Kinderreport 2017: Wie anfällig ist die Jugend für Populisten?
Ein Drittel der Erwachsenen in Deutschland zweifelt an der Demokratiefähigkeit der nachfolgenden Generation. Das Deutsche Kinderhilfswerk nennt den Befund "besorgniserregend".
Die Zukunft unseres demokratischen Systems liegt in den Händen der Jüngeren. Doch während der Rechtspopulismus grassiert, spricht jeder dritte Erwachsene den heutigen Kindern und Jugendlichen die Fähigkeit ab, später einmal Verantwortung für das Erhalten der Demokratie zu übernehmen. Zu diesem Ergebnis kommt eine repräsentative Befragung für den Kinderreport 2017, der am Donnerstag in Berlin vorgestellt wurde. Das Deutsche Kinderhilfswerk nennt den Befund besorgniserregend – und auch ein Misstrauensvotum der Erwachsenen gegen sich selber. Schließlich sei es ihre Aufgabe, jungen Menschen gerade in Zeiten des grassierenden Populismus Demokratiekompetenz zu vermitteln und sie im Erhalt dieses Systems zu bestärken.
Woher rührt das Misstrauen in die Jugendlichen und wo ist es besonders verbreitet?
Man kann es auch positiv ausdrücken: 64 Prozent der Befragten haben Vertrauen in die Demokratiefähigkeit der nachfolgenden Generation. Am ausgeprägtesten ist diese Zuversicht bei Gutverdienern und unter den über 60-Jährigen. Von denen, die mehr als 3000 Euro im Monat nach Hause bringen, äußern sich nur 29 Prozent skeptisch, bei Geringverdienern mit weniger als 1500 Euro waren es 43 Prozent. Auch im Osten ist das Vertrauen in die Verantwortlichkeit der nachfolgenden Generation mit 58 Prozent weit geringer ausgeprägt als im Westen (65 Prozent). Ansonsten zweifeln vor allem diejenigen an der Jugend, die ihr noch am nächsten sind: die 18- bis 29-Jährigen.
Die Gründe für das Misstrauen wurden eigenartigerweise nicht abgefragt. Die Studienautoren mutmaßen aber, dass es sich dabei auch um Folgewirkungen eigener Erfahrungen handeln könne. Wer als Jugendlicher nicht erlebe, dass seine Meinung in der Politik wahrgenommen werde und etwas zähle, habe „wenig Vertrauen darin, dass es nachfolgenden Generationen anders ergehen wird“. Außerdem erlebten viele als Jüngere unmittelbar, „wie schwierig politische Mitbestimmung und Auseinandersetzungskultur ist, wenn sie nicht geübt wird“.
Hängt das Vertrauen in die Jungen auch von der Präferenz für Parteien ab?
Ja, das ist auffällig. Am meisten misstrauen der nachfolgenden Generation Anhänger von Parteien, die sich an den Rändern des politischen Spektrums befinden: Linke und AfD. Hier attestieren nur knapp sechs von zehn Befragten den Jüngeren, dass sie demokratiefähig sind. Die größte Zuversicht zeigen Befragte, die der FDP nahestehen (84 Prozent) – gefolgt von den Grünen mit 78 Prozent.
Wie bewerten die Forscher die Ergebnisse?
Sehr unterschiedlich. Thomas Krüger, der Präsident des Kinderhilfswerks, zeigt sich besorgt – jedoch nicht aufgrund womöglich fehlender Demokratiekompetenz der Heranwachsenden, sondern wegen des fehlenden Vertrauens, das ihnen die Erwachsenen entgegenbrächten. „Vielleicht misstrauen ja viele den Jugendlichen, weil sie selber das Problem sind.“ Petra Pau, Linkenpolitikerin und Bundestags-Vizepräsidentin, sieht darin ebenfalls ein „Alarmsignal“. Schließlich seien Rechtspopulisten auf dem Vormarsch: „Das birgt Gefahren für die Demokratie.“ Der Jugendforscher Klaus Hurrelmann dagegen wertet die Studienergebnisse gerade andersherum: als Vertrauensbeweis an die Jüngeren. Es sei „überraschend, dass dieser Wert so hoch ist“, sagte er der Nachrichtenagentur dpa. „Ich hätte ihn positiv interpretiert.“
Die Vorurteile der älteren Generation seien ansonsten enorm. Viele zweifelten an der Fähigkeit der Jungen, ihr Erbe weiterzuführen. Zudem bedeute das Misstrauen ja nicht, dass die Jugendlichen tatsächlich ein Defizit hätten. Das Gegenteil sei der Fall, die Wertschätzung für die Demokratie sei bei jungen Menschen am Wachsen. Was weniger werde, sei das Vertrauen in Strukturen wie Parlamente und Parteien. Jugendliche seien es gewohnt, Dinge schnell beeinflussen zu können. „Langwierige Prozesse wie in einer Demokratie leuchten ihnen nicht ein.“
Momentan zeige sich aber gerade eine Art Trump-Effekt: Der Regierungsstil des US-Präsidenten schrecke viele junge Leute ab – und wirke womöglich sogar positiv gegen schleichende Politikverdrossenheit.
Wer ist verantwortlich für die Vermittlung demokratischer Überzeugungen und Fähigkeiten?
Aus der Sicht der Befragten ganz klar die Familie. 90 Prozent sehen hier zuvorderst das Elternhaus in der Pflicht. 65 Prozent sprechen aber auch den Bildungseinrichtungen eine gewichtige Rolle zu. Sportvereine hält dafür nur jeder Achte für zuständig, politische Parteien jeder Zehnte. Gleichwohl sei die Vermittlung von Demokratiefähigkeit „eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe“, betont Krüger. Er verlangt mehr Politik, Geschichte und Sozialkunde im Unterricht – insbesondere an berufsvorbereitenden Schulen, wo solche Fächer kaum zu finden seien. Auch müssten Kinder und Jugendliche in ihrem Lebensumfeld mehr Mitbestimmung und Partizipation erleben können. Familien dürften mit dieser Verantwortung nicht allein gelassen werden.
Was kann bei Jugendlichen für die Demokratieförderung getan werden?
Deutlich mehr jedenfalls als bisher, so der Tenor der Studie. Mehr Geld für Kinder- und Jugendarbeit beispielsweise halten 92 Prozent der Befragten für sinnvoll. 89 Prozent plädieren für eine Forcierung des Gesellschaftskundeunterrichts an den Schulen. 83 Prozent meinen, dass Kinder- und Jugendinteressen in der Politik stärker berücksichtigt werden sollten. 78 Prozent sind der Ansicht, dass politische Bildung zum Pflichtfach für die Lehrerausbildung werden müsse. Jeder Zweite findet sogar, dass politische Bildung bereits in die Grundschule gehört.
Mehr Mitbestimmung von Kindern und Jugendlichen verlangen 66 Prozent. Bei den befragten Kindern und Jugendlichen selbst ist der Wunsch danach noch deutlich größer: 96 Prozent würden gerne in ihrer Familie mehr mitbestimmen, 95 Prozent in der Schule – und 87 Prozent sehnen sich auch nach mehr Mitsprache in Sport, Kultur und Freizeitbereich. SPD-Anhänger plädieren übrigens am häufigsten für eine stärkere Partizipation von Jugendlichen, Parteigänger der Grünen sind hier erstaunlicherweise eher zurückhaltend. Sie pochen lediglich zu 15 Prozent auf mehr Mitbestimmung in der Schule. Von den Unionsanhängern verlangen das immerhin 26 Prozent.
Könnte eine Absenkung des Mindestwahlalters die Demokratiekompetenz fördern?
Diese Frage wird in der Studie zwar nicht aufgegriffen, vom Kinderhilfswerk aber mit einem klaren „Ja“ beantwortet. „Wenn Kinder mit 14 scheckkartenfähig, religions- und strafmündig sind, warum sollen sie dann nicht auch wählen dürfen?“, fragt Krüger. Den Anfang könne man bei Kommunalwahlen machen, doch auch für den Bundestag sei es denkbar, das Wahlalter auf 16 Jahre senken. Das Argument, dass Jugendliche noch nicht genug über das politische System wüssten, sei eine Ausrede. Heranwachsende seien hier mitunter informierter als manche aus der älteren Generation.
Andere Befragungen wie die jüngste Shell-Jugendstudie hätten auch ergeben, dass sich die unter 18-Jährigen als besonders immun gegen Rechtspopulismus erweisen. Und ein abgesenktes Wahlalter könne auch dazu beitragen, dass der Fokus endlich stärker auf Kinder- und Jugendpolitik gelegt werde. Jedenfalls sollten die Studienergebnisse als Aufforderung an die Parteien gelesen werden, Kinder- und Jugendinteressen nicht länger als „Schön-Wetter-Thema“ abzuhandeln.
Wie bekannt sind hierzulande die bestehenden Kinderrechte?
Sehr wenig. Lediglich jeder siebte Erwachsene weiß nach eigenen Angaben gut darüber Bescheid und konnte auch einzelne dieser Rechte benennen. 12 Prozent der Erwachsenen dagegen haben noch überhaupt nichts über Kinderrechte gehört oder gelesen – obwohl die UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland bereits 1992 mit Vorbehalten und vor sieben Jahren vorbehaltlos ratifiziert worden ist. Das sind nochmal drei Prozent mehr Ignoranten als im vergangenen Jahr. Doch immerhin: 73 Prozent kennen das Ding wenigstens dem Namen nach.
Wird in Deutschland zu wenig gegen Kinderarmut getan?
87 Prozent der befragten Kinder und 75 Prozent der befragten Erwachsenen sehen das so – und wünschen sich mehr entsprechendes Engagement seitens der Politik. Dass von Armut betroffene Kinder in der Schule geringere Chancen auf einen guten Bildungsabschluss haben, glauben vier von fünf Erwachsenen.
64 Prozent der Kinder und Jugendlichen bestätigen auch, dass Betroffene in den Schulen zu wenig unterstützt und so benachteiligt werden. Als Hauptgrund für Kinderarmut nennt eine überwiegende Mehrheit aller Befragten zu niedrige Einkommen der Eltern, fehlende Hilfe für Alleinerziehende und die politische Vernachlässigung des Themas.
Nur 22 Prozent der Kinder und 37 Prozent der Erwachsenen sind der Ansicht, dass durch die wirtschaftliche Lage Deutschlands mehr Unterstützung nicht möglich sei. Dies alles sei, folgert das Kinderhilfswerk, ein „eindeutiger politischer Handlungsauftrag“. Wer sich um die Zukunft der Demokratie sorge, müsse auch mehr Mut haben, in sie zu investieren.
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