SPD-Umfragefrust: „Wie ein Biotop auf dem Mond“
Die SPD hadert, warum sie trotz guter Regierungswerte im Tief verharrt - und gibt Mitgliedern Argumentationshilfen zur Hand. Demoskopen finden andere Gründen.
Manfred Güllner kann es gar nicht glauben, als er das Papier "Aus dem Maschinenraum" gelesen hat. Es ist ein Handreichung für SPD-Mitglieder zu der oft gestellten Frage, warum die Partei trotz der großen Zustimmung zum Regierungshandeln in der Corona-Krise in den Umfragen nur bei 14 bis 16 Prozent liegt. Es werden englische Fachbegriffe und externe Gründe angeführt - aber keinerlei Ursachen bei sich selbst gesucht. "Wie ein Biotop auf dem Mond", erscheint dem Chef des Meinungsforschungsinstituts Forsa das Willy-Brandt-Haus.
Entstanden ist die auf der SPD-Seite veröffentlichte Handreichung aus einem Podcast zwischen der Social-Media-Beauftragten Carline Mohr und Alexander Petring, der sich mit Umfragen beschäftigt und daraus Handlungsempfehlungen für den Parteivorstand ableitet. Dort heißt es zum Beispiel: „Wenn euch jemand fragt „Warum steigen die Zustimmungswerte für die Regierung in der Krise eigentlich so massiv an?“, dann könnt ihr antworten: „Das ist der 'Rally-around-the-flag'-Effekt.“
Anglizismen und externe Gründe
Nun dürfte das gerade für ältere Mitglieder nicht selbsterklärend sein - gemeint ist ein Versammeln in Krisen um die Regierungsfahne sozusagen, hier vor allem um die Kanzlerin und die Union. Warum aber die SPD davon nicht profitiere, hänge damit zusammen, „dass Menschen, die sich nicht auf irgendeine Art permanent mit Politik beschäftigen, die Lage erstmal grundsätzlich einschätzen: „Na, das ist doch ganz gut, was die Merkel-Regierung da macht.“ Sie differenzierten kaum zwischen CDU und SPD.
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Merkel auf dem Sonnendeck
Eine Mitschuld trage auch der „Horse-Race-Journalism“, der wie bei Pferderennen Politik nach Gewinnern und Verlierern betrachte. Wichtig sei, dass sich bis 2021 die Umfragen noch umkehren können - und die Union dann keine Angela Merkel habe. Man solle Optimismus verbreiten und den Bürgern sagen: „Wusstest du übrigens, dass wir uns von Hartz IV verabschiedet haben und kennst du unser Sozialstaatpapier?“
Schon in der ersten großen Koalition unter Merkel haderte die SPD mit den Umfragewerten. Es könne nicht sein, dass die Kanzlerin auf dem Sonnendeck winke „und die SPD unten im Maschinenraum schwitzt“, klagte 2006 der damalige SPD-Generalsekretär Hubertus Heil - auch 2020 kann der Kontrast zu Merkel, die in bayerischen Schlössern glänzen darf, kaum größer sein. Aber selten wird intern nach Gründen gesucht - und strategisch nicht vorbereitete Spontandebatten wie zum Grad des Rassismus in der Polizei oder zur Wiedereinführung der Wehrpflicht, fördern die Kakophonie. Den neuen Parteichefs Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans wird in der Bundestagsfraktion Dilettantismus vorgeworfen - wobei das besonders auf Esken zielt.
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Absturz in der "Herzkammer"
Manfred Güllner ist ein kritischer Begleiter der Partei, der er seit fast 60 Jahren angehört - und kann sich regelmäßig anhören, er mache mit seinen Umfragen Stimmungsmache gegen den SPD-Kurs. Der 78-Jährige kann auf die Kraft der Zahlen verweisen. So hat er zum Beispiel im Vorfeld der nordrhein-westfälischen Kommunalwahl (13. September) die politische Stimmung in Dortmund per Befragung von 1004 Wahlberechtigten untersuchen lassen. Es zeigte sich, dass die SPD vor Ort noch als Kümmerer wahrgenommen wird - bei der Kommunalwahl würde sie mit 30 Prozent knapp vor der CDU (28) landen. Wäre es aber eine Bundestagswahl, würden31 Prozent der CDU die Stimme geben, aber nur 22 Prozent der SPD. „Das Ansehen der Bundes-SPD ist auch in Dortmund auf einem Tiefpunkt“, bilanziert Forsa. Und das „in der Herzkammer der SPD, wo die Partei einst von über 60 Prozent der Wähler bei der Bundestagswahl gewählt wurde“.
Solitär Scholz?
Güllner hat einen einfachen Befund: „Die Bundes-SPD kümmert sich nicht mehr um die Interessen der Mehrheit.“ Sondern zu sehr „um Randgruppen, um „lautstark sich artikulierende Minoritäten.“ Als aktuelles Beispiel nennt er die Versuche von Arbeitsminister Hubertus Heil für ein Recht auf das Homeoffice, das vor allem Besserverdienern zugute kommen würde. „Der Arbeiter an der Werkbank kann kein Homeoffice machen.“ Es sei zudem erschütternd, dass sich die SPD-Vorsitzenden bei der Beliebtheit auf dem Niveau von AfD-Fraktionschefin Alice Weidel bewegten. Den mit Abstand beliebtesten Sozialdemokraten, Olaf Scholz, habe man nicht zum Vorsitzenden gemacht, nun könne er aber mangels Alternativen Kanzlerkandidat werden. „Er ist ein politischer Solitär“ - Güllner fragt sich, wie das zusammenpassen und der SPD Auftrieb verleihen soll. Georg Ismar
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