Der Sarrazin der Grünen: Wer rettet Boris Palmer vor sich selbst?
Er war mal eines der größten grünen Talente. Jetzt droht ihm der politische Absturz. Einige wollen ihn aus der Partei ausschließen.
Immer wieder Boris Palmer. Jetzt also hat Tübingens Oberbürgermeister, das Enfant terrible der Grünen, sich in der Coronakrise in einer Art geäußert, dass die Zahl derer steigt, die ihn mit einem Parteiausschlussverfahren überziehen wollen.
Auch dem Grünen-Vorstand geht jetzt die Geduld aus: Die Spitze will ihn nicht mehr unterstützen.
Nun ist der entscheidende Satz auch, wie Palmer selbst sagt, brutal: „Wir retten in Deutschland möglicherweise Menschen, die in einem halben Jahr sowieso tot wären.“ Habeck spricht für viele, wenn er das falsch und herzlos nennt.
Ja, Palmer hat sich schon mehrere Male über Themen in einer Weise eingelassen, die viele – und zwar über die Grünen hinaus – gegen ihn aufbringt. Ob über einen Radfahrer und dessen Hautfarbe oder die Werbekampagne der Bahn, von der er fand, dass zu viele Menschen mit Einwanderungsgeschichte abgebildet seien – jedes Mal gab es Aufruhr. So wie jetzt.
In dem Ausschlussantrag, den mehrheitlich die Berliner Grünen tragen, die zu den Linken in der Partei zählen, nennen die Unterzeichner seine Wortwahl „Propaganda gegen Schwächere“ und „Sozialdarwinismus pur“, der mit „allen Mitteln strikt abzulehnen“ sei.
Palmer wehrt sich, entschuldigt sich auch, fühlt sich aber „teilweise böswillig fehlgedeutet“. Der studierte Mathematiker und Historiker findet, dass sein Satz „mit hoher Wahrscheinlichkeit richtig“ sei. Er versucht seine Äußerung zu erklären, sie in Zusammenhang mit der Internationalität der Grünen und der Entwicklungspolitik zu stellen. Dem Sinne nach: Was hier geschieht, kann anderswo Menschenleben kosten. Und Palmer nimmt für sich die Debattenfreiheit der Grünen in Anspruch.
Das alles würde ein Parteischiedsgericht mitzuwerten haben. Wie schwierig ein Ausschlussverfahren werden kann, lässt sich gut am Fall Thilo Sarrazin bei der SPD studieren. Palmer – der Sarrazin der Grünen?
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So weit ist es gekommen. Dabei war er mal das größte Talent des Südwestens. Nur wird er zunehmend beherrscht vom ungestümen Rebellentum des Vaters in ihm, des „Remstal-Rebellen“, ein Temperament, das er offenbar nicht zu zügeln vermag. Wer kann ihm auch schon was sagen? Als OB in Baden-Württemberg ist er laut Kommunalverfassung ein kleiner Fürst. Und 2014 wurde er mit fast 62 Prozent wiedergewählt. Seine Erfolge können sich sehen lassen.
Palmer fühlt sich in Tübingen offenkundig unterfordert. Alle Mahnungen von Winfried Kretschmann oder Joschka Fischer haben nicht geholfen. Rezzo Schlauch hatte mal Einfluss auf ihn. Immer wieder wurde überlegt, wie er für die Politik und vor sich selbst zu retten sei. Eine Idee: ins Landeskabinett, damit er unter Aufsicht richtig „schaffen“ muss und nicht auf dumme Gedanken kommt.
Es sieht so aus, als hätte Boris Palmer jetzt den entscheidenden zu viel gehabt. Selbst Tübinger Freunden reicht es.