US-Wahlkampf: Wie die Demokraten zur ethnischen Spaltung der USA beitragen
Die Hautfarbe spielt im US-Präsidentschaftswahlkampf eine große Rolle, auch bei den Demokraten. Warum das so ist und warum es gefährlich ist. Ein Essay.
Der Präsidentschaftswahlkampf in den USA wird nicht nur schmutzig, er wird auch rassistisch. Das steht seit dieser Woche fest, seit Donald Trump vier demokratische Kongressabgeordnete aufgefordert hat „zurück“ in ihre Länder zu gehen, vier Amerikanerinnen, von denen drei in Amerika geboren sind.
Auch im Vorwahlkampf der Demokraten spielen ethnische Herkunft und Hautfarbe eine große Rolle
Wenn Trump etwas gefunden hat, das seiner Kernwählerschaft gefällt, macht er weiter. Dass die Hautfarbe und die ethnische Herkunft in diesem Präsidentschaftswahlkampf eine dominante Rolle spielen werden, liegt allerdings nicht allein an Donald Trump. Auch bei den Demokraten spielt die Frage, ob ein Kandidat oder eine Kandidatin eine „person of color“ ist, eine wichtige Rolle. Die bittere Ironie ist: Ausgerechnet jetzt, da mit Donald Trump der offene Rassismus auf die nationale politische Bühne zurückgekehrt ist, zeigen sich auch die Schattenseiten der starken linken Identitätspolitik der vergangenen Jahre deutlich. Der amerikanische Präsidentschaftswahlkampf 2020 droht, zu einem ethnisch-demographischen Clash zu werden. Und es droht eine Krise der Idee der Repräsentation.
Ende Juni kam es während der ersten demokratischen Präsidentschaftsdebatte zu einer Szene zwischen den Kandidaten Kamala Harris und Joe Biden, die symptomatisch für diese Entwicklung ist (die zweite Debatte findet am 30. und 31. Juli statt). Beide, die schwarze kalifornische Politikerin Kamala Harris und Barack Obamas Vizepräsident Joe Biden, ein Weißer, gehören zu den vier Favoriten in der demokratischen Vorwahl. Joe Biden hatte in den Tagen zuvor von seiner guten Zusammenarbeit mit erzkonservativen demokratischen Abgeordneten aus den Südstaaten in den 70er Jahren erzählt – gedacht war das als Beleg dafür, dass er in der Lage sein würde, die Verhärtung der politischen Lager in Washington zu überwinden. Kamala Harris griff das auf und warf Biden vor, mit diesen Abgeordneten zusammengearbeitet zu haben, um „busing“ zu verhindern. Beim „busing“ wurden in den 70er Jahren schwarze Kinder morgens in bessere Schulen in überwiegend weißen Stadtteilen gefahren, um die Segregation zu überwinden. Rechtlich war die Rassentrennung zwar in den Schulen schon seit den 50er Jahren abgeschafft, faktisch aber gab es noch immer „schwarze“ und „weiße“ Schulen. Harris in ihrer emotionalen Reaktion auf Biden ihre eigene Geschichte: „In Kalifornien gab es damals ein kleines Mädchen, das jeden Tag mit dem Bus zur Schule gefahren wurde“, sagte sie. „Und dieses Mädchen war ich.“
Wie andere „people of color“ unter den demokratischen Präsidentschaftsbewerbern betont Harris ihr Schwarz-Sein häufig und spricht über ihre persönlichen Erfahrungen. Sie erzählt gern, dass sie die Rap-Stars Snoop Dogg und Tupac hört und sprach jüngst auf einem Festival in New Orleans vor schwarzen Frauen. In der ersten Reihe saßen dabei Mitglieder von „Alpha Kappa Alpha“, der ersten schwarzen Studentinnenvereinigung in den USA, der Harris angehörte.
Ethnisch bestimmte politische Identitäten haben eine lange Tradition - Trumps Rassismus verstärkt sie
Dass Hautfarbe und Herkunft die politische Identität schwarzer oder hispanischer Politiker prägt, ist natürlich auch keineswegs neu. In seinem kürzlich erschienenen Buch „Fault Lines“ zeigt der Princeton-Historiker Kevin Kruse, dass die Spaltung des Landes in unterschiedliche, ethnisch bestimmte politische Identitäten bereits mit der Bürgerrechtsbewegung in den 60er und 70er Jahren begann. Das rechtliche Ende der Segregation mit dem „Civil Rights Act“ führte keineswegs zu einem echten Ende der Trennung ethnischer Gruppen in der Gesellschaft. Vielmehr wurde die rechtliche Trennung einfach sozial reproduziert. Das war einerseits auf die rassistische Reaktion weißer Amerikaner zurückzuführen: Sie zogen sich in die Vororte, in private Schulen und Sportclubs zurück, um weiterhin der schwarzen Bevölkerung im Alltag nicht begegnen zu müssen. Doch auch innerhalb der afro-amerikanischen Bevölkerung entwickelte sich ein eigenes, auch durch Abgrenzung bestimmtes politisches Bewusstsein. Schwarze Nationalisten forderten, sich der Lebensweise der weißen Amerikaner nicht zu stark anzupassen. Als die Bürgerrechtsbewegung in den 70er Jahren von der Straße in den Kongress verlegt wurde, gründete sich dort 1971 der „Congressional Black Caucus“, den es bis heute gibt. Schon in den 70er Jahren hätten sich diese Abgeordneten weniger als Vertreter nur ihrer Wahlkreise gefühlt, schreibt Kruse, sondern als Repräsentanten des schwarzen Amerika insgesamt.
Schwarze Wähler sind für die Demokraten eine wichtige Wählergruppe
In der jüngeren Zeit wurden diese ethnisch bestimmten politischen Identitäten durch mehrere Faktoren verstärkt. Da ist einerseits die Enttäuschung vieler „people of color“ über die letztlich mageren Fortschritte der Obama-Jahre. Zentrale Ungerechtigkeiten bestehen fort, zum Beispiel der extrem hohe Anteil von Afro-Amerikanern in den Gefängnissen, die Tatsache, dass Schwarze häufiger Opfer von Polizeigewalt sind, die großen Unterschiede in der Gesundheit, bei Bildungschancen und Einkommen. Gerade in seiner ersten Amtszeit war der erste schwarze Präsident der Vereinigten Staaten außerdem geradezu peinlich darauf bedacht, nicht den Verdacht zu erregen, sich für die Interessen schwarzer Wähler besonders einzusetzen. Er wollte als Präsident aller Amerikaner gelten. Als mehrere Fälle von Polizeigewalt gegen Schwarze die Nation erschütterten und die #BlackLivesMatter-Bewegung ins Leben gerufen wurde, enttäuschte Obama viele schwarze Aktivisten, indem er sich in seiner Verurteilung der Vorfälle zunächst zurückhielt.
Die eigene Herkunft zu betonen, hat auch eine strategische Komponente. Für die Demokraten sind schwarze Wähler eine wichtige Wählergruppe, in den Vorwahlen 2016 machten sie ein Viertel der Wähler aus. Eine der ersten demokratischen Vorwahlen – die Vorwahlen beginnen im Februar 2020 - findet in South Carolina statt – wo fast ein Drittel der Bevölkerung schwarz ist. Hinzu kommt nun Donald Trump, der von Anfang an gegen Migranten schoss und sich bei Rassisten anbiederte. Erinnert sei nur an seine Reaktion auf die Demonstration rassistischer Gruppen in Charlottesville im August 2017, bei der einer der Teilnehmer sein Auto in eine Gruppe von Gegendemonstranten steuerte und eine Frau tötete. Trump sagte daraufhin, „gute Leute“ habe es auf beiden Seiten der Demonstrationszüge gegeben.
Die Debatte um Minderheitenrechte und Ungleichheit in den vergangenen Jahren hat ethnische Identitäten gestärkt
Doch auch die starke Debatte um Minderheitenrechte und Ungleichheit unter Linken und Liberalen in den vergangenen Jahren spielt eine Rolle. Beides, der offene Rassismus der Trump-Administration und die starke Identitätsdebatte auf der Linken, rücken Herkunft und Hautfarbe eines Menschen der Öffentlichkeit wieder stark in den Fokus. Die vermeintliche Andersartigkeit verschiedener ethnischer Gruppen ist wieder benennbarer und sichtbarer geworden. Das wäre an sich nicht so dramatisch. Allerdings macht sich gleichzeitig Determinismus breit.
Einer der einflussreichsten Autoren in dieser Debatte ist der schwarze Essayist und Schriftsteller Ta-Nehisi Coates. In seinen Büchern und Essays beschreibt er das historische Erbe der Sklaverei und der „white supremacy“, der weißen Vorherrschaft, als erdrückende Macht, der die Gegenwart kaum entrinnen kann. Und natürlich vererbt sich Macht, vererben sich soziale Ungleichheiten, gibt es starke ideologische Kontinuität. Doch Coates bezieht das zunehmend auch auf die Fähigkeit von Weißen, sich ihrer Privilegien überhaupt bewusst zu werden, geschweige denn, die Lage der Afro-Amerikaner in den USA zu verstehen: „Weiße Menschen sind auf grundlegende Weise gefangen“, schrieb er einmal. „Es hat Generationen gedauert, sie weiß zu machen. Es wird Generationen dauern, das zurückzudrehen.“ Will heißen: Wer weiß ist, kann gar nicht anders, als „weiß“ zu denken und zu handeln und für Weiße Politik zu machen. Der amerikanische Essayist Thomas Chatterton Williams hat diese Haltung bei Ta-Nehisi Coates schon im Oktober 2017 kritisiert und als „Identitätsepistemologie“ bezeichnet, oder „Wissen durch Sein“.
Muss ein Politiker alles "nachempfinden" können - oder reicht es, zu verstehen?
Für die Politik – und nicht zuletzt für die Demokraten - heißt das: Es sind möglicherweise keine politischen Unterschiede, es sind Unterschiede im Sein, die die Wahrnehmung der Eignung eines Kandidaten bestimmten. Nicht die Agenda, sondern die Ontologie zählt. Auch daran knüpft Kamala Harris an, wenn sie erzählt, dass sie und ihre Schwestern nicht mit den Nachbarskindern spielen durften, „weil wir schwarz sind“ oder dass der Rassismus in ihrer Partei keine „intellektuelle Debatte“ sein dürfe. „Ich glaube nicht, dass Sie ein Rassist sind“, sagte sie während der Fernsehdebatte zu Joe Biden. Aber du kapierst es auch nicht, meinte sie mit dem Rest ihres Wortbeitrags.
Nun steht natürlich außer Zweifel, dass jeder Mensch, auch jeder Politiker, von seinen persönlichen Erfahrungen geprägt ist und dass Weiße tatsächlich die Erfahrung nicht nachempfinden können, als Schwarzer in einer rassistischen Gesellschaft leben zu müssen. Doch in der Politik geht es nicht um das „Nachempfinden“, es geht darum, zu verstehen und politische Lösungen zu entwickeln. In einer komplexen demokratischen Gesellschaft ist es unerlässlich, dass politische auch Entscheidungen Menschen anvertraut werden können, die keine persönliche, keine unmittelbare Erfahrung in dem Feld haben, in dem sie Politik machen. Wird das angezweifelt, entstehen auch Zweifel an einem Grundprinzip der Demokratie: Der Legitimität von Repräsentation. Die Spaltung der Nation in ethnische Gruppen, die Donald Trump betreibt – sie wird auch für die Demokraten zum Problem. Wenn Weiße sich prinzipiell nicht durch eine schwarze Kandidatin, Schwarze nicht durch eine Weißen gut repräsentiert fühlen können, bleibt ihre Wählerschaft ethnisch zersplittert. Dann wird die breite Mobilisierung, die nötig ist, um Trump zu schlagen, schwierig. E pluribus unum – aus vielen eines - war der erste Wappenspruch der Vereinigten Staaten. Im Präsidentschaftswahlkampf 2020 scheint sich das Land weiter von dieser Idee zu entfernen.
Korrektur: In einer früheren Version dieses Textes hieß es, Joe Biden habe seine gute Zusammenarbeit mit erzkonservativen republikanischen Abgeordneten in den 70er Jahren gelobt. Die erwähnten Abgeordneten, James Eastland and Herman Talmadge, waren "Dixiecrats", konservative demokratische Abgeordnete aus den Südstaaten.