Autobahngesellschaft: Regierungsplan kommt im Bundestag unter die Räder
Die Haushaltspolitiker der Koalition wollen die neue Autobahngesellschaft unter Kontrolle des Parlaments und ohne Hintertüren für Privatisierung. Aber der Kompromiss könnte noch platzen.
Im Bundestag ist schon von einer kleinen Palastrevolution die Rede. Denn der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur neuen Infrastrukturgesellschaft, meist Autobahngesellschaft genannt, ist von den Verantwortlichen in den Koalitionsfraktionen deutlich verändert worden. Was vor allem Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) und Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) sich ausgedacht hatten – eine Bundesgesellschaft für den Autobahnbau, ähnlich organisiert wie die Deutsche Bahn AG, mit der Möglichkeit, sich eigenständig zu verschulden und Private mit an Bord zu nehmen – wird so nicht kommen. „Wir steuern auf einen Sieg des Parlaments über die Regierung zu, was nicht jeden Tag vorkommt“, sagte die SPD-Haushaltspolitikerin Bettina Hagedorn dem Tagesspiegel. Auch der CDU-Haushaltspolitiker Norbert Brackmann vermeldet einen Erfolg: „Auf der Ebene der federführenden Haushaltspolitiker in der Koalition sind alle Vorentscheidungen gefallen.“ Doch wie es aussieht, könnte der Kompromiss noch platzen – aus inhaltlichen Gründen und wegen zu hohen Zeitdrucks im weiteren Verfahren.
"Keine zweite Bahn AG"
Bisher hatten die Länder im Auftrag des Bundes (und mit dessen Mitteln) die Fernstraßen geplant und gebaut. Doch im Zuge des großen Bund-Länder-Finanzpakets, mit dem neuen Finanzausgleich als Kern, hatte die Bundesregierung den Ministerpräsidenten die Neuorganisation der Autobahnverwaltung abgerungen. Oppositionspolitiker und Sachverständige warnen allerdings seit Monaten, dass der Regierungsentwurf gleich mehrere Hintertüren für eine künftige Privatisierung des Autobahnnetzes enthalte. Auch der Bundesrechnungshof kritisierte immer wieder, dass die Autobahngesellschaft auf eine Privatisierung hinauslaufe. Zwar nicht durch den Verkauf der Fernstraßen – eine solche „materielle Privatisierung“ will auch die Regierung nicht, was durch eine entsprechende Grundgesetzänderung klargestellt wird. Wohl aber war bisher eine „funktionale Privatisierung“ prinzipiell möglich – über den privaten Betrieb von großen Autobahnabschnitten, auch im Rahmen von groß angelegten öffentlich-privaten Partnerschaften. Insbesondere Schäuble hatte auf eine privatrechtliche Organisation gedrungen; in dem von Dobrindt vorgelegten Stufenplan war die Möglichkeit eingebaut, die Gesellschaft nach einer Einführungsphase als GmbH ohne Zustimmung des Bundestags in eine Aktiengesellschaft umzuwandeln. Das aber hätte bedeutet, dass Parlament und Rechnungshof ihre Kontrollrechte weitgehend verloren hätten. „Wir wollen keine zweite Bahn AG“ – Brackmanns Satz fasst die einmütige Haltung aller Parlamentsfraktionen zusammen.
Finanzierung allein über Bundeshaushalt
Nach Tagesspiegelinformationen ist der Stufenplan samt der Möglichkeit der Umwandlung in eine AG vom Tisch. Zwar konnte die SPD ihren Wunsch, die Gesellschaft sehr staats- und damit parlamentsnah als Anstalt öffentlichen Rechts zu gründen, nicht durchsetzen. Allerdings soll die bundeseigene Autobahn-GmbH so ausgestaltet werden, dass die Parlamentarier entsprechende Einflussmöglichkeiten haben. Daher soll die Gesellschaft allein aus dem Bundeshaushalt finanziert werden – nicht nur aus den Einnahmen aus der Maut (Lkw- wie künftig auch Pkw-Maut), sondern auch aus Steuermitteln. Damit bleibt die Kontrolle über die Einnahmen der Gesellschaft und auch die Höhe der Maut beim Parlament. Und die Gesellschaft kann nicht, wie nach dem Regierungsentwurf möglich (und wohl auch beabsichtigt), zur „Mautgläubigerin“ werden – was im Extremfall dazu hätte führen können, dass private Betreiber über die Höhe der „Infrastrukturabgabe“ bestimmt hätten. Zudem ist durch die alleinige Etatfinanzierung ausgeschlossen, dass die Gesellschaft eigene Kredite aufnehmen kann. Allenfalls Darlehen des Bundes als Eigentümer wären möglich. ÖPP-Projekte und deren Umfang unterliegen ebenfalls der Parlamentskontrolle.
Keine regionalen Tochtergesellschaften
Die Organisation der Gesellschaft soll ebenfalls vom Regierungsentwurf deutlich abweichen. Neben der Zentrale der Gesellschaft (offenbar in Berlin angesiedelt) soll es nach dem Willen der Koalitionsabgeordneten keine regionalen Tochtergesellschaften geben (und damit auch keine separaten Einheiten, die gesondert hätten privatisiert werden können). Stattdessen ist nun auf dem Plan, der zentralen Managementgesellschaft allenfalls drei „Töchter“ mit bestimmten funktionalen Aufgaben beizustellen. In der Fläche aber soll die Autobahngesellschaft mit maximal neun Direktionen auskommen, nachgeordneten Stellen ohne Eigenständigkeit. Diese sollen nicht an Landesgrenzen orientiert sein, sondern sich länderüberschreitend um ähnlich große Autobahnnetze kümmern.
Hier aber beginnen die Probleme. Wie aus dem Bundestag verlautet, sind insbesondere Dobrindt und die CSU gegen eine solche Organisation. Sie wollen offenbar landesbezogene regionale Tochtergesellschaften. Eine „Lex Bayern“ aber dürfte in den Fraktionen nicht durchzusetzen sein. Ein weiterer Konflikt tut sich – trotz der Einigung in der Sache – zwischen den Fraktionen von Union und SPD mit Blick auf die konkrete gesetzliche Umsetzung auf. Die Sozialdemokraten wollen möglichst viele Detailvereinbarungen ins Grundgesetz schreiben, um auch künftig einen Privatisierungskurs der Gesellschaft auszuschließen. Eine solche grundgesetzliche Absicherung haben auch alle Gutachter in den Anhörungen im März empfohlen, zuletzt auch der Bundesrechnungshof. Aber die Unions-Fraktion tut sich schwer damit. Zum einen aus grundsätzlichen Erwägungen (Bundestagspräsident Nobert Lammert etwa gilt als Gegner zu detaillierter Grundgesetzartikel). Zum anderen, weil durch die Beschränkung auf eine Etatfinanzierung und den Ausschluss von privatisierungsfähigen Tochtergesellschaften die Absicherungen in der Verfassung gar nicht nötig seien. Doch sind vor allem die Linken in der SPD-Fraktion der Meinung, dass das nicht reicht. Hagedorn mahnt daher: „Wenn es nicht zu Grundgesetzänderungen kommt, wird die Zustimmung für die SPD-Fraktion schwierig. Was soll eigentlich dagegen sprechen, dass einige wesentliche Punkte, die inhaltlich übereinstimmend formuliert sind, auch im Grundgesetz klargestellt werden, wenn sogar der Bundesrechnungshof und alle relevanten Gutachter genau dies ausdrücklich empfehlen?“
Plötzlicher Zeitdruck
Während die SPD-Fraktion schon mehrfach über die Autobahngesellschaft geredet hat, ist das in der CDU/CSU-Fraktion bisher nicht der Fall gewesen. Nun aber ist plötzlich Zeitdruck entstanden – auf Wunsch der Fraktionsführungen soll schon am 19. Mai abgestimmt werden, nicht erst zwei Wochen später. Damit ist das ohnehin eng getaktete Verfahren über den Haufen geworfen. Das hat zu Befremden geführt – bis hinauf zu Bundestagspräsident Nobert Lammert. Ein bedeutendes Gesetzgebungsverfahren einschließlich mehrerer Verfassungsänderungen im Sauseschritt zu beschließen ist nicht nach dem Geschmack selbstbewusster Parlamentarier. Brackmann betont mit Blick auf die Differenzen, alle wichtigen Fragen seien einvernehmlich geklärt. „Wir können jetzt an die Schlussformulierungen gehen. Das sollte nicht dadurch gefährdet werden, dass man das Gesetzgebungsverfahren in eine unzuträgliche Situation manövriert.“
Druck aus den Ländern
Hintergrund der Eile könnte Druck aus den Ländern sein. So dringt die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) offenbar darauf, den Abschluss des Bund-Länder-Finanzpakets noch im Wahlkampf als baldigen Erfolg vermelden zu können (NRW wählt am 14. Mai). Andere Länderchefs wiederum, darunter offenbar Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer, wollen mehr Zeit für die abschließende Beratung im Bundesrat haben. Kommt das Gesetzgebungsverfahren nun auf den letzten Metern noch ins Schlingern, droht ein abrupter Stopp. Denn der Bundestag kommt letztmals vor der Wahl in der letzten Juni-Woche zusammen, der Bundesrat am 7.Juli, und sommerliche Sondersitzungen im Wahlkampf dürften ausgeschlossen sein. Gelingt ein Abschluss nicht, dann träte die so genannte Diskontinuität ein – das Gesetzgebungsverfahren müsste vom nächsten Bundestag, dessen Mehrheitsverhältnisse niemand voraussagen kann, neu aufgerollt werden.