Flüchtlingsgipfel mit der Kanzlerin: Wer zahlt für die Asylbewerber?
Heute treffen sich Bund, Länder und Kommunen im Kanzleramt zum Flüchtlingsgipfel. Es geht um Geld, Personal, schnellere Verfahren. Ein Überblick über die möglichen Ergebnisse.
Ulrich Maly, der Präsident des Deutschen Städtetages, sagte es bei der Hauptversammlung seines Verbandes am Mittwoch in Dresden ganz unverblümt: Es fehle bei Bund und Ländern an Respekt gegenüber den Kommunen. Gemeint war vor allem das Verhalten von Bundeskanzleramt, Bundesministerien und Ministerpräsidenten in der umstrittenen Flüchtlingspolitik. Hier redeten die Verantwortlichen in Berlin und in den Ländern bei einem Thema unter sich, „dessen operative Zuständigkeit überwiegend bei den Kommunen liegt“, klagte der Nürnberger Oberbürgermeister und SPD-Politiker. Doch der kommunale Unmut – im Landkreistag und im Städte- und Gemeindebund teilt man Malys Kritik – bekommt an diesem Donnerstag ein Ventil. In Berlin gibt es wieder einen Flüchtlingsgipfel – mit den Kommunalvertretern.
Warum ist der Sondergipfel nötig?
Neben der Geste an die Kommunen sind es natürlich die massiv gestiegenen Flüchtlingszahlen und die damit steigenden Kosten, die alle Beteiligten umtreiben. Länder und Kommunen verlangen mehr Hilfe vom Bund als die bereits im vorigen Winter zugesagten 500 Millionen Euro für 2015 und die ebenfalls 500 Millionen für 2016, welche die Länder jedoch langfristig zurückzahlen sollen. Die Summe reicht Ländern und Kommunen, die den Großteil aufzubringen haben, nicht. Denn die Kosten für Unterbringung, Essen, Gesundheitsversorgung explodieren. Um ein Beispiel zu nennen: Brandenburg bekommt aus der Bundeshilfe in diesem Jahr 15 Millionen Euro, die Kosten für Flüchtlinge aber betragen 200 Millionen Euro, eine Verfünffachung in den letzten Jahren.
Wie massiv ist der Flüchtlingszustrom?
Lange war umstritten, wie viele Menschen in diesem Jahr wohl in Deutschland Asyl beantragen werden. Nun haben sich alle Seiten auf eine Prognose von 450 000 Fällen geeinigt. Eine Voraussage ist auch jetzt noch schwierig, weil niemand weiß, wie sich die Lage in Syrien verändert, wie viele Afrikaner übers Mittelmeer kommen, ob weiterhin, obwohl praktisch ohne Aussicht auf den Asylantenstatus, viele Menschen vom Westbalkan zureisen werden. Klar ist aber der Trend: Die Kurve weist schon seit 2009 nach oben, seit 2011 verläuft sie steil.
In diesem Jahr kamen Monat für Monat etwa 25 000 Flüchtlinge – bis Mai zählte das Bundesamt für Migration gut 126 000 Asylanträge, weit mehr als doppelt so viele wie 2014. Mit knapp 203 000 Flüchtlingen im vorigen Jahr lag die Zahl noch weit entfernt vom Hoch des Jahres 1992, als 438 000 Menschen Asyl in Deutschland beantragten – was zur Einschränkung des Asylartikels im Grundgesetz führte. 2015 könnte nun einen neuen Rekord sehen.
Wer nimmt am Flüchtlingsgipfel teil?
In sehr großer Runde treffen sich die Verantwortlichen ab 20 Uhr im neuen Bundesinnenministerium. Neben der Regierungschefin wird das halbe Kabinett aufmarschieren. Die betroffenen Bundesbehörden sind ebenfalls eingeladen, etwa der Chef der Bundesagentur für Arbeit. Nicht zu übersehen sein wird die Phalanx der 16 Ministerpräsidenten. Und dann sitzen eben die Präsidenten der drei kommunalen Spitzenverbände am Tisch, zumindest eingangs werden sie auch das Wort bekommen.
Welche Ergebnisse sind zu erwarten?
Offiziell wenig bis keine. Jedenfalls nicht sofort. Einigungen sollen erst am 18. Juni verkündet werden, wenn sich die Kanzlerin und die Ministerpräsidenten zu ihrem üblichen halbjährlichen Treffen in Berlin versammeln. In vier Arbeitsgruppen haben Bund und Länder jedoch seit vier Wochen versucht, Lösungen zu finden. In einer elfseitigen Zusammenfassung hat der Bund die wesentlichen Vorhaben zusammengefasst, bei denen wohl Konsens besteht. Einig ist man sich, dass Anträge von aussichtslosen Bewerbern (also etwa aus Albanien oder dem Kosovo) flotter bearbeitet werden sollen – schnellere Rückführung inklusive. Die Verwaltungsgerichte, das wollen die Länder versprechen, arbeiten künftig die Klagen zügiger ab. Eine Kernforderung der Kommunen wird wohl erfüllt: Die Flüchtlinge werden erst dann aus den Erstaufnahmestellen ins Land hinein verteilt, wenn ihr Status entschieden ist. Das bedeutet, dass Flüchtlinge vom Balkan meist gar nicht mehr an Kommunen zugewiesen werden.
Die Organisation Pro Asyl kritisiert das als „Rückkehr zur Abschreckungspolitik“. Die Bundesregierung will zudem eine Ausweitung der Drittstaatenregelung auf Albanien und das Kosovo mittragen, wenn der Bundesrat sich mehrheitlich darauf einigt (in den Ländern sperren sich aber die Grünen dagegen). Unklar ist, in welchem Umfang Flüchtlinge eine Sprachförderung bekommen. Der Bund ist bereit, die Integrationskurse für Zuwanderer auch für Asylsuchende zu öffnen. Offenbar will der Bund 300 Stunden pro Bewerber anbieten, die Länder halten 600 Stunden für nötig. Ein Bundesprogramm zur Sprachförderung von Kindern soll für Flüchtlingsfamilien erweitert werden. In jedem Fall soll der Rechtsstatus von jungen Asylsuchenden verbessert werden; sie sollen auch leichteren Zugang zu Berufspraktika bekommen. Die Voraufenthaltsdauer für Geduldete bei der Berufsausbildungsbeihilfe soll von vier Jahren auf 15 Monate gekürzt werden. Einig sind sich Bund und Länder, dass schneller bezahlbarer Wohnraum für Flüchtlinge geschaffen werden muss - konkret wird das Papier jedoch nicht. Ob alle Flüchtlinge künftig eine Gesundheitskarte bekommen, ist unsicher – der Bund sieht darin einen zusätzlichen Grund, überhaupt Asyl zu beantragen. Die Gesundheitskarte für Flüchtlinge soll nun nur nach freiwilliger Vereinbarung zwischen Kommunen und Krankenkassen eingeführt werden, so wie es in Hamburg und Bremen bereits praktiziert wird. Alternativ könnten Asylsuchende einen Berechtigungsschein für eine ärztliche Behandlung erhalten, abgerechnet würde in diesen Fällen über die Kassenärztlichen Vereinigungen.
Mehr tun für Minderjährige
Um die nicht wenigen Fälle der Minderjährigen, die allein, ohne Familie, in Deutschland ankommen, wollen sich Bund und Länder künftig intensiver kümmern. Für das vorige Jahr geht man von einer Zahl von etwa 12000 aus. Es seien junge Menschen, "die über große Potentiale und Ressourcen verfügen", heißt es in dem Papier. Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) hat dazu bereite einen Gesetzentwurf ausarbeiten lassen, dessen Kern es ist, dass diese Kinder und Jugendlichen besser auf alle Länder verteilt werden sollen, wobei offenbar nicht in allen Regionen bisher eine kindeswohlgerechte Betreuung sichergestellt werden kann. Bisher sind vor allem einige wenige Kommunen mit der Betreuung dieser Flüchtlingsgruppe befasst. Von 2016 an sollen den jungen Flüchtlingen alle Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe offen stehen.
Wie ist der aktuelle Stand bei den Asylverfahren?
Bis einschließlich Mai wurden in diesem Jahr knapp 94000 Asylantrage beschieden, eine Steigerung um 80 Prozent gegenüber den Vorjahreszeitraum. Die durchschnittliche Verfahrensdauer konnte von gut sieben auf gut fünf Monate verringert werden. Etwa 220000 Verfahren sind noch nicht entschieden, laut Bundesamt für Migration sind davon 120000 entscheidungsreif. Für den weiteren Abbau sollen bundesweit vier neue Entscheidungsztentren eingerichtet werden. Durch die Bündelung soll der Ablauf der Verfahren effektiver werden. Das Bundesamt soll bis zu 2000 neue Mitarbeiter bekommen, davon die Hälfte in diesem Jahr.
Was tun die Länder für die Kommunen?
Das ist höchst unterschiedlich. Bayern, Mecklenburg-Vorpommern und das Saarland übernehmen alle Flüchtlingskosten. Andere Länder zahlen Pauschalen, sie reichen von 13 260 Euro pro Fall in Baden-Württemberg bis zu gut 6000 Euro pro Jahr in Rheinland-Pfalz. Nordrhein-Westfalen gilt mit einer Pauschalzahlung für alle Kommunen, die etwa die Hälfte der Kosten deckt, als eher knausrig. Wobei es je nach Land noch Sondererstattungen etwa für Gesundheitskosten gibt. Vizekanzler Gabriel hatte im Frühjahr vorgeschlagen, der Bund könnte den Ländern die gesamten Flüchtlingskosten abnehmen.
Aber welche Kosten verursacht ein Asylbewerber typischerweise überhaupt? Niemand konnte es genau sagen. Verhandelt worden ist über finanzielle Fragen in den vier Arbeitsgruppen nicht. Nordrhein-Westfalen hat jedoch in die Gespräche eine konkrete Summe eingebracht, die der Bund den Ländern (und Kommunen) pauschal pro Flüchtling überweisen könnte: 9795,84 Euro. Ob der Bund das mitmacht, ist unklar. Man würde bei einer mittleren einstelligen Milliardensumme landen.