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Drei Parteichefs nach der Koalitionsrunde: Lars Klingbeil (SPD), Ricarda Lang (grüne) und Christian Lindner (FDP) verkünden das Ergebnis.
© Bernd von Jutrczenka/dpa
Update

Das Ampel-Entlastungspaket wegen Putins Krieg: Wie es dazu kam, was es bedeutet, wie viel es kostet

Die Bundesregierung bringt ein weiteres Bündel von Maßnahmen gegen hohe Energiepreise auf den Weg. Fragen, Antworten, Hintergründe.

Keine Nachtsitzungen, da kommt nichts Sinnvolles bei raus. Es anders machen als Angela Merkel. Rund 100 Tage hat die Ampel-Koalition es geschafft, das Credo umzusetzen. Jetzt aber tagten die Spitzen von SPD, Grünen und FDP zum Entlastungspaket fast elf Stunden, von 21 Uhr am Mittwoch bis in den Donnerstagmorgen um 8 Uhr. Herausgekommen ist ein teils überraschendes Maßnahmenbündel für die Bürger, die unter hohen Preisen wegen der Folgen des russischen Angriffskriegs in der Ukraine ächzen.

Von den 18 Teilnehmern im Koalitionsausschuss sei Kanzler Olaf Scholz (SPD) der einzige gewesen, der ruhig geblieben sei, hieß es hernach. Ohne Schlaf blieben alle. Scholz startete direkt aus der Runde zum Nato-, G7- und EU-Sondertreffen nach Brüssel. Weil alles so lang gedauert hatte, verpasste er aber das übliche „Familienfoto“ beim Gipfel.

Die wichtigsten Beschlüsse im Überblick:

  • Es wird einmalig eine Energiepreispauschale in Höhe von 300 Euro als Zuschuss zum Gehalt ausgezahlt.
  • Die Energiesteuer auf Kraftstoffe wird befristet für drei Monate auf das europäische Mindestmaß abgesenkt.
  • Im öffentlichen Personennahverkehr soll es für 90 Tage ein Ticket für 9 Euro/Monat geben.
  • Familien erhalten für jedes Kind ergänzend zum Kindergeld einen Einmalbonus in Höhe von 100 Euro. Das Geld wird über die Familienkassen ausgezahlt.
  • Wer Sozialleistungen bezieht, erhält zu der bereits beschlossenen Einmalzahlung von 100 Euro weitere 100 Euro. Zudem steigt der Heizkostenzuschuss auf 270 Euro.
  • Mit einer Novelle des Gebäudeenergiegesetzes soll etwa im Neubau ab dem 1. Januar 2023 der Effizienzstandard 55 verbindlich festgelegt werden.
  • Eigentümer sollen verpflichtet werden, über 20 Jahre alte Heizungen auszutauschen.
  • Ab dem 1. Januar 2024 soll möglichst jede neu eingebaute Heizung zu 65 Prozent mit Erneuerbaren Energien betrieben werden.

Wann kommt das Paket?

Es tritt voraussichtlich erst weit nach Ostern in Kraft. Die "Bild" berichtet am Freitag unter Berufung auf Koalitionskreise, dass mit einem Start frühestens zum 1. Juni zu rechnen sei. Grund sei, dass Teile der Vereinbarungen als Gesetze sowohl von Bundestag und Bundesrat beschlossen werden müssen. Damit rutsche eine endgültige Verabschiedung in den Monat Mai.

Die 300-Euro-Energiepreispauschale – für alle?

Nein. Für alle einkommensteuerpflichtigen Erwerbstätigen (Steuerklassen 1 bis 5) wird die Energiepreispauschale einmalig als Zuschuss zum Gehalt ausgezahlt. Klar ist, dass der Zuschuss bei Arbeitnehmern über die Gehaltsabrechnung abgewickelt werden soll, und zwar „schnell und unbürokratisch“, wie es im Beschlusspapier heißt.

Selbständige sollen auch unterstützt werden, bei ihnen wird die Steuervorauszahlung einmalig um 300 Euro gekürzt. Bei Rentnern ist bisher nichts geplant, die Frage ist offen. In Koalitionskreisen wird aber mit dem satten Plus argumentiert, das die rund 21 Millionen Rentnerinnen und Rentner gerade erst bekommen haben. Die Renten steigen am 1. Juli um 5,35 Prozent in Westdeutschland und um 6,12 Prozent in Ostdeutschland. Für Schüler und Studenten ist die Einmalzahlung auch nicht vorgesehen.

Sind das 300 Euro brutto oder netto?

Der Zuschlag wird unabhängig von den geltenden steuerlichen Regelungen (Pendlerpauschale, Mobilitätsprämie, steuerfreien Arbeitgebererstattungen, Job-Ticket) „on top“ gewährt.Aber er muss versteuert werden – es geht bei den 300 Euro also um eine Bruttosumme, die netto nicht in der Höhe bei den Begünstigten ankommen wird. Der zusätzlichen Sozialversicherungspflicht unterliegt er nicht.

Die Entlastung wird bei Kleinverdienern höher sein als bei Gutverdienern. Wer mehr als 58.600 Euro zu versteuerndes Einkommen im Jahr hat, zahlt auf zusätzliche Einnahmen den Spitzensteuersatz von 42 Prozent. Kritiker sprechen von einer „Mogelpackung“. Steuerzahlerbund-Chef Reiner Holznagel sagte „Bild“: „Das bedeutet, dass weniger als 300 Euro Energiepauschale ankommen und unnötig Bürokratie verursacht wird." Die 300 Euro müssten steuerfrei sein.

Christian Lindner wollte einen Tankrabatt. Kommt der?

Nein. Vor knapp zwei Wochen hatte Finanzminister und FDP-Chef Lindner das von der Union vorgeschlagene Senken der Energiesteuer abgelehnt und war – nachdem klar war, dass ohnehin noch ein mindestens 30 Milliarden Euro umfassender Ergänzungshaushalt für Kosten des Ukraine-Kriegs kommen würde – mit der Alternatividee eines Tankrabatts vorgeprescht.

Lindner schwebten pauschal bis zu 40 Cent je Liter vor, auf drei Monate gerechnet 6,6 Milliarden Euro. Da er das nicht mit allen abgestimmte Vorhaben über die „Bild“-Zeitung in die Öffentlichkeit trug, war der Widerstand vor allem bei den Grünen groß. Zumal gerade Vielfahrer und Besserverdiener profitiert hätten. Die Grünen wollten gar keinen Rabatt auf die Kraftstoffe.

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In der Nacht kam dann die Idee auf, den öffentlichen Nahverkehr für drei Monate drastisch zu verbilligen. Im Gegenzug konnte die FDP dann auch für alle Autofahrer etwas durchsetzen. Nun wird die Energiesteuer auf Kraftstoffe gesenkt, befristet für drei Monate auf das europäische Mindestmaß.

Das mache bei Benzin 30 Cent und bei Diesel 14 Cent pro Liter aus, rechnete Lindner vor. Also ein Steuer- statt ein Tankrabatt, der über die Tankstellen abgerechnet worden wäre. Ab wann die Steuersenkung greift, ist noch offen. Die FDP setzte durch, dass ein von den Grünen gewünschtes generelles Tempolimit, um Sprit einzusparen, nicht kommen wird.

Was ist an der Steuersenkung umstritten?

Zuletzt ist vor allem der Preis für Diesel stark gestiegen und liegt nun höher als für Benzin. Hier gibt es nun also deutlich weniger Entlastung, da die Energiesteuer auf Diesel nicht so hoch ist. Nach der Preisexplosion beim Sprit nimmt zudem das Bundeskartellamt die Preise an Tankstellen näher unter die Lupe – weil unsicher ist, dass der Steuerrabatt eins zu eins weitergegeben wird.

Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat von „Kriegsgewinnen“ und einer problematischen Machtposition der großen Tankstellenketten gesprochen. Nun will die Regierung alle Möglichkeiten prüfen, durch kartell- und wettbewerbsrechtliche Maßnahmen sicherzustellen, dass die Märkte funktionieren und sinkende Rohstoffpreise rascher als bislang an die Endverbraucher weitergegeben werden.

ÖPNV für neun Euro – wie kam das?

Es ist die wahrscheinlich größte Überraschung im Entlastungspaket: Für einen Zeitraum von drei Monaten sollen Monatskarten im öffentlichen Nahverkehr für neun Euro im Monat verfügbar sein. „Wir machen Bus- und Bahnfahren so billig, wie es in Deutschland wahrscheinlich noch nie war“, sagte Grünen-Chefin Ricarda Lang. Es ist eine Maßnahme, die auf das Konto der Grünen geht, allerdings als Ersatz für ein Tempolimit. Und auch beim Neun-Euro-Ticket, das frühestens in einigen Monaten kommt, sind noch viele Fragen ungeklärt.

In Berlin gibt es beispielsweise Monatskarten für die Bereiche A, B und C. Für welche Strecken das Neun-Euro-Ticket am Ende gilt, muss mit den jeweiligen Verkehrsbetrieben erst noch verhandelt und dann auch technisch entwickelt werden.

Und wann startet das Ticket?

Das wird dauern. Im Sommer könnte das Ticket eingeführt werden, heißt es aus Verhandlungskreisen. Doch mitten in der Ferienzeit würde das Paket seine Wirkung wohl nur bedingt entfalten. Zudem ist unklar, wie mit Personen umgegangen werden soll, die bereits Monatskarten besitzen.

Um Kündigungswellen zu verhindern, will die Ampel-Koalition Inhaber von Jahreskarten offenbar mit Gutscheinen ausgleichen. Finanziert werden soll die Maßnahme durch die Länder, die dafür mehr Mittel vom Bund bekommen sollen.

Hintergrund der Maßnahme ist offenbar auch, dass viele Bürger durch die Corona-Pandemie Busse und Bahnen meiden – mit dem Billigangebot könnten einige vielleicht zurückgewonnen und zum Verzicht auf das Auto animiert werden.

Kritisch sieht diesen Punkt der CDU-Haushaltspolitiker Christian Haase. "Völlig am Ziel vorbei gehen die Vorschläge für das Neun-Euro-Ticket", sagte er. "Besonders betroffen ist der ÖPNV schon länger von den gestiegenen Energiepreisen, aber jetzt auch noch bei den Einnahmen den Hahn zuzudrehen und das bestehende Tarifsystem zu konterkarieren, ist nicht hilfreich und mit hohen zusätzlichen Kosten verbunden." Und er fragt: "Können Verkaufsautomaten kurzfristig umgestellt werden und erhalten Bestandskunden Erstattungen?"

Was ist für Familien und Geringverdiener geplant?

Familien sollen für jedes Kind ergänzend zum Kindergeld einen Einmalbonus in Höhe von 100 Euro über die Familienkassen ausgezahlt bekommen. Der Bonus wird bei höheren Einkommen auf den Kinderfreibetrag angerechnet. Angesichts der gestiegenen Preisdynamik wird zudem die bereits beschlossene Einmalzahlung von 100 Euro für Empfänger von Sozialleistungen um 100 Euro pro Person erhöht.

Der Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP).
Der Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP).
© dpa/Bernd von Jutrczenka

„Bei den jetzigen Energiepreisen ist davon auszugehen, dass zum 1. Januar 2023 die Regelbedarfe die hohen Preissteigerungen abbilden und damit angemessen erhöht werden“, heißt es im Beschlusspapier. Wie zuvor bereits beschlossen, soll der Heizkostenzuschuss auf 270 Euro steigen.

Wie soll Energie eingespart werden?

Neben der Gießkannenpolitik bei den Entlastungen will die Ampel einiges bei der Energieeinsparung voranbringen. Vor allem im Gebäudesektor, der in Deutschland mit 120 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr fast ein Fünftel aller Emissionen verursacht. „Wir müssen den Einstieg aus dem Ausstieg aus dem Gas jetzt angehen“, sagt Grünen-Chefin Lang. Ab Januar 2024 soll jede neu eingebaute Heizung zu mindestens 65 Prozent über erneuerbare Energie geheizt werden. Gasheizungen sind damit de facto ausgeschlossen.

Bislang hatte das Wirtschaftsministerium nur in Neubauten einen Einbaustopp von Gasheizungen geplant, nun auch beim Austausch, den die Ampel finanziell unterstützen will. Wer eine Gasheizung gegen eine Wärmepumpe eintauscht, soll Anrecht auf Förderung erhalten. Zudem soll das Bauen insgesamt klimaschonender werden, indem ab 2023 das Effizienzhaus 55 als neuer Standard festgelegt wird.

„Das klingt alles sehr, sehr technisch, aber es geht dabei um nicht weniger als um den Abschied von der fossilen Wärme“, sagt Lang. Zudem sollen Eigentümer von Immobilien über 20 Jahre alte Heizungsanlagen austauschen und über das Bundesprogramm effiziente Gebäude Förderung für ein „Gaskesselaustauschprogramm“ bekommen.

Was wird das alles kosten?

Die Koalition sieht wegen Putins Krieg zu den weiteren Milliardenausgaben keine Alternative, es könnten auch nicht die letzten in diesem Kontext sein.. Die stark steigenden Kosten für Strom, Lebensmittel, Heizung und Mobilität seien für viele zu einer großen Belastung geworden. Lindner betont, die genauen Kosten für das neue Gesamtpaket seien noch nicht exakt zu beziffern. Sie könnten sich aber auf dem Niveau des im Februar beschlossenen ersten Entlastungspakets bewegen. Das kostet nach bisherigen Angaben 15,6 Milliarden Euro.

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Das Volumen hänge auch davon ab, wie viel zu den günstigeren Preisen getankt werde und wie viele Bürger die günstigeren ÖPNV-Tickets in Anspruch nähmen.

Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln hat am Donnerstag eine Berechnung des Pakets geliefert. Auch da geht es teils um Brutto und Netto. Der Zuschuss von 300 Euro macht demnach zunächst 14 Milliarden Euro aus, wegen der Versteuerung aber kostet die Maßnahme den Fiskus effektiv zehn Milliarden Euro.

Fließt der Zuschuss in den Konsum, kommen noch weitere Steuereinahmen hinzu. Die 100 Euro pro Kind kosten laut IW 1,5 Milliarden Euro. Die Ausfälle durch die gesenkte Steuer auf Benzin und Diesel macht 3,5 Milliarden Euro aus. Diese drei Maßnahmen belaufen sich somit allein auf 15 Milliarden Euro. Die Verbilligung der ÖPNV-Tickets kommt dann noch hinzu - mutmaßlich ebenfalls ein einstelliger Milliardenbetrag. So könnte das zweite Entlastungspaket insgesamt also mehr kosten als das erste. Finanziert wird es mittels eines Ergänzungshaushalts über neue Schulden.

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