Impfgegner, Reichsbürger, Esoteriker: Wie Bundestagsabgeordnete mit Verschwörungstheoretikern umgehen
Viele Bürger wenden sich in der Coronakrise an ihre Bundestagsabgeordneten - mit Fragen und kruden Theorien.
Über die nächste „Welle“ wird oft gesprochen in diesen Tagen. Mit den Lockerungen der Corona-Maßnahmen fragen sich viele Bürger: Kommt nun die zweite Infektionswelle? Folgt bald der nächste Lockdown? Und was wird dann aus Wirtschaft, Schulen, dem öffentlichen Leben in Deutschland?
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Solche Fragen gehen zurzeit auch in den Büros vieler Bundestagsabgeordneter ein. Die Parlamentarier erleben ihre eigene „Welle“ – eine Flut von Anrufen, E-Mails und Briefen. Von Unternehmern, Eltern, Rentnern, aber auch von Verschwörungstheoretikern, die gegen die angebliche Abschaffung der Demokratie protestieren. „Zig Massenmails“ erreichten ihn und seinen Kollegen, sagt Carsten Schneider, Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion. Wie gehen die Abgeordneten damit um?
Der CDU-Politiker Michael Brand ist vergangene Woche einmal rausgegangen aus seinem Bundestagsbüro, um sich die Proteste gegen die Corona-Maßnahmen auf der Reichstagswiese anzuschauen. „Da waren Rechtsextreme, Reichsbürger, Esoteriker, Altlinke und Verschwörungsanhänger“, sagt er. Brand kommt kaum noch nach, auf die Bürgerpost zu antworten.
„Jens Spahn, ein Hund der Bankiers“, schreibt ihm ein Bürger. Corona sei „eine Lüge“. Ein anderer klagt über den „absoluten Ausverkauf des deutschen Volkes von Regierungsseite“. Wiederum ein anderer fordert Brand auf, den Änderungen zum Infektionsschutzgesetz nicht zuzustimmen. Es drohe die dauerhafte Abschaffung der Grundrechte.
Das treibt auch Bürger um, die sich an den FDP-Abgeordneten Konstantin Kuhle wenden. „Die weise ich dann darauf hin, dass der Rechtsstaat auch in der Krise funktioniert“, sagt er. Kuhle schickt als Antwort auf solche Briefe Hinweise auf Gerichtsurteile, „die überzogene Lockdown-Maßnahmen immer wieder kippen“. Kuhle meint damit etwa das jüngst kassierte Öffnungsverbot für Geschäfte mit mehr als 800 Quadratmeter Verkaufsfläche.
Der FDP-Politiker glaubt, in der Aufgeregtheit der Krise drohe bei manchen das „Verständnis für Politik“ verloren zu gehen. Das beobachtet auch die SPD-Abgeordnete Josefine Ortleb: „In der Krise paart sich oft Unwissenheit mit Angst, das ist gefährlich“, sagt sie. „Umso mehr müssen wir unsere Politik erklären.“
Das gilt offenbar auch für die politischen Debatten in Corona-Zeiten, in denen einzelne Vorschläge „von manchen für bare Münze genommen“ würden, wie Kuhle sagt. „Weil wir über einen Immunitätsausweis diskutieren, glauben manche, es drohe eine Impfpflicht.“
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Das Problem kennt auch die Grünen-Abgeordnete Franziska Brantner. In ihrem Büro nehmen die Bürgeranfragen zum Thema Impfen zu. „Die Leute fordern mich auf, eine Impfpflicht zu verhindern. Manche verweisen dabei auf krude Quellen. Einige sprechen sogar von einer Corona-Diktatur.“
Für die Grünen-Politikerin sind solche Briefe und Mails ein Anzeichen dafür, dass bei manchen Bürgern gezielte Verunsicherungsstrategien verfangen. „Überall auf der Welt gibt es einen Grundstock an Impfskeptikern, ob in Deutschland oder Pakistan“, sagt sie. „Die Kräfte, die den Staat destabilisieren wollen, machen sich das zunutze.“
Sie versuche, die Anfragen möglichst sachlich zu beantworten. „Ich weise die Impfgegner darauf hin, dass auch Nazis und Neonazis zu diesen Demos gegen die Corona-Maßnahmen mobilisieren“, sagt Brantner. Außerdem fordere sie jeden auf, die Glaubwürdigkeit von im Internet gefundenen Informationen zu prüfen. Manche bringe das zum Nachdenken.
In dem Büro der SPD-Politikerin Ortleb ist mit der Pandemie nicht nur die Zahl der Zuschriften gestiegen, sondern auch deren Inhalt hat sich verändert.
Während früher oft Spezialanfragen zu einzelnen Gesetzentwürfen eingingen, wendeten sich jetzt vermehrt Menschen mit ihren Alltagssorgen an sie – etwa der Frage, wo man Soforthilfe beantragen kann. „Hier müssen wir schneller reagieren als sonst“, sagt Ortleb. „Das kann nicht eine Woche liegen bleiben.“
Eine Frage des Gefühls
Und wie reagiert sie auf die Post von Verschwörungstheoretikern? „Da verlasse ich mich auf mein Gefühl“, sagt Ortleb. Manchmal helfe es, die Anfragen mit einem Telefonanruf zu beantworten. Zugleich dürfe man die kruden Ideen nicht überbewerten, sagt Ortleb.
Auch den CDU-Politiker Brand treibt das um. „Wir müssen sehr offensiv argumentieren“, sagt er. Vor einem Jahr wurde sein Wegbegleiter, der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke, erschossen. Brand kämpft nicht erst seitdem gegen Rechtsextremismus. „Das alles erinnert mich sehr an die Anfänge von Pegida“, sagt er. Auch die „russischen Trolle Putins“ seien in der Krise wieder mit von der Partie.
Deshalb müsse die Politik die Ängste der Bürger umso ernster nehmen – und zugleich diejenigen davon trennen, die gezielt besorgte Bürger vor ihren Karren spannen wollten.
Ähnlich sieht es FDP-Mann Kuhle. Allen, die sich bereits völlig verloren hätten „in einer Welt aus Verschwörungstheorien und Wahnvorstellungen“, könne ein einzelner Abgeordneter kaum noch helfen. „Bei allen anderen, die vielleicht gerade beginnen, auf irgendwelche Fake News reinzufallen, müssen wir den Kontakt aber auf jeden Fall halten und versuchen, immer wieder ins Gespräch zu kommen.“
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