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Laut der Sinus-Studie neigt die heutige Jugend nicht zur Rebellion.
© picture alliance /dpa

Sinus-Studie zur Jugend: Einfach die Generation Gegenwart

Zu unpolitisch? Konsumorientiert? Beziehungsunfähig? Die Jugend ist vor allem ein Spiegel der Gesellschaft. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerrit Bartels

Gute Jugend, schlechte Jugend, was denn nun? Als die Heidelberger Sinus-Akademie vergangene Woche die Ergebnisse ihrer neuesten, alle vier Jahre in Auftrag gegebenen Jugendstudie vorstellte, war das mediale Urteil einstimmig: „Alle wollen Mainstream sein“, „Generation Mainstream“, „Jugendliche gehören gern zum Mainstream“, „Jugendliche in Deutschland auf Kuschelkurs“, „Fast schon überangepasst“ – so lauteten die Überschriften der Beiträge, in denen die Studie referiert und manchmal auch eingehender analysiert wurde.

Wieder einmal hat „die Jugend“, in diesem Fall Teenager von 14 bis 17 Jahren, für Verblüffung im Land gesorgt – und wieder einmal darf man sich genauso über diese Verblüffung wundern. Denn zum einen ähneln sich die Ergebnisse und Einschätzungen der Sinus-, Shell- und anderer Jugendstudien seit gut zwei Jahrzehnten. Der „Spiegel“ zum Beispiel erschien im Juli 1999 mit einem Titel über „Die jungen Milden“ und konstatierte: „Die gegenwärtig 15-25jährigen gehören zur ersten Generation in der Bundesrepublik, die ohne Revolte, ja ohne irgendeinen deutlich artikulierten Widerspruch gegen die Älteren, zumal die leiblichen Eltern aufzuwachsen scheint.“

Je unpolitischer die Jugend wurde, desto inflationärer wurden die Generationskonstruktionen

Zum anderen fragt man sich: Ist die Revolte, das Aufbegehren der Jugend genetisch festgeschrieben? Und verkümmert dieses Gen dann mit den Jahren? Wie viel Projektion der Älteren spielt beim regelmäßig wiederkehrenden Erstaunen über die brave, angepasste, rebellionsunlustige Jugend mit? Ist der Jugenddiskurs nicht stets geprägt von politischen und ideologischen Auseinandersetzungen der gesamten Gesellschaft?

Jugend ist ein Konstrukt; eine Erfindung der bürgerlichen und kapitalistischen Gesellschaft. Insbesondere mit dem Aufkommen von Pop bekam die Jugend eine immer größere Rolle zugewiesen, von wegen ihrer Konsumorientiertheit und Kaufkraft. Die Revolte ist nur die eine Seite der Medaille. Ebenfalls primär Konstrukte sind die jeweiligen Generationen mit den griffigen Etiketten von, sagen wir, der skeptischen und der 68er-Generation über 89, X, Y und Golf bis hin zu Merkel, Smart, Laminat, Beziehungsunfähig und was es sonst noch so an Generationen gibt. Gerade der Buchmarkt zeigt sich in dieser Hinsicht sehr erfinderisch.

Auffällig ist: Je unpolitischer die Jugend wurde, was ja immer nur die Interpretation vermeintlich viel politischerer Alterskohorten zuvor war, je weniger ihr Aufbegehren politische oder gesellschaftliche Folgen nach sich zog – 68 als ewig leuchtendes Beispiel! –, desto inflationärer die Generationskonstruktionen. Was auch damit zu tun hat, dass spätestens in den neunziger Jahren die verschiedensten Jugend- und Subkulturen mit offenen Armen im Mainstream empfangen und noch entlegenste Reservate der Dissidenz aufs Wunderbarste integriert wurden. Stichwort „Mainstream der Minderheiten“.

Die Jugend von heute, wenn man sie denn so nennen will, hat es vor diesem Hintergrund leicht und schwer zugleich: Es ist alles schon da, bedient euch, verschwendet euch, alles ist erlaubt! Aber sie muss auch damit klarkommen, dass es – seltsamerweise – eine tiefe Sehnsucht danach gibt, dass sie, die Jugend, die Dinge neu und anders und am besten besser und aufregender in Gang bringt: „Die Leude wollen, dass was passiert, die Leude wollen, dass Bass massiert“, um es mit einer Liedzeile der Hip-Hop-Band Fünf Sterne De Luxe zu sagen. Früher war das durchaus umgekehrt. Jugend, Jugendgruppen, Juvenilität, all das stand auch im Ruch des Gefährlichen: Was hecken die wieder aus?

One generation got old / One generation got soul

Nicht leichter wird das alles in einer Gesellschaft, die einerseits beim Analysieren der jeweiligen Studien immer wieder in ihren diffusen Hoffnungen auf die Jugend enttäuscht wird. Die andererseits aber selbst im höchsten Maß jugendfixiert ist, von Berufs wegen jugendlich gewissermaßen. Die Gesellschaft wird immer älter – aber wer ist überhaupt noch wirklich alt heutzutage? Das Leben, es beginnt nicht nur mit dem Ende der Pubertät, es beginnt in so gut wie jeder zweiten Biografie noch mehrmals ganz neu. Grenzen zwischen „Jugend“ und „Erwachsensein“ lassen sich nur noch schwer ziehen. Als soziologische Kategorie hat „Jugend“ ihre Konturen längst verloren.

„Got a revolution / Got to revolution / One generation got old / One generation got soul / This generation got no destination to hold“ – das konnten Jefferson Airplane 1969 in Woodstock ruhigen Gewissens singen und millionenfacher Zustimmung sicher sein. Heute führt man ein Wörtchen wie Revolution am besten nur in Anführungsstrichen im Mund. Die Revolution in unserer Gegenwart, die aber gibt es wirklich, es ist die digitale. Man muss dabei wohl von einer Mainstream- Revolution sprechen. So gut wie alle machen mit: die einen, die vielen, vielen Jungen mehr, die paar Alten weniger. Ja, da gäbe es ordentlich Protestpotenzial! Gute Jugend, schlechte Jugend, plötzlich angepasste Jugend, ewig dissidente Jugend? Am Ende ist sie vor allem der Spiegel der Gesellschaft, in der sie aufwächst.

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