Bremer Asyl-Skandal: Wer weiß was in der Bamf-Affäre?
Fahrt durchs Gruselkabinett: Innenminister Horst Seehofer muss im Bamf-Skandal immer neue Ungereimtheiten aufklären.
- Maria Fiedler
- Antje Sirleschtov
Vielleicht muss man sich Horst Seehofers Verhältnis zur Migrationsbehörde Bamf in den letzten Wochen wie eine Fahrt durch das Gruselkabinett vorstellen: Die ganze Zeit ist es dunkel, während immer wieder von allen Seiten grässlich blitzende Fratzen auftauchen. Zuletzt muss ihm am Pfingstwochenende eine solche begegnet sein, als er einen Blick in den jüngsten Bericht der Abteilung Innenrevision der Behörde warf.
Gefertigt am 11. Mai, dokumentieren die Bamf-Revisoren darin die Kontrolle von insgesamt 4407 Asylentscheidungen aus ganz Deutschland und kommen zu einem erschreckenden Ergebnis: In einer Vielzahl der Fälle wurden den Antragstellern positive Bescheide ausgestellt, obwohl die Voraussetzungen dazu überhaupt nicht gegeben oder zumindest zweifelhaft waren. Insbesondere in der Außenstelle in Bremen (73 Prozent) – aber nicht nur dort. Fehlende Anträge, fehlende Fragebögen, fehlende Feststellung der Identitäten waren zwischen 2013 und 2017 offenbar kaum jemandem im Bamf aufgefallen.
Nur Stichproben sind diese gut 4000 Fälle wohlgemerkt, Indizien für eine noch viel größere Zahl an Fehlentscheidungen des Bamf aber allemal. Erstmalig Mitte letzten Jahres hatte dessen Präsidentin, Jutta Cordt, Revisoren nach Bremen gesandt, die dort Unregelmäßigkeiten – bis hin zum strafrelevanten Betrug – feststellten. Nun offenbart der neueste Bericht, dass die Ausmaße dessen noch größer sind.
Die Migrationsbehörde, rund 7000 Mitarbeiter, ihre Bremer Außenstelle, aber auch der Bundesinnenminister selbst stehen nun am Pranger. An diesem Dienstag musste sich Seehofer in einer Sondersitzung des Innenausschusses den Parlamentariern erklären. War Bremen ein Einzelfall, hatten Schlamperei und Betrug System und vor allem: Was wussten die Behördenleitung und das Innenministerium, das die Aufsicht über das Bamf auszuüben hat?
Lückenlose Aufklärung und späteres Ausräumen beteuert der Innenminister seit Tagen. Und führt zum Beleg seiner Aufrichtigkeit an, dass er selbst als bayerischer Ministerpräsident schärfster Kritiker der Asylpolitik in Berlin gewesen sei. Warum also sollte ausgerechnet er ein Interesse an Verdunkelung haben?
Der Wille zur Aufklärung ist das eine. Was aber weiß Horst Seehofer eigentlich? Als der Bundesinnenminister – kurz nach der Übernahme des Amtes – der Behörde in Nürnberg und ihrer Chefin Jutta Cordt Anfang April einen ersten Besuch abstattete, lobte er deren Arbeit öffentlich. Über die Vorgänge in Bremen, Disziplinarverfahren gegen die Chefin und die Arbeit der Innenrevision ahnte er offenbar nichts.
So beteuert Seehofer jedenfalls seither. Zwar gab es zu diesem Zeitpunkt schon zwei große Berichte der zwischenzeitlich nach Bremen gesandten Beamtin Josefa Schmid, die die skandalösen Machenschaften umfänglich beschreiben. Doch zu Seehofer hatte Frau Schmid bis Anfang April offenbar nicht durchdringen können. Abgeschirmt durch die Ministeriumsleitung und nicht informiert durch seinen Staatssekretär Stephan Meyer hatte der Minister wohl keine Ahnung.
Seehofer hat sich nicht mehr rückhaltlos hinter die Bamf-Chefin gestellt
Ende April muss sich Seehofer erstmals das Ausmaß der Falsch-Bescheide offenbart haben, er erhielt Einblick in die Berichte von Frau Schmid, die inzwischen von der Bamf-Leitung wieder aus Bremen abgezogen worden war. Bewusst, um die Whistleblowerin ruhigzustellen? Oder aus „Fürsorge“ für die Beamtin, wie die Bamf-Leitung behauptet?
Seehofer hat sich seither nicht mehr rückhaltlos hinter Bamf-Chefin Cordt gestellt. Man darf vermuten, dass er weder ihr noch der Behörde, womöglich sogar seinem eigenen Ministerium wirklich vertraut. Zu viele offene Fragen bleiben im Moment. Warum, zum Beispiel, wurden die Vorgänge, Disziplinarverfahren und Revisionsberichte des Bamf, bis dahin nie an die Ministeriumsleitung übergeben?
Wieso schwieg Frau Cordt, als Seehofer sie in Nürnberg besuchte? Vor allem aber: Wie konnte es passieren, dass all die Vorgänge seither nie wirklich aufgearbeitet wurden? Die Bremer Behördenchefin, zentrale Figur, wurde zwischenzeitlich zwar versetzt, durfte dann ihren Posten aber wieder einnehmen.
Andere Mitarbeiter aus Bremen haben, so der Bericht der Innenrevisoren, wissentlich an der Ausstellung offensichtlich falscher Asylbescheide mitgearbeitet. Wieso taten sie das, statt der Behördenleitung die Unregelmäßigkeiten zu melden?
Immer neue Ungereimtheiten tauchen auf. Im Ausschuss berichtete Seehofer am Dienstag nicht nur, dass er zur Vermeidung von Schaden der Bremer Außenstelle die Arbeit an Bescheiden bis auf Weiteres untersagt habe, rund 18 000 zusätzliche Bescheide aus Bremen prüfen lasse und den Bundesrechnungshof um eine unabhängige Prüfung der Vorgänge gebeten habe.
Auch die Einschaltung einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft gab er bekannt. Weil der Verdacht im Raum steht, dass aus der Bremer Bamf-Außenstelle im Laufe der letzten Jahre Millionenbeträge abgeflossen sind. Immer wieder, in Tausenden Überweisungen. Wohin, warum? Seehofer weiß es bislang nicht.