Künftige SPD-Chefin: Wie Andrea Nahles ihr Macht-Netzwerk strickt
Verlässliche Juso-Connection: An diesem Sonntag will sich Andrea Nahles zur SPD-Chefin wählen lassen. Schlüsselstellen in Partei, Fraktion und Regierung hat sie schon mit Vertrauten besetzt.
Wer wissen will, wie langfristig Andrea Nahles ihr Netzwerk aufbaut, muss nur einen Blick in das Impressum der "Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft" (spw) werfen. Das Periodikum mit einer Auflage von 2000 Exemplaren ist die Wiedergründung eines Organs des marxistischen Flügels der SPD aus der Weimarer Republik. Im "spw"-Impressum finden sich nicht nur die Einträge "Andrea Nahles (Weiler)", sondern auch die Namen Thorben Albrecht, Niels Annen, Björn Böhning, Benjamin Mikfeld und Sebastian Jobelius.
Es ist eine bemerkenswerte Kontinuität. Denn alle fünf waren früher bei den Jusos aktiv und sind heute wichtige Mitarbeiter oder Mitstreiter der Fraktionschefin, die sich am Sonntag zur Vorsitzenden der SPD wählen lassen will. Aus ihren Funktionen und neuen Aufgaben lässt sich ablesen, wie systematisch die 47-jährige Politikerin Kontakte knüpft und Menschen mit Aufgaben in ihrem engsten Umkreis und in Ministerien betraut, um ihre Macht abzusichern.
Mikfeld, Annen und Böhning folgten Nahles an der Spitze der Jusos, die den Nachwuchsverband von 1995 bis 1999 geleitet hatte. Bis heute sind alle drei enge Vertraute von ihr. Annen (45) stieg mit der Regierungsbildung zum Staatsminister im Auswärtigen Amt auf.
Nicht erst in ihrer Juso-Zeit hat die künftige Parteichefin begonnen, ihre Kontakte zu pflegen. Damit fing die Tochter eines Maurers aus der Vordereifel schon früher an. Der Versuch, Menschen zu einem gemeinsamen Ziel zusammenzubringen, bescherte Nahles ihre erste politische Erfolgserfahrung. Denn schon als Jugendliche gründete sie einen SPD-Ortsverein in ihrem Heimatort Weiler.
Dreißig Jahre später nutzt sie die Kontakte, die sie sich aufgebaut hat. Seit dem Rücktritt von Martin Schulz, ihrer Nominierung zur Vorsitzenden und der Bildung der großen Koalition hat sie ihr Beziehungsarbeit noch einmal intensiviert. "Das Netzwerk wird jetzt sehr eng gezogen", sagt ein Kritiker aus der Fraktion. Nun sorgt sie dafür, dass langjährige Vertraute in wichtige Positionen kommen.
So etwa der 45-jährige Mikfeld, Juso- Chef von 1999 bis 2001. Nach 2004 war er sieben Jahre lang in wichtigen Funktionen im Willy-Brandt-Haus tätig, nach 2014 dann Leiter der Grundsatzabteilung des Arbeitsministeriums unter Nahles. Nun wird Mikfeld Chef der Leitungsabteilung im von Olaf Scholz geführten Finanzministerium. Gemeinsam mit Staatssekretär Wolfgang Schmidt soll er für den Vizekanzler und für Nahles die SPD-Ministerien koordinieren.
Enge, strategisch angelegte Zusammenarbeit
Nahles und Scholz sind zwar unterschiedliche Politikertypen und stehen für verschiedene Flügel der SPD. Doch auch Scholz wurde bei den Jusos sozialisiert. Heute pflegen beide eine enge, strategisch angelegte, angeblich auf Freundschaft fußende Zusammenarbeit.
Auch Böhning (Juso-Chef von 2004 bis 2007) kommt nun in einem Bundesministerium eine Aufgabe zu. Der frühere Chef der Berliner Senatskanzlei soll sich als Staatssekretär im Arbeitsministerium unter anderem um die Themen Arbeitsmarkt und Digitalisierung kümmern. Bekommt Ressortchef Hubertus Heil, der zu den Mitgründern der pragmatischen "Netzwerker" in der SPD gehört, von seiner Vorgängerin so einen Aufpasser ins Haus geschickt? Das ist eine These, der in der SPD widersprochen wird: Es gebe noch zwei weitere beamtete Staatssekretäre bei Heil, von denen eine, Leonie Gebers, eine Vertraute des Chefs sei.
Auch der Nahles-Vertraute Sebastian Jobelius, Jahrgang 1976, kann auf eine Karriere bei den Jusos zurückschauen – er war Landesvorsitzender in NRW. Schon im Arbeitsministerium leitete der Sozialwissenschaftler das Büro der Ministerin. Die gleiche Aufgabe füllt er nun für die Fraktionschefin aus.
"Der Vergleich mit Helmut Kohl ist angemessen"
Eine besondere Aufgabe hat Nahles offenbar für Thorben Albrecht vorgesehen: Er soll im Willy-Brandt-Haus Bundesgeschäftsführer werden. Damit besetzt Nahles eine Schlüsselfunktion mit einem Mitarbeiter, der ihr schon häufig diente. Auch Albrecht war bei den Jusos, leitete das Büro von SPD-Vize Rudolf Scharping und arbeitete dann für den DGB, bevor er ins Willy-Brandt-Haus zurückkehrte.
Nun wird der Mann, der unter Nahles Staatssekretär im Arbeitsministerin war, in der Parteizentrale womöglich mehr Einfluss gewinnen als der neue Generalsekretär. "Wer als Nahles-Vertrauter Bundesgeschäftsführer ist, hat alle Möglichkeiten", sagt ein Kenner des Hauses: "Lars Klingbeil wird sich vorkommen wie im Schraubstock." Ob die These stimmt, ist offen. Denn im Willy-Brandt-Haus wird die Personalie nicht bestätigt.
Der vermutlich dienstälteste Mitarbeiter von Nahles ist Jan Busch, der die Planungsabteilung der Fraktion leitet. Er hatte schon im Büro der Abgeordneten Nahles gearbeitet, die 1998 erstmals in den Bundestag einzog. Später war er persönlicher Referent im Büro der Generalsekretärin. Auch im Arbeitsministerium half der Jurist seiner Chefin – als Leiter der Abteilung Planung und Strategie. In seiner neuen Funktion hat er die Parlamentsabläufe im Blick, bereitet auch inhaltlich die Gremiensitzungen vor.
Ihr Netzwerk baut Nahles systematisch auf. "Der Vergleich mit Helmut Kohl ist durchaus angemessen", sagt einer, der die SPD und damit Nahles seit Jahrzehnten gut kennt. Der CDU-Kanzler war bekannt dafür, dass er täglich Kontakte pflegte, Abhängigkeiten schuf und Loyalität belohnte. "Die Machtmaschine" hieß damals eine "Spiegel"-Titelgeschichte, die sein System beschrieb.
"Andrea hat schon immer vor allem mit Männern zusammengearbeitet"
Nun muss man angesichts des Zustands der SPD womöglich nicht über eine Kanzlerin Nahles nachdenken. Und in ihrem Umfeld wird betont, nicht die Zugehörigkeit zum linken Flügel sei das Kriterium für die Aufnahme in den engeren Kreis, sondern Eigenständigkeit, Verschwiegenheit und Verlässlichkeit. Tatsächlich gehört auch Harald Christ dazu, Unternehmer und Gründer des SPD- Wirtschaftsforums. Nahles-Mitarbeiter schwärmen von der "teamorientierten Führungskultur", in der Entscheidungen in vertrauter Runde debattiert würden.
"Andrea hat schon immer vor allem mit Männern zusammengearbeitet", sagt ein anderer SPD-Experte. Die Beobachtung scheint richtig. Eine der wenigen Ausnahmen ist Angela Marquardt. Die frühere PDS-Politikerin ist Geschäftsführerin der "Denkfabrik" in der SPD-Bundestagsfraktion, in der Abgeordnete von SPD, Linkspartei und Grünen Gemeinsamkeiten sondieren.
Marquardts Förderin hatte ihr ursprünglich eine andere Rolle zugedacht: Sie sollte Chefin der von Nahles mit aufgebauten Plattform "Demokratische Linke 21" (DL 21) werden. Doch die Abstimmung gewann deren Konkurrentin Hilde Mattheis. Als die DL 21 den von Nahles ausgearbeiteten Mindestlohn verdammte, verließen die damalige Arbeitsministerin und andere SPD-Linke die Organisation und gründeten mit der "Magdeburger Plattform" eine Konkurrenz, um diesen Flügel schlagkräftiger zu machen. Damit wurde die DL 21 marginalisiert.
Die Geschichte zeigt: Im Konfliktfall ist Nahles auch bereit, ein Netzwerk oder Teile davon zu opfern, wenn es ihr politische Vorteile bringt. Aber mit hoher Wahrscheinlichkeit wird sie danach ein neues Netzwerk aufbauen.
Der Text erschien ursprünglich in der Tagesspiegel-Beilage Agenda, die jeden Dienstag erscheint.