Ende der Berlin-Blockade vor 70 Jahren: Wie Amerika die deutsche Hauptstadt geprägt hat
In Berlin, Ost wie West, gibt es eine besondere Gefühlsbeziehung zu den USA. Hier lebt der oft romantisch verklärte amerikanische Traum weiter. Ein Kommentar.
Es war die erste Schlacht des Kalten Krieges, der Ausgang lange Zeit ungewiss. Zu waghalsig schien der Plan, 2,2 Millionen Menschen in den westlichen Sektoren Berlins aus der Luft versorgen zu können. Die Sowjets hatten wegen der Währungsreform sämtliche Land- und Wasserwege blockiert. Viele glaubten, dass Berlin kapitulieren müsse. Eine Insel der Freiheit, inmitten der von der Roten Armee besetzten Zone – wie sollte die auf Dauer zu halten sein?
Doch sie war zu halten. Amerikanische und britische Flugzeuge brachten rund 2,1 Millionen Tonnen Fracht in die Stadt. Die Maschinen landeten im Abstand von wenigen Minuten. Legendär ist die Antwort von Berlins Bürgermeister Ernst Reuter, nachdem er vom Militärgouverneur der US-amerikanischen Besatzungszone, General Lucius D. Clay, gefragt worden war, ob die Berliner die eingeschränkte Versorgung aus der Luft ertragen würden.
Clay möge sich um die Luftbrücke kümmern, er selbst werde sich um die Berliner kümmern, entgegnete Reuter. Berlin werde zugunsten der Freiheit alle Opfer bringen. Heute vor siebzig Jahren, kurz vor Mitternacht vom 11. auf den 12. Mai, hoben die Sowjets die totale Blockade auf. Die Westalliierten hatten gesiegt. Ohne Schuss, ohne Krieg.
Längst ist aus der Luftbrücke ein Mythos geworden. Zu dessen Topoi gehören der Zusammenhalt des Westens, der Durchhaltewille der Berliner, die Bedrohung durch den Kommunismus. Innerhalb eines knappen Jahres hatten sich Besatzungs- in Schutzmächte verwandelt. Gemeinsam war eine schwere Krise bewältigt worden. Das beschleunigte die Integration West-Deutschlands in die westliche Wertegemeinschaft. Die Dynamik kulminierte in der Rede, die US-Präsident John F. Kennedy am 15. Jahrestag des Beginns der Luftbrücke vor dem Schöneberger Rathaus hielt. „Ich bin ein Berliner“ – das hallt im kollektiven Gedächtnis der Bewohner dieser Stadt bis heute nach. Und nicht nur hier. Wenn ein Amerikaner sagen soll, wo sein Land am leidenschaftlichsten die Freiheit verteidigt hat, wird er „Berlin“ sagen.
Martin Luther King wurde in West wie Ost verehrt
Zum Erbe von Luftbrücke, Kennedy, Kaltem Krieg und Ronald Reagans Aufforderung an Michail Gorbatschow „Reißen Sie diese Mauer nieder!“ gehört die besondere Gefühls-Beziehung der Berliner zu den USA. Das gilt für alle. Jeans und Parka wurden in West wie Ost getragen, Martin Luther King wurde in West wie Ost verehrt. Die Predigt des Bürgerrechtlers 1964 in der Marienkirche am Alexanderplatz hatte eine Tiefenwirkung, die bis zu den Friedensgebeten in den 80er Jahren reicht. Das Konzert von Bruce Springsteen im Juli 1988 an der Radrennbahn in Weißensee war das größte, das je in der DDR über die Bühne gegangen war. James Dean, Bob Dylan, Jack Kerouac waren hüben wie drüben Kult.
In Berlin lebt der manchmal romantisch verklärte amerikanische Traum weiter. Barack Obamas „Yes, we can“, die Verheißung, dass alle Menschen frei geboren sind und unveräußerliche Rechte besitzen. Das ist auch ein Grund, warum Berliner vielleicht schroffer als andere auf Donald Trump reagieren. Ein Teil ihrer Ablehnung mag reflexhafter Antiamerikanismus sein, den es leider gibt. Der größte Teil aber speist sich aus Enttäuschung. Die Wut auf Trump kündet von der Sehnsucht nach der Seele eines Landes, das einst die Luftbrücke ermöglichte. Nach einem Amerika, das Gänsehautmomente der Bewunderung erzeugt.