Genossen ohne Grenzen: Studie sieht Zunahme von Antisemitismus bei den Linken
Die Linkspartei versichert, Antisemitismus habe bei ihr keinen Platz. Nur können das Gysi & Co. nicht durchsetzen. Tatsächlich hat es zuletzt mehrere Skandale gegeben.
Berlin - Es bedurfte einer wissenschaftlichen Expertise, um den Fokus wieder auf das Thema zu lenken – Antisemitismus in der Linkspartei. „Antisemiten als Koalitionspartner?“ hat der Gießener Sozialwissenschaftler Samuel Salzborn eine Studie überschrieben, die er gemeinsam mit Sebastian Voigt von der Universität Leipzig verfasst hat. Salzborn geht Partei- und Fraktionsführung der Linken hart an. Sie würden, sagt er dem Tagesspiegel, das Problem herunterspielen und sich auf „butterweiche Erklärungen“ beschränken. Dabei gehe es „nicht nur um Einzelfälle in einzelnen Kreisverbänden, sondern um eine große flächendeckende Entwicklung“. Die Spitze habe offenkundig „mindestens kein Problem mit Leuten, die solche Positionen salonfähig machen wollen“.
Tatsächlich hat es zuletzt mehrere Skandale gegeben – intern gab es deshalb teils heftige Auseinandersetzungen, auf einen öffentlichen Schlagabtausch aber verzichteten die Genossen. Ende April wurde bekannt, dass auf der Homepage des Duisburger Kreisverbandes der Linken über Monate ein Flugblatt abrufbar war, auf dem ein Hakenkreuz und der Davidstern zusammenwuchsen und Israel als „wahrer Schurkenstaat“ angeprangert wurde. „Kauft keine Produkte aus Israel“, stand im Forderungskatalog des Pamphlets. Die Verantwortung wurde nicht geklärt. Der Kreisverband distanzierte sich, der Parteivorstand in Berlin verlangte, Zugangsrechte für Parteiseiten sollten „eindeutiger geregelt werden“. Parteichefin Gesine Lötzsch erklärte, Aufrufe zum Boykott israelischer Waren würden „klar verurteilt“, Rechtsextremismus und Antisemitismus hätten „in unserer Partei keinen Platz“. Einen Widerspruch konnte Lötzsch nicht auflösen: Seit Jahren setzt sich der Vorsitzende der Duisburger Linken-Ratsfraktion, Hermann Dierkes, für einen Boykott israelischer Produkte ein.
Am ersten Mai-Wochenende erregte die NRW-Bundestagsabgeordnete Inge Höger ihre Genossen – bei einer Palästina-Konferenz in Wuppertal trat sie vor zahlreichen Sympathisanten der Hamas als Rednerin auf. Sie trug dabei ein Tuch mit einer Karte des Nahen Ostens – ohne Israel. Der Berliner Linken-Bundestagsabgeordnete Stefan Liebich verlangte deshalb vergangene Woche eine Diskussion in der Fraktion, doch diese kam zumindest auf Anhieb nicht zustande.
Auch bis nach Bremen hat sich die Sprachregelung der Parteispitze offenkundig nicht herumgesprochen. Wohlwollend begleitet von der Linken, hatte das Bremer Friedensforum im März vor einem Supermarkt zum Boykott von Früchten aus Israel und den besetzten Gebieten aufgerufen, um gegen die israelische Siedlungspolitik zu protestieren. Vor gut einer Woche verweigerte sich die Linke einer gemeinsamen Initiative aller Parteien gegen diese Aktion. Der Aufruf erinnere zwar an die Nazi-Kampagne „Kauft nicht bei Juden“, sagten deren Landesvorsitzende Cornelia Barth und Christoph Spehr. Doch seien Boykottaktionen gegen Israel nicht antisemitisch. Die Kritik an dem Aufruf der linken Bremer Aktivisten nannten sie „böswillig“ und „völlig überzogen“.
Spitzenpolitiker der Linken wie Ex-Parteichef Oskar Lafontaine und Fraktionsvize Ulrich Maurer werten die Zirkel, in denen antisemitische Stimmungen gedeihen, sogar auf. Das betrifft etwa das Netzwerk Marx 21, das sich als Nachfolgeorganisation der trotzkistischen Sekte Linksruck in der Linkspartei verankert hat. Auf seiner Bundesunterstützerversammlung würdigte Marx 21 in hohen Tönen die „Free-Gaza“- Schiffsaktion im Mai 2010. Im Boot saß damals auch die Linken-Bundestagsabgeordnete Höger. Das Schiff mit Hilfsgütern wurde von der israelischen Armee geentert, neun Aktivisten kamen ums Leben. Marx 21 meint, die internationale Solidaritätsbewegung habe nach der Hilfsflottille „merklich an Dynamik gewonnen“, künftige solche Aktionen sollten „praktisch und ideologisch“ begleitet werden. Die linke Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau indes ist der Ansicht, die „Free- Gaza“-Aktion habe letztlich die Hamas gestärkt, „sattsam bekannte Verdammnis aller Jüdinnen und Juden“ zur Folge gehabt. Beim von Marx 21 für Anfang Juni in Berlin geplanten Kongress „Marx is Muss“ sitzt der Duisburger Ratsherr Dierkes auf einem Podium. Sein Thema: „Ist Kritik an Israel antisemitisch?“. Als „Highlights“ des Kongresses werden Lafontaine und Maurer angekündigt.
Der Berliner Landeschef Klaus Lederer, mit Vize-Parteichefin Halina Wawzyniak gerade auf Delegationsreise in Israel, nennt das Vorgehen seiner Parteifreunde in Bremen „verräterisch“, das von Höger „empörend“. Sie benutze Israel als „Projektionsfläche für einen antiimperialistischen Befreiungskampf, in dem man sich mit jedem verbünden darf“. Fraktionschef Gregor Gysi setzt dagegen weiter vor allem auf stille Diplomatie: „Selbstverständlich versuche ich bei jeder Gelegenheit, Antisemitismus oder Dinge, die so wirken könnten, zu verhindern beziehungsweise zu überwinden“, erklärt er auf Tagesspiegel-Anfrage. „Nur weil dies öffentlich nicht wahrgenommen wird, heißt das noch lange nicht, dass ich schweige.“
- bbbbbb
- Brandenburg neu entdecken
- Charlottenburg-Wilmersdorf
- Content Management Systeme
- Das wird ein ganz heißes Eisen
- Deutscher Filmpreis
- Die schönsten Radtouren in Berlin und Brandenburg
- Diversity
- Friedrichshain-Kreuzberg
- Lichtenberg
- Nachhaltigkeit
- Neukölln
- Pankow
- Reinickendorf
- Schweden
- Spandau
- Steglitz-Zehlendorf
- Tempelhof-Schöneberg
- VERERBEN & STIFTEN 2022
- Zukunft der Mobilität