Verkehrspolitik: Wer setzt sich durch bei der Autobahngesellschaft?
Diese Woche soll der Bundestag die umstrittene Autobahngesellschaft beschließen. Doch die Koalition ist noch uneins. Setzen sich die mächtigen Haushaltspolitiker im Parlament durch - oder gewinnt die Regierung?
Wird es die Woche der Entscheidung? Schon am Freitag soll der Bundestag auf Druck der Fraktionschefs Volker Kauder und Thomas Oppermann über die Gründung der umstrittenen Autobahngesellschaft des Bundes abstimmen. Allerdings heißt es aus dem Parlament, die Meinungsbildung in den Fraktionen von Union und SPD sei noch nicht abgeschlossen.
Die Fraktionssitzungen am Dienstag könnten daher turbulent werden. Zumal die Gefechtslage ungewöhnlich ist. Denn der Konflikt über Form und Ziel der – offiziell Infrastrukturgesellschaft genannten – neuen Einrichtung, in der das Planen und Bauen der Bundesfernstraßen zentralisiert werden soll, verläuft weniger zwischen Regierung und Opposition als vielmehr zwischen Regierung, voran Verkehrsminister Alexander Dobrindt, unterstützt von Verkehrspolitikern im Parlament, und den Haushältern der Koalitionsfraktionen. Diese haben die parlamentarische Federführung in dem Gesetzgebungsverfahren und gaben dem Regierungsentwurf mit vielen Änderungsvorschlägen eine völlig andere Richtung – weg von den Privatisierungsmöglichkeiten, welche die Regierung offenließ, hin zu mehr Staatsnähe und Parlamentskontrolle.
Private beteiligt - oder nicht?
Denn bei der Autobahngesellschaft geht es nicht zuletzt um die Frage, ob und wie weit es möglich sein wird, deutsche Autobahnen in die Hände von privaten Betreibern zu geben. Und damit im Zusammenhang mit der Mauterhebung für Pkw und Lkw zu einer völlig neuen Finanzierung des Fernstraßenbaus zu kommen. Möglicherweise mit einem Ergebnis ähnlich wie in Frankreich, wo einige Großkonzerne sich das Autobahnnetz und die Einnahmen aus der Nutzungsgebühr teilen, während der Staat Einfluss auf das Fernstraßennetz verliert.
Die Haushaltspolitiker der Koalition wollen gerade das verhindern, sie wollen keine Deutsche Autobahn AG und auch keine Teilprivatisierung. Und deshalb ist ihr Ziel, dass der Bundestag auch nach der Gründung der Gesellschaft (wahrscheinlich in privatrechtlicher Form einer GmbH) Herr des Verfahrens bleibt – indem er zusammen mit dem Bundesrechnungshof möglichst viele Kontroll- und Steuerungsmöglichkeiten hat.
Sie fordern daher vor allem, dass die Autobahngesellschaft ausschließlich über den Bundesetat finanziert wird. Einen Nebenhaushalt, in den die Mauteinnahmen fließen würden und der sich zudem eigenständig verschulden könnte, lehnen sie ab. Die Maut würde also zuerst in den Bundeshaushalt fließen – ihre Höhe wäre damit Parlamentssache. Kredite könnte die Gesellschaft nicht mehr aufnehmen, auch die Möglichkeit, Altschulden des Bundes auf die Gesellschaft zu übertragen, soll es nicht geben.
Dobrindts Modell ist gekippt
Das Organisationsmodell von Dobrindt wurde gekippt. Eine Beteiligung von Privaten an der Gesellschaft, und zwar unmittelbar wie auch mittelbar, wird ausgeschlossen. Das soll im Artikel 90 des Grundgesetzes dauerhaft verankert werden. Hier haben die SPD-Haushälter eine schärfere Formulierung durchgesetzt, die auch stille Beteiligungen ausschließen soll. Die Planung und die Finanzierung von Projekten bedürfen der Zustimmung des Haushalts- und des Verkehrsausschusses des Bundestags. Die Zahl der Tochtergesellschaften wird auf drei beschränkt, sie sind „unveräußerlich“ und sollen nur unterstützende Funktion haben, also nicht eigenständig arbeiten.
Bis zu neun regionale Organisationseinheiten sind erlaubt, aber nur als „nicht selbstständige Einrichtungen“. Über eigenständige Tochtergesellschaften wäre eine Teilprivatisierung von Autobahnnetzen möglich geworden, etwa im Rahmen von öffentlich-privaten Partnerschaften (ÖPP). Diese sind zwar weiterhin möglich, aber begrenzt auf eine Länge von 100 Kilometern (solche gibt es jetzt schon) und nicht in Verbindung mit anderen Vorhaben. In der SPD gibt es Bestrebungen, auch hier eine Absicherung im Grundgesetz zu suchen, um „Teilnetz- ÖPP“, also eine Quasi-Privatisierung großer Strecken zu verhindern.
Dass diese Regionaleinheiten nicht als Ersatz für die auslaufende Landeszuständigkeit für den Autobahnbau (im Rahmen der so genannten Bundesauftragsverwaltung) konzipiert sind, missfällt offenbar vor allem der CSU. Dort funktioniert die Straßenbauverwaltung recht gut, das Auseinanderreißen von Bundes- und Landeszuständigkeiten ist - wiewohl von Dobrindt vorangetrieben - aus Münchner Sicht eine Verschlechterung.
Auf eigenständige Tochtergesellschaften hätten die Länder wohl mehr Einfluss nehmen können als im Fall weisungsgebundener Regionaldirektionen. Doch im Bundestag ist man der Meinung, wenn man schon zentralisiert, dann richtig - der Sitz der Gesellschaft wird Berlin sein, die Regionaleinheiten werden am Autobahnnetz ausgerichtet, nicht an Landesgrenzen. Bayern immerhin kann damit rechnen, zwei solcher Unterabteilungen zu bekommen.
Verkehrspolitisches Schlaraffenland
Dobrindt und den Verkehrspolitikern der Koalition gefällt das alles aber nicht. Sie halten an einer eigenständigeren Form der Gesellschaft fest. Denn eine solche Autobahn-GmbH wäre aus ihrer Sicht eine Art Schlaraffenland: Alle Vorhaben müssten nicht mehr im Bundestag mit anderen Projekten anderer Fachpolitiker konkurrieren, die Finanzierung der Autobahnen liefe allein über die Maut (plus separater Verschuldungsmöglichkeit), Verkehrsministerium und Verkehrspolitiker könnten relativ ungestört planen und bauen. Und ÖPP-Modelle könnten unbegrenzt in Angriff genommen werden - ohne dass der Bundesrechnungshof mitmischt, der zu öffentlich-privaten Partnerschaften eine eher kritische Haltung einnimmt, weil er sie für weniger kostengünstig hält als die konventionelle staatliche Auftragsvergabe.
Dass ausgerechnet der Mittelstand der Baubranche die Haushaltspolitiker der Koalition unterstützt, könnte innerhalb der Unionsfraktion eine Rolle spielen. Der Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Baugewerbes, Hans-Hartwig Loewenstein, plädiert jedenfalls dafür, Privatisierungsmöglichkeiten müssten „grundgesetzlich ausgeschlossen werden“. Eine Einbeziehung Privater hinsichtlich Bau oder Betrieb dürfe es weder für das Gesamtnetz noch für Teilnetze der Autobahnen und Bundesfernstraßen geben – „auch nicht durch die Hintertür über umfangreiche ÖPP-Projekte“, sagt Loewenstein. Es wäre „völliger Irrsinn“, wenn das Parlament die Gründung der Gesellschaft beschließe und sich gleichzeitig selbst entmachte.
„Mangelnde Kontrollmöglichkeiten sind am Ende immer teuer – für den Steuerzahler“, sagt Loewenstein. Der Chef des Verbands der mittelständischen Bauwirtschaft fürchtet, dass seine Mitgliedsbetriebe bei der Umsetzung des Regierungsentwurfs gegenüber Großkonzernen ins Hintertreffen geraten und bei Mammutprojekten nicht mehr zum Zug kommen.
Zweidrittelmehrheit nötig
Wie viele Abgeordnete der Union die Haushälter stützen und wie viele sich von Dobrindt überzeugen lassen, ist unklar. Auch in der SPD-Fraktion gibt es noch Unstimmigkeiten. Aus dem linken Flügel gibt es die Forderung, möglichst viele der Beschlüsse des Haushaltsauschusses auch im Grundgesetz zu verankern. Ihnen reicht es nicht, dass einige Privatisierungsbremsen nur einfachgesetzlich geregelt werden - sie könnten von einer späteren Koalition auch wieder gekippt werden.
So könnte es bei einer Abstimmung schon am Freitag in beiden Fraktionen Abweichler geben. Da es aber um Grundgesetzänderungen geht, ist eine Zweidrittelmehrheit nötig - zumal die Autobahngesellschaft Teil des großen Bund-Länder-Finanzpakets ist, für das ebenfalls die Verfassung geändert werden muss. Die liegt bei 421 Abgeordneten, die große Koalition hat 502. Der Puffer ist zwar groß, aber viele Abweichler wird man in den Koalitionsspitzen auch nicht sehen wollen.