-Booten stationieren ließen.
Amerikanische Ex-Verteidigungsminister schlagen Alarm
Die Versuche der USA, mit Russland über etablierte Gesprächskanäle einen Dialog über Verstöße gegen den INF-Vertrag zu führen, waren bisher ergebnislos; Russland wirft im Gegenzug den USA vor, Waffen zu entwickeln, die ebenfalls nicht mit dem Vertrag in Einklang stehen. Bis jetzt hat die Trump-Regierung darauf mit bewundernswerter Zurückhaltung reagiert, sie hat die russischen Kritikpunkte in der Prüfkommission zur Debatte gestellt und plant Sanktionen gegen russische Bürger, die an der Entwicklung jener SSC-8 Nuklearwaffen beteiligt sind, die gegen den Vertrag verstoßen. Doch auch die USA beginnen, einen vergleichbaren Raketentyp zu entwickeln und loten die Entwicklung weiterer Raketenabwehrsysteme und Möglichkeiten zum Gegenschlag aus. Sie haben jüngst die Verteilung ihrer Verteidigungsausgaben festgelegt, das Gesetz enthält Mittel für die Entwicklung eines mobilen Marschflugkörpers.
Zwei Ex-Verteidigungsminister, William Perry und James Schlesinger, schlagen Alarm. Sie beklagen das strategische Ungleichgewicht zwischen den USA und Russland bei nicht-strategischen Nuklearwaffen. Auch das Europäische Kommando der USA ist in Sorge wegen der zehnfachen Übermacht russischer nicht-strategischer Atomwaffen.
Der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu hat gesagt, Russland werde sein „massives Aufrüstungsprogramm nuklearer Waffen fortsetzen, moderne Interkontinentalraketen zu Land und zur See einsetzen und seine Bestände strategischer Kampfflugzeuge modernisieren“. Russland entwickelt auch Waffen, die konventionell eingesetzt, aber auch für nukleare Zwecke verwendet werden können.
Deutschland muss seine eigene militärische Macht ernstnehmen
Wenn Europa verhindern will, dass es zu einer nuklearen Rüstungsspirale wie im Kalten Krieg kommt, muss es jetzt handeln. Deutschland wird dabei eine zentrale Rolle spielen.
Mehrere Deutsche arbeiten in der „Deep-Cuts“-Kommission mit, die kluge Vorschläge erarbeitet hat, wie der INF-Vertrag gerettet werden könnte. Dazu gehört der Vorschlag, die russischen SSC-8 ebenso wie die Nato-Raketenabwehr durch russische, amerikanische und deutsche Inspektoren gemeinsam untersuchen zu lassen. Die deutsche Integrität würde den Ergebnissen Glaubwürdigkeit und Gewicht verleihen. Es gibt großen Bedarf für kreative vertrauensbildende Maßnahmen, und zu Deutschland passt diese Rolle hervorragend, zumal weder die Atommächte Frankreich noch Großbritannien sie spielen können.
Die deutschen Versuche, die konventionelle Waffenkontrolle in der OSZE wiederzubeleben, sind ebenfalls wichtig, werden allerdings unterminiert vom moralischen Relativismus Frank-Walter Steinmeiers, der der Nato „Säbelrasseln und Kriegsgeheul“ vorwarf. Man könnte fast denken, Deutschland sei nicht selbst Teil der Nato. Deutschland muss klar benennen, von wem in Europa die Aggression ausgeht, sonst kann es das Vertrauen der USA und seiner europäischen Nachbarn nicht gewinnen. Deutschland wird auch dann nicht das Vertrauen seiner Bündnispartner genießen – ebenso wenig wie den Respekt seiner Gegner –, wenn es seine eigene militärische Macht weiterhin so wenig ernstnimmt. Keine noch so große Anzahl europäischer Behörden kann Effektivität im Feld wettmachen. In diesem Punkt sind die Koalitionsverhandlungen zwischen den deutschen Parteien enttäuschend. Auch wenn ein bestimmter Prozentsatz der Verteidigungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt (BIP) ein unzureichendes Maß für tatsächliche militärische Fähigkeiten ist, so sendet eine solche Zahl doch ein wichtiges Signal. Das wiederum lässt sich in Verhandlungsgewicht ummünzen.
Europa – und daher Deutschland – muss eine Führungsrolle übernehmen, nicht durch eine ambivalente Haltung gegenüber den USA und Russland, sondern indem Europa für beide Seiten zum wichtigsten Gesprächpartner wird. Dann kann Europa stabilisierende Maßnahmen aushandeln – etwa stärkere Prüfmechanismen, die das Konfliktpotenzial senken könnten und eine erneute nukleare Aufrüstung unserer Gesellschaften verhindern.
Die Autorin ist Vize-Generaldirektorin des International Institute for Strategic Studies. Zuvor war sie im Pentagon, im Außenministerium und im Weißen Haus tätig.
Kori Schake