EU-Gipfel: Wer unterstützt Merkel - und wer zählt zu ihren Gegenspielern?
Wenn sich am Donnerstag in Brüssel 28 Staats- und Regierungschefs zum EU-Gipfel treffen, teilen sie sich in zwei Lager. In welche - und warum?
DONALD TUSK
EU-Ratschef Donald Tusk gehört zu den Verbündeten von Kanzlerin Angela Merkel beim kommenden EU-Gipfel. Zwar wollte Polens früherer Regierungschef nicht assistieren, als am vergangenen Wochenende in Brüssel ein Sondertreffen zur Migration abgehalten wurde. Am Ende übernahm EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker die Aufgabe, zum Mini-Gipfel nach Brüssel einzuladen und damit der Kanzlerin die Möglichkeit zu geben, mögliche Fortschritte in der EU-Flüchtlingspolitik im Sinne der CSU auszuloten. Auch wenn Tusk das Sondertreffen nicht ausrichten wollte, hat er nun als Gastgeber des regulären EU-Gipfels der Diskussion um die Flüchtlingspolitik an diesem Donnerstagabend breiten Raum eingeräumt.
Die Gipfelregie lässt es zu, dass sich eine ausgiebige Debatte bis in den späten Abend hinziehen kann. Der Entwurf der Gipfel-Erklärung, für die Tusk zu einem guten Teil verantwortlich zeichnet, liest sich zudem wie eine Relativierung der CSU-Forderung nach einer Zurückweisung von Flüchtlingen. Die Kontrolle an den EU-Außengrenzen, heißt es in dem Text, sei seit dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise im Oktober 2015 stark verbessert worden. Dies habe dazu geführt, dass die Zahl der illegalen Grenzübertritte seither um 95 Prozent verringert worden sei – auch wenn der Erklärung zufolge zuletzt die Flüchtlingszahlen im östlichen und westlichen Mittelmeer zugenommen haben.
EMMANUEL MACRON
Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron erklärte zwar beim Brüsseler Sondertreffen vom vergangenen Wochenende angesichts der aufgeheizten deutschen Diskussion, dass man es nicht mit einer Neuauflage der Flüchtlingskrise von 2015 zu tun habe, sondern mit einer Berliner Regierungskrise. Trotzdem heißt es aus dem Elysée-Palast, dass es angesichts der Krise in Berlin darum gehen müsse, Merkel politisch zu stützen. Deshalb versucht Macron sich als konstruktiver Gesprächspartner zu zeigen: Beim deutsch-französischen Treffen in Meseberg erklärte er in der vergangenen Woche, sein Land sei bereit, in Frankreich registrierte Flüchtlinge aus Deutschland zurückzunehmen. Allerdings sind wegen der vergleichsweise geringen Zahlen aus deutscher Sicht nicht die Flüchtlinge aus Frankreich ein Problem.
Zu verpuffen droht indes Macrons Vorschlag, auf europäischem Boden geschlossene Zentren zu errichten, von wo aus Migranten anschließend auf weitere EU-Staaten verteilt werden können. Der Vorschlag dürfte beim EU-Gipfel keine große Rolle spielen. Statt dessen wollen die Staats- und Regierungschefs über die Idee von EU-Ratschef Donald Tusk sprechen, in Nordafrika „Ausschiffungsplattformen“ für Migranten zu errichten, die aus der Seenot gerettet wurden. In diesem Punkt sind allerdings noch viele Fragen offen. So ist noch unklar, in welchen Ländern solche Plattformen errichtet werden könnten. Im Kanzleramt hieß es am Mittwoch dazu nur, dass es sich dabei nicht um einen Vorschlag Deutschlands handele.
ALEXIS TSIPRAS
Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras gehört zwar nicht zu den glühendsten Unterstützern Merkels. Aber in der Flüchtlingspolitik baut er dennoch darauf, dass der Kurs der Kanzlerin nicht von deren Gegnern torpediert wird. Denn Merkel setzt weiter grundsätzlich auf eine Entlastung Athens in der Flüchtlingspolitik.
Der "Financial Times" sagte Tsipras, er sei offen für eine Sondervereinbarung mit Merkel. Dabei gehe um die Eindämmung des Problems, dass Flüchtlinge an den südlichen EU-Grenzen ankämen und sich dann weiter auf den Weg nach Deutschland machten. Griechenland werde solche Flüchtlinge zurücknehmen, wenn dies dabei helfe, Schleppern zu zeigen, dass Europa gegen illegale Einwanderung vorgehe. Man müsse im Gefüge internationaler Regeln einen Weg zur Lastenverteilung finden, um von der ungerechten Lage für die Länder mit EU-Außengrenzen und auch für Deutschland wegzukommen, sagte Tsipras.
"Es ist nicht fair, dass diese Menschen nach Deutschland gehen, wenn wir meinen, dass es ein europäisches Problem ist." Für Griechenland selbst werde eine solche Rücknahme keine gravierenden Folgen, sagte der Regierungschef. Schließlich gehe es hier lediglich um 50 bis 100 Menschen pro Monat.
SEBASTIAN KURZ
Österreichs Regierungschef Sebastian Kurz sieht sich als „Brückenbauer“ in der Debatte um die EU-Asylpolitik. Allerdings ist klar, auf welcher Seite er im unionsinternen Streit um mögliche Zurückweisungen von Flüchtlingen an der Grenze steht – auf der Seite der CSU. Zwar wäre Österreich unmittelbar davon betroffen, falls Innenminister Horst Seehofer (CSU) tatsächlich Zurückweisungen von Flüchtlingen anordnen sollte, die bereits in anderen EU-Ländern registriert wurden. Kurz, der in Wien mit der rechtspopulistischen FPÖ regiert, wäre in diesem Fall wohl gezwungen, seinerseits Flüchtlinge nach Italien zurückzuweisen.
Aber trotz dieses Dilemmas gibt sich Kurz mit seiner Warnung vor einer neuen Flüchtlingswelle auf der Balkanroute zumindest rhetorisch als Hardliner.
VIKTOR ORBAN
Ungarns Regierungschef Viktor Orban ist der Wortführer der Osteuropäer im Flüchtlingsstreit. Ungarn, Polen, Tschechien und die Slowakei wenden sich weiterhin gegen eine verpflichtende Verteilung von Flüchtlingen in der EU. Ähnlich wie Österreichs Kanzler Kurz will Orban, der Chef der nationalkonservativen Regierungspartei Fidesz, die Diskussion über die Verteilung von Flüchtlingen in der EU beenden. Merkel sieht die Diskussion um Verteilquoten differenzierter. Zwar ist die Kanzlerin zu der Auffassung gelangt, dass es ein Fehler gewesen sei, im Herbst 2015 osteuropäische Staaten in einem EU-Mehrheitsbeschluss zu überstimmen und die Verteilung von 160000 Flüchtlingen in der EU festzulegen.
Dennoch hält sie weiter an dem Ziel fest, dass im Fall der Wiederholung einer Flüchtlingskrise wie 2015 sämtliche EU-Mitglieder Solidarität zeigen sollen. Ganz im Sinne Merkels ist deshalb im bisherigen Entwurf der Gipfelerklärung davon die Rede, dass auch weiterhin eine „Balance zwischen Verantwortlichkeit und Solidarität“ gefunden werden müsse. Die Formulierung steht für eine Entlastung von Ländern wie Italien und Griechenland, in denen die Flüchtlinge zuerst den Boden der EU betreten. Ob Orban dies beim Gipfel mitträgt, ist offen.
GIUSEPPE CONTE
Der parteilose italienische Ministerpräsident Giuseppe Conte hat zwar formell beim Gipfel freie Hand. Allerdings wird sein Spielraum begrenzt durch den starken Mann in der italienischen Politik: Innenminister Matteo Salvini von der fremdenfeindlichen Lega-Partei. Salvini hat bereits erklärt, dass er nichts davon hält, in Italien registrierte Flüchtlinge aus Deutschland wieder zurückzunehmen, wie Seehofer es will. Deshalb wird Conte wie die meisten anderen Staats- und Regierungschefs beim Gipfel die Diskussion über die Migrationspolitik nicht auf die Binnenwanderung von Flüchtlingen in der Europäischen Union lenken, sondern auf den Schutz der EU-Außengrenzen.
Grundsätzlich herrscht in der EU Einigkeit darüber, dass die EU-Grenzschutzagentur Frontex ausgebaut werden soll. Anders verhält es sich mit Contes Forderung, dass das Dublin-System komplett überwunden werden müsse. Die Dublin-Regelung sieht vor, dass zunächst jenes Land für einen Asylbewerber zuständig ist, in dem er den Boden der EU betritt. Conte fordert, die Regelung zu ersetzen durch ein Prinzip, nachdem Flüchtlinge kurz nach ihrer Ankunft auf „europäischem Boden“ innerhalb der EU verteilt würden. Merkel setzt aber grundsätzlich auf das bestehende Dublin-System– und auf dessen Reform. (mit Reuters)
Der Tagesspiegel kooperiert mit dem Umfrageinstitut Civey. Wenn Sie sich registrieren, tragen Sie zu besseren Ergebnissen bei. Mehr Informationen hier.