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Auf der roten Couch. Andrej Hermlin, Bandleader des Swing Dance Orchestra, und Gregor Gysi im Gespräch.
© Camay Sungu/ND

Linke und Antisemitismus: "Widerlich und ekelerregend"

Antisemitische Ressentiments werden auch aus der Linksfraktion des Bundestages heraus befördert. Mehrere Abgeordnete fordern nun dringend Konsequenzen - Parlamentsgeschäftsführerin Enkelmann schließt sogar arbeitsrechtliche Schritte gegen Mitarbeiter nicht aus.

Gregor Gysi platzierte den Swing-Musiker Andrej Hermlin auf der roten Couch. Es sollte eine lockere Plauderei werden auf dem gemeinsam mit der Linkspartei ausgerichteten Pressefest des "Neuen Deutschlands" am Sonntag in der Berliner Kulturbrauerei in Prenzlauer Berg. Doch Gysis Parteifreund Hermlin, Sohn des DDR-Schriftstellers Stephan Hermlin, störte die Feststimmung - und prangerte die Partei, der er nach der Wende beigetreten war, heftig an wegen antisemitischer Ausfälle. "Widerlich und ekelerregend" sei es, was er in den vergangenen Wochen erlebt habe, sagte Hermlin, dabei wolle sich die Linke doch eigentlich radikal von den anderen unterscheiden. Etwas verdattert gestand Gysi ein, es gebe "ein paar Punkte", mit denen sich die Fraktion auseinandersetzen werde.

Mal waren Boykott-Aktionen gegen Israel gutgeheißen worden, dann hatten sich Genossen für die Ein-Staaten-Lösung im Nahen Osten und damit die faktische Auflösung des Staates Israel eingesetzt. Eine Bundestagsabgeordnete trat kürzlich auf einer Palästina-Konferenz in Wuppertal vor zahlreichen Hamas-Sympathisanten auf, um den Hals einen Schal mit der Landkarte der Region ohne Israel. Gysi ist der Auffassung, dass Boykottaktionen gegen Israel nicht zu akzeptieren sind, auch die Ein-Staaten-Lösung im Nahen Osten, bei der die Juden zur Minderheit im eigenen Land würden, lehnt er strikt ab. Mehrere Linken-Bundestagsabgeordnete fordern jetzt klare Regeln für die Fraktion. Sie meinen, dass sich sowohl mehrere Abgeordnete als auch deren Mitarbeiter als unbelehrbar erwiesen haben. Parlamentsgeschäftsführerin Dagmar Enkelmann sagte am Dienstag dem Tagesspiegel, den Appell von Hermlin gegen die Verbreitung von Vorurteilen betrachte sie "als Auftrag". Gerade die Linke stehe in Verantwortung, keine Relativierung des Holocaust zuzulassen, das Existenzrecht Israels ohne Wenn und Aber zu verteidigen und zugleich die Schaffung eines palästinensischen Staats einzufordern, ohne den es keinen Frieden im Nahen Osten geben könne. "Ich habe die Nase voll, dass einige das immer wieder in Frage stellen wollen." Explizit will sie auch die Aktivitäten von Fraktionsmitarbeitern unter die Lupe nehmen. "Wenn die Grundwerte der Partei und der Fraktion negiert werden, muss das Konsequenzen haben - bis zur Trennung."

Pau: "Das kann man nicht einfach wegbeschließen"

Auch die linke Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau sieht dringend Gesprächsbedarf. Antisemitische Ressentiments "machen um keine Partei einen Bogen, auch nicht um die Linke", sagte sie dem Tagesspiegel. "Das kann nicht einfach wegbeschließen, damit muss man sich auseinander setzen, auch im Vorstand", sagte sie in Anspielung auf die eigentlichen klaren Distanzierungen von Partei und Fraktion. Bei einigen Mitgliedern der Partei hat Pau inzwischen den Eindruck, sie würden "mit Vorsatz" provozieren. "Andere bedenken zu wenig, dass Nebenwirkungen auch zu Hauptwirkungen werden können." Das Bekenntnis, kein Antisemit zu sein, genüge ihr nicht. "Man muss zugleich auch bedenken, wie man auf andere wirkt. Und das kann durchaus antisemitisch sein."

Jan Korte, Mitglied des Fraktionsvorstandes, fordert eine "unmissverständliche Diskussion", damit klar gemacht werde, was geht und was nicht geht. Notwendig sei eine "verstärkte, deutliche politische Auseinandersetzung" der Fraktion mit dem Thema. Geguckt werden müsse, "mit wem man auf dem Podium sitzt und an welchen Demonstrationen jemand teilnimmt. In diesem Fall kann es keine Grauzonen geben." Korte sagte dem Tagesspiegel: "Israel wurde durch Auschwitz zu einer Notwendigkeit. Dies muss immer mitgedacht werden. Das bedeutet noch lange nicht, die israelische Politik nicht zu kritisieren."

Als problematisch gelten in der Fraktion besonders mehrere westdeutsche Abgeordnete. Inge Höger, die in Wuppertal auf der Palästina-Konferenz aufgetreten war, saß im Mai vergangenen Jahres auch bei der Gaza-Flottille mit im Boot, neben ihrer Fraktionskollegin Annette Groth und dem früheren Bundestagsabgeordneten Norman Paech. Die linke Bundestagsvizepräsidentin Pau kritisierte damals, die Schiffsaktion "Free Gaza" sei damals von mindestens einer türkischen Organisation inszeniert worden, die in einem pro-faschistischen Ruch stehe. "Damit dürfen sich Linke nicht gemein machen."

Lafontaine spricht auf Trotzkisten-Kongress

Dennoch wird gerade für Juni eine neue Gaza-Flottille geplant - ausdrücklich befürwortet auch von dem trotzkistischen Netzwerk "Marx 21", das sich in der Linkspartei verankert hat, die Nachfolgeorganisation der Sekte "Linksruck". Ihm gehören unter anderem die Bundestagsabgeordneten Christine Buchholz und Nicole Gohlke an. "Marx 21" ist es gelungen, den früheren Linken-Chef Oskar Lafontaine für ihren Kongress "Marx is Muss" an diesem Donnerstag in Berlin-Kreuzberg als Hauptredner zu verpflichten. Er soll dort zur linken Programmdebatte sprechen. Ein eigenes Podium hat daneben auch der Duisburger Linken-Kommunalpolitiker Hermann Dierkes, der mehrfach für Boykottaktionen gegen Israel geworben hat.

Nicht für alle Genossen kommt überraschend, dass sich Lafontaine zum Auftritt auf dem Trotzkisten-Kongress bereit erklärt hat. Ohnehin hat er wenig Probleme mit dem linken Parteiflügel. Der Politologe Peter Ullrich, der sich 2008 in einer Studie für die parteinahe Rosa-Luxemburg-Stiftung mit antisemitischen Strömungen in der Linkspartei befasste, schrieb damals, Lafontaine wolle sich "in die gleiche Richtung profilieren" wie Buchholz und andere Trotzkisten. Als Beleg angeführt wurde von Ullrich unter anderem eine damals von Lafontaine geplante Reise in den Iran, Lafontaine habe "damit erneut eine populistische Haltung mit Anschlüssen nach ganz rechts" offenbart. "Marx 21" war bei dem Fest der Linken in der Berliner Kulturbrauerei mit einem Stand vertreten, in dort ausliegenden Broschüren wurde gegen den "terroristischen Staat" Israel gehetzt.

Weiterer neuer Fall: In Hamburg verteilen mehrere palästinensische Gruppen Flugblätter für eine Veranstaltung, auf der für die Ein-Staaten-Lösung im Nahen Osten als "einzige Lösung des arabisch-zionistischen Konflikts" geworben wird. "Unterstützt von: Die Linke", heißt es in den Flugblättern. Der Hamburger Landesvorsitzende Herbert Schulz sagte dazu auf Tagesspiegel-Anfrage, für eine frühere Veranstaltung sei ein Reisekostenzuschuss von 400 Euro aus dem Soli-Fonds der Hamburger Linken gewährt worden. Die Forderung nach der Ein-Staaten-Lösung sei hoch problematisch und werde nicht geteilt. "Das ist unglücklich gelaufen. Vielleicht war ich ein bisschen blauäugig." Andrej Hermlin hat inzwischen nachgelegt. Der "Jüdischen Allgemeinen" sagte er, es sei "die feige Spielart des linken Antisemitismus", antisemitische Positionen als legitime Kritik an Israel zu verkaufen. Und: Die Führung der Linken habe auf das Problem " bisher keineswegs überzeugend" reagiert.

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