Aussagen über Coronavirus-Maßnahmen: Grüne wollen Palmer nicht mehr als OB-Kandidaten aufstellen
Tübingens Oberbürgermeister hat mit Aussagen zur Corona-Krise irritiert – und sich entschuldigt. Doch Parteimitglieder wollen jetzt Konsequenzen ziehen.
Nach seinen umstrittenen Äußerungen zu älteren Corona-Patienten entzieht die Grünen-Spitze ihrem Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer die Unterstützung. Die Partei werde Palmer bei einer erneuten Kandidatur in Tübingen und bei weiteren politischen Tätigkeiten nicht mehr unterstützen, sagte Grünen-Chefin Annalena Baerbock am Montag in Berlin nach einer Videokonferenz des Parteivorstands. Weitere interne Sanktionen würden geprüft.
Auch Grünen-Chef Robert Habeck hatte sich am Sonntagabend in der Talkshow „Anne Will“ zu den umstrittenen Äußerungen des Tübinger Oberbürgermeisters Boris Palmer (Grüne) positioniert.
„Der Satz von Boris war falsch, herzlos und kann den Eindruck erweckt haben – vielleicht war es auch so gemeint – , dass es sich nicht lohnt, um Menschenleben zu kämpfen“, sagte Habeck.
„Er spricht damit weder für die Partei, noch für mich. Ich glaube, er spricht für niemanden außer für sich selbst“, sagte Habeck weiter. Seine Geduld mit Palmer sei inzwischen erschöpft. Dessen Äußerungen schadeten der Debatte „weit über das parteischädigende Verhalten hinaus.“
Palmer zeigte sich tags darauf überrascht über Habecks erschöpfte Geduld: „Mich wundert dieser Satz, denn was kann mir denn dieses Mal vorgeworfen werden?“, fragte er im Talkformat „Bild live“.
Der von ihm geäußerte Satz könnte „derzeit jedenfalls nicht widerlegt werden“. Es bestehe „sogar eine hohe Wahrscheinlichkeit“, dass er „richtig ist“. „Ich bin mir wirklich keinerlei Schuld bewusst“.
Er fühle sich zudem falsch dargestellt. Ihm sei es bei den Aussagen um armutsbedrohte Kinder vor allem in Entwicklungsländern gegangen, deren Leben durch die wirtschaftlichen Folgen des Lockdowns bedroht seien. Seine Äußerungen stünden in voller Übereinstimmung mit den grünen Grundwerten.
Die Grünen hätten sich immer für Entwicklungsländer verantwortlich gefühlt. „Hingegen widerspricht die Absicht, Diskussionen durch Parteiausschluss zu beenden, dem Geist und der Satzung unserer Partei.“
Tübinger OB soll aus der Partei ausgeschlossen werden
Palmers parteischädigende Äußerungen zeigten, dass die Grünen „längst nicht mehr seine politische Heimat“ seien, hieß es am Sonntag in einem offenen Brief. Darin werden der baden-württembergische Landesvorstand und der Kreisvorstand Tübingen aufgefordert, ein Parteiordnungsverfahren oder Parteiausschlussverfahren gegen Palmer anzustrengen.
Die Vorstände müssten als zuständige Organe alle Möglichkeiten ausschöpfen, „um diesen politischen Geisterfahrer alsbald aufzuhalten“.
Palmer hatte zur Corona-Krise gesagt: „Wir retten in Deutschland möglicherweise Menschen, die in einem halben Jahr sowieso tot wären.“ Damit hatte er parteiübergreifend für Empörung gesorgt - und sich später entschuldigt, falls er sich „da missverständlich oder forsch ausgedrückt“ habe. Am Sonntag sagte er der Deutschen Presse-Agentur, dass es im leid tue, dass er mit seinen Aussagen Menschen verletzt habe.
Auch ein enger Weggefährte Palmers, der Fraktionschef der Grünen im Tübinger Gemeinderat, Christoph Joachim, geht auf Distanz: Der OB „reißt immer wieder mit dem Hintern ein, was wir filigran aufbauen“, sagte Joachim gegenüber der „Stuttgarter Zeitung“.
Die Partei sei weit vorne bei den Themen wie Energie und Verkehrswesen – Palmers Äußerungen seien aber oft Schnellreaktionen, die das Gewonnene zunichte machten.
„Palmer ist nicht mehr unser Kandidat“
Zumal es nach Joachims Einschätzung nicht mehr um Inhalte gehe und Palmer „völlig beratungsresistent ist, was seine Aktivitäten bei Facebook und seine schnellen Äußerungen“ angehe. Palmer führe als Tübinger Oberbürgermeister nicht zusammen, sondern spalte, sagte sein Freund.
Er schlägt deshalb auch vor, 2022 mit einem anderen Bewerber in die OB-Wahl in Tübingen zu ziehen. Laut Joachim, „ist Palmer nicht mehr unser Kandidat“.
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Der offene Brief gegen Palmer ist von besonders vielen Grünen-Mitgliedern aus Berlin unterzeichnet. „Mit seinen Äußerungen spaltet er die Gesellschaft, simplifiziert gesellschaftliche Probleme und betreibt immer wieder Propaganda gegen Schwächere“, heißt es darin. Palmer sei „unbelehrbar“.
Palmers Weggefährte Joachim hält hingegen einen Parteiausschluss nicht für sinnvoll – die Grünen könnten Querköpfe in ihren Reihen durchaus aushalten. Doch diese, so der Fraktionschef weiter, müsse man nicht auch noch in einen wichtigen Posten hieven. (mit dpa)