China gibt USA die Schuld am Ausbruch des Coronavirus: Wie Desinformation in Zeiten von Corona funktioniert
US-Militärs könnten das Coronavirus nach Wuhan gebracht haben, behauptet Chinas Außenamt - das weckt Erinnerungen an die "Operation Infektion" in den 80er Jahren.
Auf den ersten Blick wirkt dieser Satz wie eine der üblichen Verschwörungstheorien, die in den sozialen Medien jetzt auch über das Coronavirus kursieren. „Es könnte die US-Armee sein, die die Epidemie nach Wuhan gebracht hat“, schrieb Zhao Lijian am Donnerstag auf Twitter. Die USA schuldeten China deshalb eine Erklärung. Doch Zhao Lijian ist nicht irgendwer. Er arbeitet als Sprecher des chinesischen Außenministeriums und gilt als eine der profiliertesten und auch umstrittensten Stimmen der Volksrepublik im Westen. Die Geschichte hinter diesem Satz ist ein Lehrstück in Sachen Desinformation.
Die Führung in Peking will offenbar Zweifel daran säen, dass die Pandemie in China ihren Anfang nahm. Dabei waren es chinesische Wissenschaftler, die den Ausbruch in China auf einen Markt in Wuhan zurückgeführt und Hinweise dafür gefunden hatten, dass das Coronavirus von Fledermäusen stammen könnte.
Einen Tag nach seinem Tweet legte Zhao nach: „Dieser Artikel ist sehr wichtig für jeden von uns“, schrieb der Sprecher des chinesischen Außenministeriums auf Twitter und verwies auf einen Text mit dem Titel: „Weitere Beweise dafür, dass das Virus aus den USA stammt“.
In einem zweiten Tweet empfahl er einen ähnlichen Text, und es klang ein wenig so, als würde ein Influencer einen Beitrag anpreisen, damit dieser möglichst oft angeklickt wird: „Das ist so erstaunlich, dass es viele Dinge geändert hat, an die ich früher geglaubt hatte.“
Wieder bittet der chinesische Diplomat darum, den Text mit einem Retweet weiterzuverbreiten, „damit mehr Menschen davon erfahren“.
Zhao hat mittlerweile mehr als 370 000 Follower auf Twitter. Seine englischsprachigen Beiträge richten sich an ein internationales Publikum. Für Chinas Bürger ist Twitter dagegen gesperrt.
Angeblicher Think Tank sah CIA als Drahtzieher der Anschläge vom 11. September
In den Texten, die der Diplomat so begeistert empfiehlt, wird auf die „Military World Games“ verwiesen, die im Oktober vergangenen Jahres in Wuhan stattfanden. Mitglieder des US-Teams könnten damals das Coronavirus in die Stadt gebracht haben, heißt es darin.
Die Quelle für beide Texte ist ein angeblicher Think Tank in Kanada, das „Zentrum für Globalisierungsforschung“, kurz „Global Research“ genannt. Dieses Zentrum, das 2001 in Montreal von dem kanadischen Ökonom und Globalisierungskritiker Michel Chossudovsky gegründet wurde, gilt als Sprachrohr für zahlreiche Verschwörungstheorien: Die Anschläge in den USA vom 11.September seien in Wirklichkeit von der CIA geplant worden, die Amerikaner hätten die Terrororganisationen Al Qaida und den Islamischen Staat finanziert, und der Impfstoff gegen Masern töte viel mehr Menschen als die Masern selbst.
Jüdische Organisationen in Kanada warfen Chossudovsky vor, in einem Diskussionsforum auf der Internetseite des Zentrums antisemitische Beiträge zu dulden.
Auch Russlands Staatsmedien griffen auf diese Quelle zurück
Man könnte dieses Zentrum und seine Webseite als eine der eher obskuren Ecken des Internets abtun. Aber nicht nur das autoritär regierte China greift auf dessen vermeintliche Expertise zurück. Auch russische Staatsmedien zitierten immer wieder aus Beiträgen von „Global Research“, und zwar auffällig oft in den Jahren 2014 und 2015, als der Kreml nach der russischen Intervention in der Ukraine und der Annexion der Krim die öffentliche Meinung im Westen zu beeinflussen suchte.
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Das Zentrum in Kanada berichtete ganz im Sinne des Kremls. Die Ukraine wolle einen „echten Krieg gegen Russland“ verkündete der Propagandasender RT unter Berufung auf „Global Research“, und der „Umsturz“ in Kiew sei lange vor den Protesten auf dem Maidan vorbereitet worden. Das Zentrum wurde offenbar Teil der Desinformationskampagne des Kremls im Ukraine-Krieg und später auch in Syrien.
Russische Staatsmedien greifen nun ebenso den Tweet des chinesischen Außenamtssprechers auf und berichten ausführlich über die vermeintliche Spur des Coronavirus nach Amerika.
All das weckt Erinnerungen an die „Operation Infektion“ in den 80er Jahren: Damals streuten der sowjetische Geheimdienst KGB und die Stasi gezielt das Gerücht, die neue Krankheit Aids sei als Biowaffe in einem US-Labor entwickelt worden. Ein erster entsprechender Bericht erschien in einer Zeitung in Indien, die lange zuvor vom KGB gegründet worden war. Diese Aktion gilt als eine der bekanntesten Desinformationskampagnen – und zeigt, nach welchem Lehrbuch autoritär regierte Staaten wie Russland und China bis heute arbeiten.