Neuer Staatssekretär aus Berlin: Björn Böhning und das Dilemma der SPD
Er ist da, wo er immer hinwollte: Björn Böhning, 39, macht Bundespolitik. Und steht vielleicht wie kein anderer für ein Dilemma der Sozialdemokratie: Erneuerung.
Was für Zeiten, die bundespolitische Bühne zu betreten! Björn Böhning, Gel im kurzen Haar, Dreitagebart, keine Krawatte, baut sich am Rednerpult vor den Delegierten auf. Der Münchner Tonsaal ist randvoll besetzt. Die Stimmung gereizt. Die SPD hat im vergangenen Jahr ein schlechtes Wahlergebnis nach dem anderen eingefahren. Der Zorn der Genossen richtet sich an diesem Tag vor allem gegen Olaf Scholz, der die Seele der Sozialdemokratie nicht verstehe und Sigmar Gabriel, der mit Postengeschacher die Partei zugrunde richte. Und gegen Hartz IV.
Böhning ruft den rund 300 Delegierten zu: „Die junge Generation in der SPD hat die Zeichen der Zeit erkannt!“ Böhnings Stimme überschlägt sich. Die Parteiführung, ruft er, habe keine Visionen, kein Konzept. Und unter dem Jubel seiner Zuhörer: „Die SPD leidet unter dieser Bundesregierung!“
Es ist der Tag, an dem Björn Böhning mit 26 zum Bundeschef der Jusos gewählt wird. Vierzehn Jahre ist das her.
Junge Leute wie er sollen Martin Schulz vergessen machen
Vergangene Woche ist Björn Böhning zum Staatssekretär im Bundesarbeitsministerium aufgestiegen. Mitten hinein ins Zentrum der neuen alten Debatte um Hartz IV, solidarisches Grundeinkommen und den sozialen Arbeitsmarkt. Vielleicht steht Björn Böhning wie kein anderer für ein Dilemma, mit dem die Sozialdemokratie gerade am meisten hadert: Erneuerung. Personell und inhaltlich.
Seinen Posten als Chef der Berliner Senatskanzlei gab Böhning für die neue Aufgabe gerne auf. Sein Ziel war immer – oft genug erfolglos – die große Politik. Doch jetzt braucht die Bundespartei ihn. Mit seinen 39 Jahren zählt er zur jungen Generation. So wie Franziska Giffey, ebenfalls 39, die von der Bezirksbürgermeisterin zur Familienministerin befördert wurde. Junge Leute wollte die Partei nach vorne stellen, Martin Schulz vergessen machen, der dem Niedergang der SPD einen Sommer lang sein Gesicht lieh. Auch die künftige SPD-Chefin, Andrea Nahles, 47, zählt angeblich noch dazu.
Erneuerung. Björn Böhning kann das Wort nicht mehr hören.
„Ich war immer irgendwie der Jüngste“, sagt er. Böhning sitzt in seinem neuen Büro im Bundesarbeitsministerium in Berlin-Mitte. Frisch rasiert und mit Krawatte. An den Wänden hängen noch Gemälde, die sein Vorgänger ausgesucht hat. Eines gefalle ihm sogar ganz gut. Bleibt erst mal so. Die Revolution kann warten. „Ich würde mir wünschen, dass auch mal anerkannt wird, wie sehr sich die SPD schon verändert hat“, sagt Böhning. „Die Zahl der jungen Leute ist einfach größer geworden. Die Strukturen sind offener.“ Und das sind in der Tat neue Töne von einem, der immer um seinen Platz in der Partei gerungen hat, erfahren musste, wie die Strukturen auch gegen einen arbeiten – besonders in Berlin. Und was heißt schon „jung“ für einen, der seit mehr als zwei Jahrzehnten Politik macht?
Böhning weiß noch sehr genau, wie das alles begann. Es war sein 16. Geburtstag. Da ging er abends zu einer Veranstaltung der Jusos in Lübeck, wo er aufgewachsen ist. Politisiert hatten ihn in den 90ern brennende Flüchtlingsheime, Rufe nach einer Beschränkung des Asylrechts, die Folgen des Mauerfalls, die Schere zwischen Ost und West. Wie oft muss sich ein Mann erneuern, um zu ertragen, wie wenig sich ändert?
Er bereite sich auf die Kanzlerschaft vor, spotteten sie
Nicht wenige haben Böhning als politisches Talent gefeiert. Wortgewandt, selbstbewusst, vernetzt. Und nicht wenige haben ihn dafür angegriffen.
Mit 19 war er bereits Vize-Chef der Jusos in Schleswig-Holstein. Als er 1999 aus Lübeck in die Hauptstadt zog, spotteten manche Genossen, Böhning bereite sich allmählich auf die Kanzlerschaft vor. 2004 wurde er Juso-Bundeschef. Seine engsten Kontakte stammen aus dieser Zeit. Mit seinen Juso-Vorgängern Andrea Nahles und Niels Annen ist er bis heute eng verbunden, auch der heutige Außenminister Heiko Maas gehörte früh zum Kreis der linken SPD-Aktivisten, die die Partei „erneuern und verjüngen“ wollten, wie Böhning 2008 noch forderte.
Mit der Berliner SPD aber ist er nie richtig warm geworden. Ein Jahr später, als er im Kampf um einen aussichtsreichen Listenplatz für den Bundestag gegen den Alt-Linken Klaus-Uwe Benneter verlor, fasste er es so zusammen: „Es gibt in der Berliner SPD noch immer die Haltung, dass man auch nach zehn Jahren Zugehörigkeit noch draußen bleibt, wenn man von außerhalb kommt“. Die Landespolitik schien ihm ohnehin zu klein.
Für den Bundestag kandidiert hat Böhning dann trotzdem. Setzte sich in seinem heimatlichen SPD-Kreisverband Friedrichshain-Kreuzberg gegen zwei innerparteiliche Konkurrenten durch und trat direkt an. Er sehe gute Möglichkeiten, diesen Wahlkreis zu holen, sagte er und wusste es insgeheim sicher besser, denn gegen den Ur-Vater der Berliner Grünen, Christian Ströbele, hatte er bei der Bundestagswahl im September 2009 nicht den Hauch einer Chance.
Trotzdem war diese kalkulierte Selbstüberschätzung der erste Versuch, sich aus der Landespolitik wieder abzusetzen. Der Regierende Bürgermeister und frisch zum Vize-Parteichef gewählte Klaus Wowereit hatte Böhning Anfang 2007 als Referent für „Politische Grundsatz- und Planungsangelegenheiten“ ins Rote Rathaus geholt. Die nächsten drei Jahre waren für beide Genossen eine gute Zeit, manche sahen Wowereit schon als künftigen Kanzlerkandidaten.
Müller brauchte jemanden, der Routine hat
Aber dann kam die Sache mit dem Flughafen BER, der sich nicht eröffnen ließ. Wowereit zog sich aus der Bundespolitik zurück und schwenkte nach der Abgeordnetenhauswahl 2011 auf die Christdemokraten als neuen Koalitionspartner um. In dieser Phase wurde Böhning zum Chef der Senatskanzlei befördert.
Mit Anfang 30. Und musste wieder seine neue Rolle finden. Nicht immer zur Zufriedenheit der Genossen. Im Roten Rathaus trieb er zwar die eigenen Lieblingsthemen voran: Medienpolitik und Filmwirtschaft, Kreativförderung und Digitalisierung. Positionierte sich als Impulsgeber, der in der Szene, aber auch im Nachbarland Brandenburg gut angesehen war.
Aber die Koordination der Senatsressorts und der Ausgleich der Interessen zwischen den Koalitionspartnern, hörte man aus Senatskreisen, war seine Sache nicht. Doch selbst als Wowereit zurücktrat und Michael Müller übernahm, durfte Böhning bleiben. Müller brauchte jemanden, der Erfahrung und Routine hat. Dass Böhning zu Müllers ärgstem innerparteilichen Konkurrenten Raed Saleh gute Kontakte unterhielt, tolerierte er.
„Als Durchboxen habe ich das nie wahrgenommen“, sagt er in seinem Büro. „Ich bin immer schnell mit Leuten in einen Dialog gekommen.“ Sein Instinkt zum Netzwerken hat ihn stets weitergebracht. Aber auch in Bedrängnis. 2015 vergab Böhning auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise ohne Ausschreibung einen 238000 Euro schweren Auftrag an die Beraterfirma McKinsey, die für den Senat einen Masterplan Integration und Sicherheit ausarbeiten sollte. Dass das legitim war, bestätigte ein Gutachten des ehemaligen Parteifreundes Lutz Diwell – der allerdings zwischenzeitlich als Berater bei McKinsey angefangen hatte. Seit 2016 ermittelt deshalb die Staatsanwaltschaft gegen Böhning wegen des Verdachts auf Korruption.
Von einem unbeschwerten Neustart mit frischen Gesichtern kann im Arbeitsministerium insofern wohl keine Rede sein. Böhning sagt: „Das belastet mich nicht.“ Schweigt dann lange und wird fast ein wenig wütend: „Wir waren Tag und Nacht in Bereitschaft, haben versucht, Menschen unterzubringen und gut zu versorgen. Und ich glaube nicht, dass ich oder irgendwer von den vielen Menschen in der Verwaltung sich dafür schämen muss, sich damals bis zur Belastungsgrenze engagiert zu haben!“
Austeilen kann er noch wie damals. Doch jetzt klingt es diplomatischer
Das ist diese Böhning-Attitüde, für die sie ihn verachten und schätzen in der SPD.
Böhning jedenfalls ist mit sich im Reinen. Wer sein Nachfolger wird, wisse er nicht. Kommende Woche will Michael Müller ihn bekannt geben. Böhning weiß nur, dass im neuen Job nun wieder einmal alles anders wird. Er sagt es so: „In der Senatskanzlei war es für mich fast familiär. Im Bundesarbeitsministerium wird sehr an der Sache orientiert und professionell gearbeitet.“
Er teilt noch aus, aber jetzt diplomatischer als damals bei den Jusos. Eine Eigenschaft, die er brauchen wird. Gleich an mehreren Fronten. Seit sein alter Chef Michael Müller die Debatte über ein „solidarisches Grundeinkommen“ in Gang gebracht hat, wird in Deutschland wieder über ein Ende von Hartz IV gestritten. Björn Böhning sagt dazu nur, es sei „sinnvoll und richtig, sich über die Zukunft sozialer Sicherungssysteme Gedanken zu machen.“ Das scheint gerade die vorsichtige Sprachregelung im Ministerium zu sein.
Der kommissarische SPD-Chef und Finanzminister Olaf Scholz hatte am Wochenende klargestellt, die SPD wolle am Grundprinzip von Hartz IV sehr wohl festhalten. Während Böhnings neuer Chef, Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, dafür plädierte, die Grundsicherung neu auszurichten, was ein „wichtiger Schritt auf dem Weg hin zu einem solidarischen Grundeinkommen“ sein könne. Klar ist da also nichts.
Den eigentlichen Kampf aber wird es nicht innerhalb der Partei auszufechten geben. Böhning ist als Staatssekretär zuständig für Digitale Arbeit. Und da wird er es vor allem mit Verkehrsminister Andreas Scheuer von der CSU zu tun bekommen, der für digitale Infrastruktur zuständig ist und mit Dorothee Bär, ebenfalls CSU, die als Staatsministerin für Digitales direkt im Kanzleramt arbeitet.
Er sagt Facebook und Amazon den Kampf an
Was Böhning von denen hält? „Die Digitalkompetenz misst sich nicht daran, wer den schönsten Instagram-Account hat“, sagt er.
Während Bär über Flugtaxis spekuliert und Scheuer eine App erfinden will, die Funklöcher meldet, formuliert Böhning eine Kampfansage an Amazon und Facebook: „Auch US-amerikanische Konzerne müssen die europäische Arbeitskultur akzeptieren.“ Er sei, wie gesagt, immer für Dialog zu haben. Aber wenn Gespräche nichts nutzen, „werden wir gesetzliche Regelungen finden, die Plattformen an ihre Verantwortung erinnern.“
Für ihn, der lange netzpolitischer Sprecher der SPD war, schon 2011 ein Buch „Freiheit oder Anarchie – wie das Internet unser Leben verändert“ schrieb, könnte es vielleicht endlich das bestimmende Projekt seiner politischen Karriere werden.
Dafür musste er sich ein letztes Mal neu erfinden: Nach der Wahlnacht im September 2017 stand er im Willy-Brandt-Haus. „Wir hatten mit keinem guten Ergebnis gerechnet, aber was dann kam, hat mich geschockt“, erinnert er sich. „Deswegen war ich damals auch dagegen, in die große Koalition zu gehen.“
Die Situation, sagt er, bevor er sich wieder an seinen Schreibtisch im Ministerium setzt, sei heute aber eine ganz andere. Und das klingt so, als sei er angekommen in der alten SPD.