Krieg der Generationen: Andere Augenhöhe
Michael Opoczynski beschreibt in seinem Buch einen Konflikt zwischen Jung und Alt – dabei verlaufen die Fronten heute anders. Eine Rezension
Die Alten haben den Jungen den Krieg erklärt.“ So lautet die zentrale These des neuen Buchs von Michael Opoczynski. Wie keine vor und nach ihr verfügt die heutige Rentnergeneration über ausreichend Geld und Zeit. Zu ihr gehört der Autor. Wie viele hat er sein Berufsleben weitgehend im öffentlich-rechtlichen Sektor zugebracht: Mitarbeiter eines Abgeordneten, Pressesprecher der SPD und Redakteur beim ZDF. Gerade verrentet, packt ihn das schlechte Gewissen – und die Verzweiflung. Das schlechte Gewissen betrifft das politische Erbe der Älteren. Die Verzweiflung gilt den Jüngeren. Opoczynski rechnet mit beiden ab: „Wir sehen ein Problem und machen uns Sorgen. Ihr seht das Problem nicht … Ihr seid heute ganz anders als wir damals. Wo ist denn euer politisches Interesse?“, fragt der Autor ratlos und arbeitet sich an den Jungen ab: Die Jugend interessiert sich nicht für Politik, liest keine (gedruckte) Zeitung, ist viel zu brav und gleichgültig. Nur, wer ist dafür verantwortlich, wer hat die Generationen X und Y erzogen und die Entpolitisierung, die Opoczynski beklagt, betrieben? Es sind die Älteren, die ihnen heute ein Erbe von ökologischen und ökonomischen Schulden hinterlassen.
Die Jugend ist besser als ihr Ruf
Junge Menschen sind heute zielstrebig, ehrgeizig und weniger anfällig für Ideologien. Ihnen deshalb Gleichgültigkeit vorzuwerfen, ist ein Fehlschluss. Nur weil sie nicht gegen das Establishment kämpfen und gegen die herrschenden Zustände auf die Barrikaden steigen wie einst die Alten, sind die Jungen nicht zwingend unpolitisch oder finden sich mit allem ab. Was an dem Buch ärgerlich ist, ist neben der pauschalisierenden Polemik seine Empiriefreiheit. Wer seitenlang über junge Menschen urteilt, sollte zumindest einige Jugendstudien zur Kenntnis nehmen, statt in das Klagelied über den Zustand der Jugend einzustimmen.
Die Jugend ist besser als ihr Ruf. Trotz unsicherer Zeiten ist sie weitgehend optimistisch und pragmatisch. Vor allem eine starke Leistungsorientierung und ein ausgeprägter Sinn für soziale Beziehungen sind prägende Eigenschaften – laut der aktuellen Shell-Jugendstudie. Ihr Interesse an Politik ist in den letzten Jahren sogar gestiegen, drückt sich aber anders aus als früher. Junge Menschen haben höhere Ansprüche an Politik und Parteien. Sie suchen bei politischen Themen einen persönlichen Bezug und direkte Beteiligung. Nur finden sie beides in der real existierenden Demokratie nicht. In Umfragen haben Kinder und Jugendliche den Eindruck, dass es die Politik zu wenig interessiert, was junge Menschen denken.
„Stell dir vor, es ist Krieg, und keiner geht hin.“ Diesen Satz aus einem Gedicht von Carl Sandburg hat früher die Friedensbewegung oft zitiert. Wenn es aber gar keinen Krieg der Generationen gibt, muss ihn auch niemand ausrufen. Politik beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit. Und die ist anders, als Opoczynski sie beschreibt. Noch nie war das Verhältnis zwischen Jung und Alt so gut wie heute. Die Eltern sind die besten Freunde und die Großeltern aktiver und fürsorglicher als frühere Generationen. Der soziale Friede ist heute nicht zwischen, sondern innerhalb der Generationen bedroht. Der Abstand zwischen jenen, die es mithilfe von Eltern und Bildung schaffen und jenen, deren Eltern nicht über das nötige ökonomische wie kulturelle Kapital verfügen, ist in den vergangenen Jahren auch in Deutschland gewachsen. Die einen erben Chancen und Wohlstand, die anderen Risiken und Fatalismus. Es sind vor allem Jüngere aus prekären, sozial schwachen Familien, die immer seltener zur Wahl gehen. Ob jemand wählt, hängt zunehmend vom Wohnort, von Freunden und der Familie ab.
Soziale Medien sind politikfreie Räume
Die Zeiten ändern sich: Internet und neue Medien ermöglichen heute eine Politik auf Augenhöhe. Junge Menschen interessieren sich für Politik und Demokratie, wenn sie selbst etwas davon haben und ihr Engagement nicht folgenlos bleibt. Soziale Medien sind in Deutschland politikfreie Räume. Bürgerschaftliches und politisches Engagement spielen in der Schule kaum eine Rolle. Es geht nicht um ein neues Schulfach oder eine neue Onlineplattform. Es geht um eine Politik als Lebenspolitik, die alle Bereiche eines guten Lebens betrifft: Ernährung, Gesundheit, Bildung, Beteiligung.
Michael Opoczynski: Krieg der Generationen. Und warum unsere Jugend ihn bald verloren hat. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2015. 160 Seiten, 12,99 Euro.
Daniel Dettling