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Inzwischen insolvent: Wirecard.
© REUTERS/Michael Dalder

„Ich hatte das Gefühl, durchzudrehen“: Wie der Journalist Dan McCrum Wirecard zu Fall brachte

McCrum deckte schon 2015 Betrügereien von Wirecard auf. Der Konzern warf ihm vor, den Aktienkurs zu manipulieren. 2019 erstattete die BaFin Anzeige gegen ihn.

„Am Anfang war es schwer zu glauben.“ Dan McCrum sitzt in Hemd und Sakko vor einer Kamera, hinter ihm eine kahle Wand. Er wirkt quirlig und aufgeregt, als er erzählt, wie das mittlerweile insolvente deutsche Dax-Unternehmen Wirecard ihn „öffentlich einen Verbrecher nannte.“

McCrum ist investigativer Journalist bei der Londoner Wirtschaftszeitung „Financial Times“ und deckte bereits 2015 mit der Artikelreihe „The House of Wirecard“ erste Ungereimtheiten in der Bilanz des Aschheimer Zahlungsdienstleisters auf.

Der erste Artikel der Reihe beginnt mit den Worten: „Wirecard ist eine wenig bekannte deutsche Technologieaktie im Wert von fünf Milliarden Euro und ein Rätsel. Es bietet Zahlungsdienste an, besitzt eine Münchner Bank und wickelt Millionen von Online-Kreditkartenzahlungen auf Websites ab.“

Doch mit seiner Enthüllung geriet McCrum selbst ins Fadenkreuz der deutschen Ermittler. „Ich war gewissermaßen daran gewöhnt, dass Wirecard mich einen Verbrecher nannte“, erzählt McCrum in einem Video der „Financial Times“ über die Hintergründe seiner Recherche.

„Aber, wenn dann tatsächlich strafbehördliche Ermittlungen in Deutschland gegen einen laufen, mit Aufsichtsbehörden, die anscheinend einen kurzen Draht zu dem Unternehmen haben, über das du schreibst – da gab es Momente, wo das ziemlich stressig wurde“, so McCrum.

„Ich dachte die ganze Zeit, meine E-Mails würden gehackt werden“

Wirecard verklagte die Zeitung im Jahr 2019 unter anderem wegen Insiderhandels: Die Führung des Zahlungsdienstleisters warf McCrum vor, seine Recherchen Spekulanten, die auf einen fallenden Kurs von Wirecard gesetzt hatten, vorab gezeigt zu haben – und so den Aktienkurs manipuliert zu haben.

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Der Verdacht erhärtete sich nie. Wie sich später herausstellen sollte, hatte McCrum die ganze Zeit über Recht. Am Mittwoch, fünf Jahre nach der ersten Veröffentlichung, nahm die Münchener Staatsanwaltschaft den ehemaligen Wirecard-Chef Braun ein weiteres Mal fest, auch zwei weitere Ex-Vorstände wurden festgenommen.

Doch noch vor der Wirecard-Insolvenz sah die Situation anders aus. McCrum erinnert sich: „Ich hatte zwischendurch das Gefühl, durchzudrehen. Ich wurde paranoid. Ich dachte die ganze Zeit, meine E-Mails würden gehackt werden, oder Leute auf der Straße würden mir folgen.“ Er schmunzelt: „Das erscheint lächerlich und es erschien damals auch schon lächerlich.“

McCrum erzählt, wie er sich so sehr in den Gedanken hineinsteigerte, wegen seiner Recherchen überwacht und verfolgt zu werden, dass er zu Treffen nicht erschien oder zu früh aus der U-Bahn ausstieg. Und tatsächlich kam er im Zuge seiner Recherchen an einen Punkt, wo er an sich selbst zweifelte. „Und wenn man das anderen Leuten erklären will – dann klingt das unglaublich, wie in einem Film.“

Wirecard hatte eine „Standard-Taktik“ bei Kritik

Die „Financial Times“ berichtete in ihrer Enthüllungsreihe 2015 zuerst über mögliche Geldwäsche und Kontenfälschung. Wirecard dementierte die Vorwürfe und warf der Zeitung damals schon vor, Einfluss auf den Aktienkurs nehmen zu wollen. Eine Standard-Taktik des Unternehmens, wie McCrum im Nachhinein weiß: „Jedes Mal, wenn sie auf Kritik stießen, war ihre Standard-Antwort, dies sei ein Versuch, ihren Aktienkurs zu manipulieren.“

Im Januar noch sprach Markus Braun, damaliger Vorstandsvorsitzender bei Wirecard, bei Innovationskonferenz DLD.
Im Januar noch sprach Markus Braun, damaliger Vorstandsvorsitzender bei Wirecard, bei Innovationskonferenz DLD.
© dpa

Das Hin und Her eskalierte dann im Januar 2019, wie McCrum sagt: Die Zeitung veröffentliche Whistleblower-Berichte eines Informanten aus dem Büro Wirecards in Singapur. Er legte offen, dass das Unternehmen seine Abrechnungen frisierte, der Wert der Wirecard-Aktie sank.

Daraufhin habe Wirecard erneut mit ihrer Standard-Taktik reagiert: Der Vorwurf lautete diesmal Insiderhandel. Die Wirtschaftszeitung hätte ihre Geschichte angeblich im Vorfeld Headgefonds-Managern geleakt, um erneut den Aktienkurs des Unternehmens zu manipulieren. Wirecard erstattete Anzeige gegen die Zeitung, Ziel war eine Unterlassung der Berichterstattung und eine Entschädigung der Aktionäre.

„Nun ist daran natürlich überhaupt nichts Wahres dran. Aber es scheint die deutschen Aufsichtsbehörden so überzeugt zu haben, dass sie begannen, gegen mich und meine Kollegin Stefania Palma, die mit mir die ersten Wirecard-Geschichten recherchierte, zu ermitteln.“

Die „wildeste Geschichte, an der ich je gearbeitet habe“

Auch die deutsche Finanzaufsicht BaFin zeigte die Zeitung daraufhin an. Jene ließ ihre Recherchen als Antwort darauf extern von Londoner Anwälten prüfen – diese fanden aber keinerlei Hinweise darauf, dass es Absprachen zwischen McCrum, Palma und Hedgefonds-Managern gegeben hätte.

Und dann, im Juni 2020, flog Wirecard auf. Das Unternehmen konnte seine Jahresbilanz nicht vorlegen, 1,9 Milliarden Euro fehlten – Geld, das es höchstwahrscheinlich nie gegeben hatte. Kurz darauf verkündete Vorstandschef Braun in einem Video seinen Rücktritt. Jan Marsalek, zu dem Zeitpunkt noch Vorstandsmitglied, wurde freigestellt, das Unternehmen kündigte Insolvenz an. Wenige Stunden später tauchte Marsalek unter.

Jüngsten Recherchen des „Handelsblatts“ zufolge befindet sich der Mann nahe Moskau und macht gemeinsame Sache mit dem russischen Militärgeheimdienst GRU. „Mit all ihren Wendungen und Intrigen ist das mit Sicherheit die wildeste Geschichte, an der ich je gearbeitet habe“, bilanziert McCrum.

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