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Finanzminister Christian Lindner (FDP) am Dienstag im Bundestag.
© Imago/Christian Spicker

Das geplante Ende der Schuldenspirale: Lindners Glaubwürdigkeit hängt an einem Versprechen

Christian Lindner sagt, dass 2023 Schluss sein soll mit immer neuen Schulden. Doch bis dahin muss der Finanzminister das tun, was er eigentlich nicht mag.

Manche Politiker sehen Krisen als Chance. Christian Lindner aber ist als Finanzminister ein Krisenmanager, der sich wünscht, dass bald wieder die Normalität zurückkehrt. Krise herrscht im Hier und Jetzt und bestimmt die Haushaltspolitik der Regierungskoalition. Wann wieder Normalität regiert, weiß auch der FDP-Chef nicht. Bis dahin muss er tun, was er eigentlich nicht mag.

Immer mehr neue Schulden nimmt die Regierung auf oder sie plant, das demnächst zu tun. Lindner setzt darauf, dass ab 2023 Krisenpolitik nicht mehr nötig sein wird und er seine Ankündigung umsetzen kann, dass dann wieder die Schuldenbremse gilt.

Mittlerweile hängt seine Glaubwürdigkeit an der Erfüllung dieses Versprechens. In der Etatdebatte im Bundestag fasste Lindner seinen Zustand zwischen Hoffen und Bangen am Dienstag in den Merksatz: „Staatsfinanzen werden nicht in der Krise ruiniert, sondern wenn die Rückkehr zur Normalität nicht gelingt.“ Letztlich läuft diese Erkenntnis darauf hinaus, jetzt ordentlich neue Kredite aufzunehmen, um die doppelte Krise – Pandemie und Ukraine – zu meistern, damit im kommenden Jahr ordentlich auf das Bremspedal getreten werden kann.

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Was der Groko seit 2014 die stetig wachsende Rücklage aus den Überschüssen war, das ist der Ampel das 2021 angelegte Kreditpolster. Wobei Lindner die Rücklage in Höhe von immerhin 48 Milliarden Euro nun binnen drei Jahren auflöst, weil er sonst in der Finanzplanung das Einhalten der Schuldenbremse gar nicht darstellen kann. Mehr als die Hälfte, nämlich 28 Milliarden Euro, nutzt er gleich im Etat 2023. Und den Spielraum für neue Kredite, den die Schuldenbremse auch in normalen Zeiten gibt, muss er voll ausnutzen. 2023 bis 2026 stehen nochmals gut 40 Milliarden Euro an neuen Krediten in der Finanzplanung. Ein Herr der schwarzen Null wird Lindner nicht werden.

Kreditpolster statt Rücklage

Das Kreditpolster besteht bisher aus zwei Teilen. 60 Milliarden Euro aus nicht genutzten Kreditermächtigungen im Pandemiejahr 2021 wurden mittels eines Nachtragsetats im Januar schon an den Energie- und Klimafonds übertragen. Zur besseren Ausstattung der Bundeswehr kommt nun das schuldenfinanzierte Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro dazu. Für pandemiebedingte Maßnahmen in diesem Jahr hat Lindner nochmals knapp 100 Milliarden Euro vorgesehen – ob das zu viel oder zu wenig ist und wie kreativ die Koalition damit umgeht, wird sich zeigen.

Nun kommt ein weiterer Schuldentopf hinzu. Lindner hat einen Ergänzungshaushalt zum Etat für 2022 angekündigt, der – so der SPD-Haushaltspolitiker Dennis Rohde – „hoffentlich in wenigen Wochen“ vorliegen wird. Das Volumen ist noch nicht bekannt, könnte aber bei mindestens 25 Milliarden Euro liegen, wie aus der Koalition zu hören ist. Damit sollen Kosten finanziert werden, die direkt aus dem Ukraine-Krieg resultieren – neben der Milderung gestiegener Energiekosten über die beiden Entlastungspakete (das zweite ist noch umstritten in der Koalition) wird das Geld vor allem für die Unterbringung von Flüchtlingen gebraucht. Deren Zahl wächst mit jedem Kriegstag.

Wie groß wird der Ergänzungsetat?

Was auf den Bund (und damit Lindners Ergänzungsetat) zukommt, hängt auch von den Gesprächen mit den Ländern über die Kostenteilung ab. Der Knackpunkt ist die Frage, ob die Flüchtlingskosten über die Grundsicherung oder das Asylbewerberleistungsgesetz finanziert werden. Die Grundsicherung bezahlt allein der Bund, hier sind auch Integrationsmaßnahmen über reine Sprachkurse hinaus enthalten. In jedem Fall wird der Ergänzungsetat über weitere Kredite finanziert. Dafür will die Koalition nochmals die Notfallklausel der Schuldenbremse nutzen. War es bisher das Virus und seine Wirkungen, ist es nun der Krieg und dessen Folgen.

Unions-Fraktionsvize Alexander Dobrindt hielt Lindner vor, nach einem verfassungswidrigen Nachtragsetat (die 60 Milliarden werden nach Ansicht der Union für Klimainvestitionen zweckentfremdet) nun einen unvollständigen Haushalt für 2022 vorgelegt zu haben. Das Sondervermögen, für dessen Umsetzung via Grundgesetz die Ampel die Union braucht, bezeichnete Dobrindt als „Sonderschulden“. Das Etikett des Schuldenmachers würden CDU und CSU dem FDP-Chef nur zu gern anheften – aber weil sie die bessere Rüstung der Armee nicht ablehnen kann und will, hält sie sich zurück.

"Auf dem schnellsten Weg"

Doch Lindner baut vor. Ausnahmen würden in Ausnahmezeiten gelten, die man „auf dem schnellsten Weg“ hinter sich lassen wolle. Wenn von 2023 an wieder die Normalität der Schuldenbremse gilt, will Lindner bis zur nächsten Wahl als Garant für haushaltspolitische Stabilität punkten. Als „Signal für fiskalische Stabilität“ hat er in der Bundestagsdebatte schon mal einen weiten Ausblick gewagt. In der zweiten Hälfte des Jahrzehnts werde der Schuldenstand Deutschlands wieder auf weniger als 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zurückgehen, also jene Grenze, welche die EU ihren Mitgliedstaaten in normalen Zeiten vorgibt. Derzeit wachsen die Schulden aber – in Richtung 80 Prozent.

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