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Zurück in Buchenwald. Elie Wiesel besucht 2009 mit US-Präsident Barack Obama das Konzentrationslager.
© Mandel Ngan/AFP

Zum Tod von Elie Wiesel: "Werdet eurer Verantwortung gerecht"

Der Publizist und Holocaust-Überlebende Elie Wiesel widmete sein Leben dem Kampf für den Frieden. Jetzt ist er im Alter von 87 Jahren gestorben. Ein Nachruf.

Von Antje Sirleschtov

Es ist Anfang Juni 2009, und am Tor des ehemaligen Konzentrationslagers von Buchenwald steht ein kleiner grauhaariger Mann. Kein Geringerer als Barack Obama, der mächtigste Politiker der Welt, hatte diesen kleinen alten Mann mit nach Deutschland gebracht. Ganz Weimar ist an jenem Junitag auf den Beinen. Wann kommt schon mal der Präsident der Vereinigten Staaten nach Thüringen?

Jetzt steht er dort auf dem Ettersberg, der berühmte Mann, neben ihm die Bundeskanzlerin. Es werden staatstragende Reden gehalten, weiße Rosen auf Gedenktafeln gelegt. Und doch wird es der kleine graue Mann vor dem Stahlgitter sein, an den sich später alle erinnern, die dabei gewesen sind.

Dieser Elie Wiesel betrat den Ettersberg zum ersten Mal 1944, als dort die Hölle tobte. Er war noch keine 16 Jahre alt und kam mit seinem Vater aus Auschwitz, wo er zuvor schon Mutter und Schwester verloren hatte. Jetzt lag auch der Vater, vollkommen entkräftet, im Sterben – nur ein paar Meter von Elie entfernt auf einer Holzpritsche – und rief seinen Namen, immer wieder.

Aber „ich“, so wird sich der alte Mann 2009 an das Rufen und Sterben seines Vaters erinnern, „ich hatte solche Angst, dass ich ihm nicht antwortete“. Er war da und war eben doch nicht da, in diesen letzten Lebensmomenten seines Vaters. Und er wird darin eine Schuld sehen, wie so viele sich schuldig fühlten, die das Grauen überlebten und die diese Schuld ihr ganzes Leben lang nicht mehr losgelassen hat.

Befreit von den Amerikanern

Elie Wiesel hat Auschwitz und Buchenwald, er hat den Holocaust überlebt. Ein Foto zeigt ihn 1945 – ausgemergelt – als die Amerikaner die Baracken von Buchenwald 1945 aufbrachen. Für den Juden Wiesel, dessen Familie aus Südosteuropa stammt, wurde die Befreiung, das Überleben, zur Aufgabe. Er war beinahe der Einzige seiner Familie, den die Nazis nicht umgebracht haben. Viele, die sein Schicksal teilten, konnten diese Last nicht tragen, zerbrachen an der Erinnerung.

Elie Wiesel musste die Welt an das erinnern, was geschehen war, Fragen stellen, mahnen, sein ganzes Leben lang nicht mehr rasten, solange er Kriege und Völkermorde auf der Welt sah. „Tut etwas, werdet eurer Verantwortung gerecht“, rief er dem Präsidenten und der Bundeskanzlerin noch 2009 entgegen. Damit nie wieder irgendwo ein kleiner Junge so große Angst haben muss, dass er es selbst im Angesicht des Todes seines eigenen Vaters nicht wagt, diesem die Hand zu reichen.

Elie Wiesel ist nach dem Ende des Krieges in ein französisches Waisenhaus gebracht worden und in den fünfziger Jahren nach Paris gegangen. Er hat dort studiert und viele Jahre als Journalist gearbeitet. Und er begann seine Geschichte, seine Erlebnisse, in Büchern zu verewigen. „Die Nacht“, in der er den Jungen Elischa durch den Zweiten Weltkrieg und die Konzentrationslager autobiografisch begleitete, wurde zu seinem bekanntesten Werk. Andere folgten, Wiesel setzte sich mit der gesellschaftlichen Entwicklung Israels auseinander.

Seit Anfang der siebziger Jahre, Wiesel siedelte nach Amerika über und nahm die US-Staatsbürgerschaft an, lehrte er an der City University in New York Philosophie, Judaistik und Literatur. Später wurde Wiesel in verschiedene Kommissionen berufen, die sich mit der Erinnerung und Aufarbeitung des Holocaust befassten. Weil er sich zeitweilig weigerte, auch nichtjüdische Holocaust-Opfer in die Geschichtsaufarbeitung einzubeziehen, wurde Wiesel mehrfach kritisiert.

Der Versöhner

In zahlreichen Reden und Schriften trat Wiesel jedoch als Versöhner auf. „Ich habe nie an eine Kollektivschuld geglaubt“, sagte er 2012 bei einem Kongress in Auschwitz. „Die Kinder der Mörder sind keine Mörder, sondern Kinder.“ 1986 erhielt Wiesel den Friedensnobelpreis, er wurde in den vergangenen Jahrzehnten zu einem der weltweit bekanntesten Überlebenden des Holocaust und nutzte diese Bekanntheit immer wieder, um an die Einhaltung von Menschenrechten und das Eintreten für Frieden zu mahnen.

Im Jahr 2000 sprach er vor dem Deutschen Bundestag. „Wir sind genug über Friedhöfe gegangen“, sagte Wiesel 2009 vor dem Tor von Buchenwald. Und er mahnte, die Welt habe nichts gelernt aus den Schrecken: „Wie kann es sonst ein Darfur, ein Ruanda und ein Bosnien geben?“

Am Samstag ist Elie Wiesel in New York im Alter von 87 Jahren gestorben.

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