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"Warum nicht?" Gegner der Unabhängigkeit Katalonien am Sonntag in Barcelona.
© imago/ZUMA Press
Update

Streit um Unabhängigkeit: Wie ein Kompromiss für Katalonien aussehen könnte

Regierungschefs Puigdemont ruft am Dienstag womöglich die Unabhängigkeit aus. Nicht nur Spaniens Regierung warnt erneut davor. Liegt die Lösung in Kanada?

Die katalanischen Separatisten könnten es am Dienstagabend bei einer symbolischen Erklärung für mehr Unabhängigkeit belassen, also nicht die Sezession von Spanien einleiten. Nachdem sich die Bürgermeisterin der Regionalhauptstadt Barcelona, Ada Colau, gegen eine einseitige Unabhängigkeitserklärung ausgesprochen hat, verweisen auch Anhänger der in Katalonien regierenden Separatisten auf die gefährliche Lage: Katalonien wäre zunächst umgehend isoliert, zuletzt hatte auch Frankreich der Zentralregierung in Madrid seine volle Unterstützung zugesichert.

Wenige Stunden vor dem Zusammentritt des katalanischen Parlaments hat die spanische Zentralregierung den Regionalpräsidenten Carles Puigdemont noch einmal zum Verzicht auf eine Unabhängigkeitserklärung gedrängt. Regierungssprecher Íñigo Méndez de Vigo sagte am Dienstag in Madrid, er bitte Puigdemont, "nichts Unumkehrbares zu tun". Der katalanische Regionalpräsident solle keinen "Weg einschlagen, von dem es kein Zurück gibt", keine "einseitige Unabhängigkeitserklärung" verkünden.

Aus Frankreich waren zum katalanischen Referendum am 1. Oktober noch Wahlunterlagen geschmuggelt worden, weil die spanische Bundespolizei die Abstimmung gewaltsam verhindern wollte. "Was wir jetzt brauchen, sind Gesten der Entspannung von beiden Seiten", sagte Ada Colau in der Nacht zu Dienstag. "Wir brauchen keine Eskalation, die niemandem etwas bringt." Das Referendum könne "keine Grundlage" sein, um eine Abspaltung auszurufen und den "sozialen Zusammenhalt" zu gefährden.

Die linke Bürgermeisterin rief allerdings den rechtskonservativen, in Barcelona unbeliebten Ministerpräsidenten Mariano Rajoy dazu auf, die nach Katalonien entsandten 4000 paramilitärischen Bundespolizisten wieder abzuziehen: Er dürfe die katalanischen Institutionen, die schließlich demokratisch legitimiert sind, nicht entmachten.

Die auch international von Politikern, Unternehmern, Aktivisten erwartete Rede des katalanischen Regierungschefs Carles Puigdemont wird erst für den Dienstagabend erwartet. Nicht ausgeschlossen ist, dass Puigdemont tatsächlich die Unabhängigkeit der Region von Spanien erklärt. Die Zentralregierung hat daraufhin eine "harte Hand" angekündigt. Dies wird dahingehend interpretiert, dass separatistische Politiker verhaftet und Kataloniens Verwaltung direkt Madrid unterstellt werden könnten.

Puigdemont führt in Barcelona eine Koalition aus Sozialliberalen, Konservativen und radikalen Linken. Die zuletzt diskutierte Möglichkeit wäre, dass er die Katalanen zu einer autonomen Nation innerhalb Spaniens erklärt, der innere Selbstständigkeit von der Zentralregierung in Madrid zustehe - was immer das genau bedeuten mag, wäre dann zu diskutieren.

Quebec erhielt in den 60er Jahren weitreichende Autonomie

Historische Vorbilder gibt es jedenfalls: In Kanada haben die frankophonen Quebecer seit den 60ern immer wieder einen eigenen Staat gefordert. Kanada wäre dabei um seine größte und wirtschaftlich bedeutsamste Provinz kleiner geworden. Und während in Quebec linksnationalistische Militante sogar mit Bomben und Entführungen die Zentralregierung in Ottawa herausforderten, arbeiteten die Strategen dort an einer Dauerlösung: Quebec erhielt so viel Autonomie, wie es in einem Bundesstaat gerade noch zu lässig ist. Und die militanten Separatisten kamen mit vergleichsweise geringen Strafen davon - das Land versöhnte sich weitgehend. In den englischsprachigen, konservativeren Westprovinzen provozierte das zwar viele Kanadier, doch in Ottawa tastet man diesen Deal bis heute nicht an.

Ein neues Abkommen innerhalb Spaniens ist nach den vergangenen Tagen kaum noch zu vermeiden, auch wenn Spaniens rechtskonservativer Ministerpräsident Mariano Rajoy das ablehnt. Inzwischen kennt jeder Katalane diese Zahlen: 16 Prozent der spanischen Gesamtbevölkerung leben in Katalonien, sie erwirtschaften aber 26 Prozent der Steuereinnahmen des Landes. Und bevor die deutsche Bundesregierung von wünschenswerter “Stabilität” in Spanien spricht, sei ein Vergleich erlaubt: Die Katalanen führen acht Prozent ihrer Wirtschaftsleistung im innerspanischen Finanzausgleich nach Madrid ab - in Deutschland wäre das politisch nicht durchsetzbar; selbst Bayern überweist nur ein Prozent seines Bruttosozialprodukts nach Berlin.

Madrid wird sich bewegen, selbst wenn es noch in der Nacht zu Mittwoch die katalanische Führung entmachten lässt. In den kommenden Tagen wäre dann mit Streiks und Blockaden in Häfen und bei Bahnen Kataloniens zu rechnen. (mit AFP)

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