Unterwegs nach morgen: Wie Arbeitsminister Hubertus Heil den Niedergang der SPD stoppen will
Es könnte die letzte Sommertour als Minister sein. Doch Hubertus Heil will, dass die SPD weiter regiert. Sein Rezept: mehr um Arbeitnehmer kümmern.
Hubertus Heil ist jetzt ganz in seinem Element. Der Arbeitsminister marschiert durch die riesige Produktionshalle des Mercedes-Werks im rheinland-pfälzischen Wörth, jeden Tag werden hier Hunderte Lkw montiert.
Bei seinem Rundgang setzt Heil eine Datenbrille auf, die sonst zum Anlernen von Mitarbeitern benutzt wird: Vor dem einen Auge läuft ein Film, der zeigt, wie die Ablage über der Windschutzscheibe verschraubt werden muss, mit dem anderen Auge sieht Heil die Realität. Man fühle sich erstmal „wie im Raumschiff“, sagt er. Aber die Brille könne wirklich bei der Arbeit helfen.
Zwei Tage ist der Arbeitsminister in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg unterwegs, um zu besichtigen, wie Digitalisierung und Strukturwandel die Arbeitswelt verändern. Doch immer wieder wird der Sozialdemokrat dabei auch an die ungewisse Zukunft seiner Partei erinnert. In den Umfragen liegen die SPD zwischen 12 und 14 Prozent. Und seit Wochen meldet sich keiner aus der ersten Reihe der Partei, um sich für den SPD-Vorsitz zu bewerben.
Im Lkw-Werk transportieren Fahrzeuge ohne Fahrer Bauteile, Roboter montieren Windschutzscheiben, in der Qualitätskontrolle werden Schweißnähte künftig nicht mehr manuell, sondern automatisch überprüft. „Brauchen Sie in Zukunft immer noch Menschen?“, fragt Heil.
Der SPD-Mann weiß, dass der rasante technologische Wandel bei vielen Arbeitnehmern Ängste auslöst. Zugleich sieht er in der Digitalisierung auch „eine Chance für die Humanisierung der Arbeitswelt“. Immer wieder fragt der Minister nach, wie die Beschäftigten auf die neuen Zeiten vorbereitet werden.
Weniger Selbstbeschäftigung, mehr Kümmern
Heil ist überzeugt: Die SPD sollte sich nicht mehr so viel mit sich selbst beschäftigen, sondern sich um die Arbeitnehmer kümmern - also darum, wofür sie vor mehr als 150 Jahre gegründet wurde, auch wenn die Arbeitswelt heute eine andere ist. Die Reise des Ministers ist auch der Versuch, vor den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen ein ursozialdemokratisches Thema setzen. In Wörth stellt er dem stellvertretenden Werksleiter seine neuen Gesetzespläne vor, mit denen er Arbeitsplätze im Strukturwandel sichern und Betriebe und Arbeitnehmer auf einen möglichen Abschwung vorbereiten will. Mehr Weiterbildung, der schnellere Einsatz von Kurzarbeitergeld im Krisenfall - Heil will gewappnet sein.
Er wolle die Krise nicht herbeireden, sagt der Minister. Aber bei seiner Reise bekommt Heil auch einen Eindruck davon, wie unsicher Konjunkturprognosen geworden sind. Im Mercedes-Werk sieht die Auftragslage noch gut aus, doch die Automobilindustrie steht vor ungewissen Zeiten. Das bekommt auch der Chemiekonzern BASF zu spüren, den Heil am Tag zuvor in Ludwigshafen besichtigt hat. Rund 20 Prozent des Umsatzes hängen hier an der Automobilbranche. Weltweit streicht der Konzern in den nächsten Jahren 6000 Stellen, etwa die Hälfte davon in Deutschland.
Er habe mal gelesen, dass Unternehmen eine Lebensdauer von 50 Jahren hätten, sagt Vorstandschef Martin Brudermüller. Demnach habe die BASF, die 1865 gegründet wurde, schon drei Leben hinter sich. „Das haben Sie mit der SPD gemeinsam“, ruft Heil dazwischen. „Ich wünsche Ihnen auch noch ein paar Leben“, entgegnet Brudermüller. Es ist eine scherzhafte Bemerkung. Und doch hat sie einen ernsten Kern. Heil kennt die abschreckenden Beispiele aus anderen europäischen Ländern nur zu gut, so wie in Frankreich, wo eine einst einflussreiche Sozialdemokratie in der Bedeutungslosigkeit verschwunden ist. Dagegen will er sich mit aller Macht stemmen. Und bis zu den Wahlen in Ostdeutschland sind es nur noch knapp drei Wochen.
Ist ein Kompromiss bei der Grundrente in Sicht?
Seit einer Weile versucht Heil, in Gesprächen mit dem Kanzleramt doch noch einen Kompromiss bei der Grundrente hinzubekommen. Auf der Straße in Ostdeutschland begegne ihm das Thema immer wieder, erzählt er. Wer mindestens 35 Jahre lang Beiträge gezahlt hat, aber trotzdem nur eine geringe Rente erhält, soll diese aufgestockt bekommen. Eine Frage der Anerkennung, findet Heil. Doch seit Monaten hat die Koalition sich bei diesem Thema verhakt, eine Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung wollen viele in der Union nicht akzeptieren. Womöglich könnte der Koalitionsausschuss am Sonntag den Durchbruch bringen. Heil ist überzeugt, dass die Regierung liefern muss, wenn sie keine Enttäuschungen produzieren will – schließlich ist es bereits der dritte Anlauf, eine solche Regelung hinzubekommen.
Am liebsten wäre ihm natürlich, wenn er noch vor den Wahlen am 1. September verkünden könnte, dass 2020 die Grundrente kommt. Immerhin kann er schon jetzt auf kleinere Erfolge in seinem Ressort verweisen. Zum Beginn seiner Tour trifft Heil in Heidelberg einen Mann, der nach mehr als 20 Jahren Arbeitslosigkeit über den sozialen Arbeitsmarkt eine Stelle als Hausmeister in einer Schule bekommen hat. Insgesamt sind seit Jahresbeginn mehr als 20.000 solcher geförderten Jobs entstanden.
Bleibt die aktuelle Großbaustelle der SPD: die Neubesetzung des Parteivorsitzes. Heil weiß, dass diese Personalie auch mit über die Frage entscheidet, ob die SPD in der großen Koalition bleibt. Bisher hat noch niemand aus der ersten Reihe seine Kandidatur erklärt – Ministerpräsidentinnen, Übergangs-Parteichefs, Bundesminister. Er gehe davon aus, dass es in den nächsten Tagen weitere Bewerber geben werde, sagt Heil zwischen zwei Terminen. Er habe auch eine Vorstellung, wer das machen könne.
Und er selbst, als Minister des sozialdemokratischen Kernressorts in der Regierung? „Ich strebe es nicht an“, sagt Heil. Doch wenn kein anderer aus der aktuellen SPD-Spitze bereit erklären sollte, würden die Blicke sich vielleicht wieder auf ihn richten. Immerhin hat Heil sich schon zwei Mal als Generalsekretär in den Dienst der Partei stellen lassen.