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Die Hamburger Bürgerschaft hat auf dem Rathausmarkt ein Wahlkreuz aufgestellt.
© dpa

Unterwegs in Altona: Wie ein junger SPD-Mann in Hamburg Wahlkampf macht

Er klettert auf Bäume, stellt sich wütenden Kleingärtnern: Mats Borgwardt kämpft in Hamburg für die SPD – und hofft, dass ein Sieg die Abwärtsspirale beendet.

Dass das hier nicht leicht wird, ist schon vorher klar. Mats Borgwardt biegt ins Hamburger Villenviertel Othmarschen ein. Gepflegte Vorgärten, Zäune vor den Häusern. Der SPD-Kandidat parkt seinen klapprigen Kombi in einer Seitenstraße und wirft die Tür zu. Abschließen kann man den nicht mehr. Dann nähert er sich dem ersten Haus: Backstein-Villa, weiße Säulen, ein Löwenkopf als Türklopfer. Borgwardt klingelt. Wartet. Das Auto der Bewohner steht im Hof, aber keiner öffnet.

Borgwardt probiert es ein paar Meter weiter. Modernes, weißes Mehrfamilienhaus, unten am Eingang ist eine Kamera angebracht. „Ja?“, schallt es aus der Gegensprechanlage. „Moin! Ich verteile Informationen zur Wahl“, setzt Borgwardt an. „Danke, brauchen wir nicht“, kommt es zurück. In einer anderen Villa macht die Dame mit dem blonden Pferdeschwanz wenigstens auf, Borgwardt hält ihr den Flyer mit dem SPD-Logo hin. „Ich verteile Informationen zur Wahl.“ Die Frau wirft einen Blick auf die Broschüre. „Nein, danke!“

Haustürwahlkampf ist mühsam, vor allem in einer Gegend wie Othmarschen, wo die SPD bei der Europawahl im vergangenen Jahr nur 14 Prozent holte. Aber Borgwardt glaubt, dass es die richtige Strategie ist. Der 33-Jährige – helle Augen, Bart, jugendliches Gesicht – tritt bei der Bürgerschaftswahl an diesem Sonntag für die SPD in Altona an. Einem Bezirk, der den Querschnitt Hamburgs in sich vereint: Linke Hochburgen, gentrifizierte Grünen-Wähler-Gegenden, Villenviertel wie Othmarschen mit vielen CDU-Wählern, dazwischen ein paar alte Arbeiterviertel. Hier zeigt sich wie unter einem Brennglas, vor welchen Herausforderungen die SPD in Hamburg steht.

„Die braucht junge Leute“

Die Hansestadt ist eigentlich eine alte SPD-Hochburg. Einst holten die Sozialdemokraten hier bei Bürgerschaftswahlen knapp 60 Prozent. Mittlerweile regieren sie mit den Grünen – doch der Koalitionspartner ist gleichzeitig ihr größter Konkurrent. Eine Zeit lang sah es sogar so aus, als könnten die Grünen bei der Bürgerschaftswahl stärkste Kraft werden. Doch in den letzten Wochen erarbeitete sich die SPD einen beachtlichen Vorsprung. In Altona aber, wo Borgwardt Wahlkampf macht, sehen die Prognosen die Grünen klar vorn. Wenn Borgwardt überhaupt eine Chance haben will auf den Sprung in die Bürgerschaft, muss er an viele Türen klopfen.

Der 33-Jährige ist ein ungewöhnlicher Kandidat. Borgwardt hat keine Parteikarriere hinter sich, er ist Quereinsteiger: Er führt mit seinem Vater ein Immobilienunternehmen und betreibt ein Restaurant an der Hamburger Sternschanze. Zwar kommt er aus einer SPD-Familie, trat selbst mit 20 Jahren in die Partei ein. Aber er engagierte sich nicht. Erst als die AfD in Deutschland immer stärker wurde, habe er sich einen Ruck gegeben. Er sagt: „Ich bin nicht aktiv geworden, weil ich gedacht habe: Die SPD ist so eine unglaublich gute Partei, da muss ich ein Teil davon sein. Sondern weil ich dachte: Die SPD ist eine so traditionsreiche, bedeutsame Partei – die braucht junge Leute.“

Wendepunkt für die SPD?

Und so macht Borgwardt jetzt auf eine Art Wahlkampf für die SPD, die manche als „unbeschwert“ beschreiben. Er klingelt in Hochhaussiedlungen, klettert für seinen Wahlwerbespot auf Bäume, lässt sich von wütenden Bürgern im Kleingartenverein beschimpfen. Und er arbeitet daran mit, dass die SPD in Hamburg einen bedeutsamen Sieg einfahren könnte. Denn nicht nur ist das die erste Wahl nach dem politischen Beben von Thüringen. Für die SPD, die bundesweit zuletzt in einer Abwärtsspirale gefangen schien, könnte ein deutlicher Sieg in Hamburg auch einen Wendepunkt markieren.

Mats Borgwardt tritt für die SPD in Altona an.
Mats Borgwardt tritt für die SPD in Altona an.
© Daniel Bockwoldt/dpa

An einem trüben Februarsamstag steht bei Borgwardt wieder Haustürwahlkampf an. Vorher will er noch bei seinen Parteikollegen einen Stapel Flyer vorbeibringen. Die stehen vor dem Ikea in der Altonaer Altstadt. „Was macht dein Hexenschuss?“, fragt Borgwardt einen älteren Genossen. „Immer noch nicht wieder gut“, grummelt der. Borgwardt bespricht mit einem Parteikollegen, wo die Jusos später am Tag noch Flyer verteilen. Dann läuft er durch Ottensen – manche bezeichnen das Viertel als das Prenzlauer Berg Hamburgs. Auf einem Wochenmarkt wird regionales Gemüse und Käse verkauft, die Straßen sind gesäumt von gut sanierten Altbauten.

Der Bezirks- und Europawahlkampf im vergangenen Mai sei für die SPD gerade hier „bitter“ gewesen, sagt Borgwardt. Die Partei steckte damals in der Führungskrise. Viele, die Borgwardt in der Fußgängerzone ansprach, wussten schon, dass sie Grün wählen. Die SPD nahmen sie wahr als eine „uncoole, aus der Zeit gefallene Partei“, sagt er. Klimapolitik war das bestimmende Thema. In Ottensen kamen die Grünen bei der Europawahl auf 46 Prozent, hamburgweit auf 31 – die SPD nur auf 20. „Da kann man noch so viel an Haustüren klopfen und malochen“, sagt Borgwardt.

Mehrheit zieht SPD-Bürgermeister vor

Doch bei der Bürgerschaftswahl sieht es besser aus für die SPD. Mit Peter Tschentscher stellen die Sozialdemokraten den Ersten Bürgermeister in der Hansestadt. Er wurde im März 2018 zum Nachfolger von Olaf Scholz gewählt, der an die Spitze des Finanzministeriums wechselte. Tschentscher ist ein bürgerlicher Typ, der betont, wie wichtig ihm Sicherheit und Sauberkeit sind und auch grüne Themen aufgreift. Bei der Frage, wen sie lieber als Regierungschef hätten, sagen mehr als die Hälfte der Hamburger Tschentscher. Nur 29 Prozent ziehen seine ehrgeizige Herausforderin Katharina Fegebank von den Grünen vor. Borgwardt hofft, dass ein deutlicher Sieg der SPD bei der Bürgerschaftswahl die Stimmung in der ganzen Partei heben könnte.

Der 33-Jährige fährt mit dem Auto nach Bahrenfeld – ebenfalls Teil von Altona. Als Borgwardt um die Ecke biegt, taucht eine Gruppe weißer Hochhäuser auf. Sie gehören der Saga-Gruppe, dem kommunalen Wohnungsunternehmen in Hamburg, das mehr als 130 000 Wohnungen in der ganzen Stadt besitzt. Borgwardt betritt eines der Häuser, grüßt die Pförtnerin und fährt mit dem Aufzug in den neunten Stock. „Hamburg hat zum Glück viel weniger den städtischen Wohnungsbau verkauft, als es München oder Berlin getan haben“, erklärt Borgwardt.

Es riecht leicht nach Mittagessen, die Klingelschilder lassen auf Bewohner mit Migrationshintergrund schließen. Borgwardt klingelt an einer Tür ganz hinten im Gang. Schritte. Ein junger Mann öffnet. „Moin“, sagt Borgwardt. „Ich will nicht lange stören. Ich kandidiere zum ersten Mal für die Bürgerschaft. Jetzt laufe ich durchs Viertel und stelle mich vor.“ Der Mann nickt. „Alles klar.“ Borgwardt reicht ihm den Flyer. „Unbedingt wählen gehen. Und wenn du Fragen hast: Da stehen Kontaktinfos drauf. Einfach Whatsapp schreiben.“

Die Leichtigkeit abhanden gekommen

Die meisten Gespräche im Hochhaus sind kurz, aber freundlich. Ein paar Bewohner dürfen nicht wählen. „Ich bin Ausländerin“, sagt eine Frau in Sportklamotten. Aber die wenigsten lehnen hier den Flyer ab, den Borgwardt ihnen nach dem überschwänglichen „Moin!“ hinhält.

Borgwardt glaubt, es tue der SPD gut, dass sie „einen Schwung jüngerer Leute aufgestellt hat, die nicht dem klassischen SPD-Profil entsprechen“. Er selbst ist in Altona aufgewachsen, hat in England und den USA studiert. Seit vier Jahren betreibt er mit seinem Vater eine kleine Wohnungsbaugesellschaft, die auf sozialen Wohnungsbau spezialisiert ist. Anfangs hatte er Hemmungen, seinen Beruf als Immobilienunternehmer offensiv zu kommunizieren – aus Sorge vor negativen Reaktionen. Doch die Zeiten sind vorbei.

Um auf dem zweiten Platz der Altonaer Wahlkreisliste aufgestellt zu werden, musste sich Borgwardt im vergangenen Jahr gegen einen gestandenen, älteren Bezirkspolitiker durchsetzen. Damals war der Wunsch nach Veränderung in der Partei groß. Borgwardt nutzte das für sich. Er warb für sich als gut gelaunten jungen Mann. „Der SPD ist durch die vielen Niederlagen die Leichtigkeit abhandengekommen, Politik zu machen“, sagt er auch beim Haustürwahlkampf. Innerparteiliche Konkurrenten beschreiben Borgwardt als ehrgeizig – und als einen, der sich zu verkaufen weiß.

Jetzt arbeitet Borgwardt an der Erneuerung mit, die die SPD propagiert hat. Anders als viele Jusos und die neue Parteispitze glaubt Borgwardt aber nicht, dass die SPD linker werden muss. Er sieht die Zukunft seiner Partei eher in einer bürgerlichen SPD wie der in Hamburg.

 „Ich kandidiere für die Bürgerschaft“, sagt Mats Borgwardt – und wenn er Glück hat, wird er dabei auch noch einen SPD-Flyer los.
„Ich kandidiere für die Bürgerschaft“, sagt Mats Borgwardt – und wenn er Glück hat, wird er dabei auch noch einen SPD-Flyer los.
©  Maria Fiedler

Eines von Borgwardts wichtigsten Zielen ist, den Anteil von bezahlbarem Wohnraum deutlich zu erhöhen. Die Politik des Hamburger Senats hat zwar dazu geführt, dass in Hamburg massiv gebaut wird. Aus Sicht von Borgwardt wird aber ein zu geringer Teil der fertiggestellten Wohnungen auch zu bezahlbaren Mieten angeboten. Derzeit sollen Investoren bei größeren Bauprojekten jeweils ein Drittel Sozialwohnungen bauen. Kritiker sagen, der Drittelmix sei Augenwischerei, weil die geförderten Wohnungen meistens viel kleiner sind als der Rest. Borgwardt fordert, den Anteil der Sozialwohnungen im Mix auf 50 Prozent zu erhöhen. Und er findet, dass künftig alle städtischen Baugrundstücke bei einem Verkauf erst der Saga oder einer Baugenossenschaft angeboten werden sollten, bevor private Firmen zugreifen dürfen.

Nur: Um überhaupt etwas durchzusetzen, muss es Borgwardt erst mal in die Bürgerschaft schaffen. Von zwei Filmemacher-Freunden lässt er sich im Januar einen Wahlwerbespot produzieren. Weil er solche Spots normalerweise zum Fremdschämen findet, wird es eher ein Kunstprodukt. Zwei Tage lang fährt er mit den Filmemachern durch Altona, eine Leiter im Gepäck. Jetzt zeigt ihn der Spot sitzend auf verschiedenen Bäumen. Auf einem S-Bahn-Schild. Auf noch mehr Bäumen. Dann grinst Borgwardt in die Kamera. Es ist seine Interpretation des SPD-Slogans „Die ganze Stadt im Blick“.

Ärger in der Kleingartensiedlung

Borgwardt schaut sich auch genau die Ergebnisse der vergangenen Wahlen an – bis auf die Straßenzüge heruntergebrochen. Er überlegt, wo es für ihn etwas zu holen gibt. Er weiß, dass es in den Hochburgen der Grünen und Linken wenig zu gewinnen gibt. Borgwardt will versuchen, der CDU Wähler abzuluchsen und legt deshalb von Anfang an ein gewisses Augenmerk auf die wohlhabende Gegend Othmarschen. Dort lässt er sich von der Partei auch Termine geben, die sonst keiner will. Sein Kalkül: Wenn die CDU in Altona schwach abschneidet, ziehen vielleicht doch zwei SPD-Vertreter von der Wahlkreisliste in die Bürgerschaft ein. Und nicht nur einer, wie es derzeit die Prognosen vorhersehen.

Den Tiefpunkt seines Wahlkampfes erlebt Borgwardt bei einer Podiumsdiskussion eines Kleingartenvereins in Othmarschen. In Hamburg soll ein begrünter Deckel über die Autobahn A7 gebaut werden, die derzeit die Stadt zerschneidet. Um das zu finanzieren, will die Stadt Grundstücke am Rand des Deckels für den Wohnungsbau verkaufen. Davon sind auch Kleingärtner in Altona betroffen – sie sollen zum Ausgleich Grundstücke auf dem Deckel bekommen. Bis sie weichen müssen, dauert es eigentlich noch Jahre. Doch an einer Stelle soll wegen des Schüler-Booms in Hamburg jetzt schon eine Grundschule entstehen, Dutzende Parzellen müssen in Othmarschen weichen. Auch wenn sich der Senat um eine Lösung bemüht und Ersatz anbieten will: Die Kleingärtner sind sauer – auf SPD und Grüne, die Regierungsparteien.

All das weiß Borgwardt vorher, doch die Wucht der Ablehnung, die ihm entgegenschlägt, überrascht ihn dann doch. Er sitzt mit den Vertretern der anderen Parteien auf dem Podium in einer Schule. Und die Moderatorin fragt zum Auftakt, warum ausgerechnet er als Immobilienunternehmer der richtige Vertreter seiner Partei sei, um über Grünflächen zu diskutieren. Borgwardt ist in der Defensive. „Einer sagte: Der will uns ja eh nur abverkaufen. Ein anderer meinte: Der will doch sowieso, dass hier alles bebaut wird.“ Borgwardt hält dagegen, dass Wohnen nicht das Privileg derer sein dürfe, die ohnehin im Bezirk geboren seien. Dennoch schläft er in der Nacht nach der Diskussion schlecht. Erst ein Artikel im „Hamburger Abendblatt“, der ihm bescheinigt, sich tapfer geschlagen zu haben, hebt seine Laune wieder.

Widerstand gegen die Verdichtung

Es sind solche Termine, in denen deutlich wird, worum es sich im Kern in diesem Wahlkampf dreht. Verkehr, Klima, Wohnen, Bildung. „Wenn eine Stadt wächst und man nicht will, dass sie nur noch ein Ort für Privilegierte ist, dann muss jeder seinen Beitrag leisten“, sagt Borgwardt. Doch in vielen zentralen Gegenden Hamburgs gebe es Widerstand gegen die Verdichtung.

Bei seiner Runde im Haustürwahlkampf im Villenviertel steht Borgwardt schließlich am Zaun einer Rotklinker-Villa und klingelt. Die Tür des Hauses geht auf, ein Dalmatiner springt bellend durch den Garten und auf Borgwardt zu. Der hat eigentlich Angst vor Hunden, streckt trotzdem seine Hand hin. Eine blonde Frau tritt vor die Tür. „Moin!“, ruft Borgwardt. Sie läuft durch den Vorgarten. „Ja, worum geht’s denn?“ „Ich kandidiere für die Bürgerschaft. Jetzt gehe ich durchs Viertel und stelle mich vor.“ Die Frau lächelt. „Ja, wie nett.“ Borgwardt hält ihr seinen Flyer hin. „Wenn es Fragen an mich als Kandidaten gibt, hier stehen viele Informationen zu mir. Scheuen Sie sich nicht, mir tatsächlich auch zu schreiben.“ Die Frau nimmt den Flyer, schaut ihn sich an und wünscht viel Erfolg. Immerhin.

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