Nach Experten-Anhörung zu den Hohenzollern im Bundestag: Wer hat die Deutungshoheit über die Geschichte?
Der Streit um die Forderungen der Erben Kaiser Wilhelms II. bleibt verfahren. Die staatlichen Verhandler sollten klare Grenzen ziehen. Ein Kommentar.
Der Kulturausschuss des Bundestages hat mit seiner Experten-Anhörung zu den Hohenzollern den Streit um die Forderungen der Erben Kaiser Wilhelms II. endlich dorthin getragen, wo er hingehört: in die Öffentlichkeit. Dabei geht es nicht nur darum, wie berechtigt deren Ansprüche sind und welche Zeugnisse vergangener Jahrhunderte und Kunstwerke in Museen und Schlösser dem Publikum zugängig bleiben.
Es geht auch um die Frage, wer die Deutungshoheit über die Geschichte behält oder erobert – die Nachfahren des letzten Monarchen oder demokratische Institutionen, die freie Wissenschaft und die Öffentlichkeit. Dass die Dynastenfamilie in diesem Kampf um Interpretation brachial vorgeht, zeigt ihr juristischer Feldzug gegen Historiker und Medien.
Auch ein Gerichtsurteil würde nichts ändern
Die Rolle des Bundestags in der Auseinandersetzung ist umstritten. Die Linkspartei fordert die Verhandlungen der Kulturstaatsministerin sowie der Länder Berlin und Brandenburg mit den Erben einzustellen, was eine Gerichtsentscheidung provozieren würde. Die Linke reinszeniert bis in die Wortwahl hinein die Frontstellung der Volksentscheide über die Fürstenentschädigung von 1926. Damals erlag die SPD der linken Agitation und beschädigte ihre Kompromissfähigkeit gegenüber bürgerlichen Demokraten.
[In unseren Leute-Newslettern berichten wir wöchentlich aus den zwölf Berliner Bezirken. Die Newsletter können Sie hier kostenlos bestellen: leute.tagesspiegel.de]
Heute agieren die Sozialdemokraten besonnener. Sie folgen den fachlich renommierten Historikern, die den Beitrag der Hohenzollern zum Aufstieg der Nationalsozialisten klar benennen. Aber sie bezweifeln, dass der historische Befund geeignet ist, die offenen Fragen so zu klären, dass die Mehrheit am Ende gewinnt. Daran würde selbst ein Gerichtsurteil nichts ändern, wonach Ansprüche der Erben durch die historische Schuld ihrer Vorfahren nichtig sind. Auch deshalb setzen Union und SPD weiter auf eine gütliche Einigung.
Erst wenn die juristischen Klagen zurückgezogen sind, kann es eine Lösung geben
Die Verhandlungen sind festgefahren, weil die Hohenzollern Forderungen erheben, denen die öffentliche Hand nicht nachgeben will. Einen Abschluss zum jetzigen Stand könne er nicht empfehlen, erklärte der Vertreter der Stiftung Preußischer Schlösser und Gärten am Mittwoch im Ausschuss.
Zwei Haltelinien sollten die staatlichen Verhandler ganz klar ziehen: Eine wie immer geartete Mitsprache der Hohenzollern bei der Darstellung ihrer Geschichte in öffentlichen Institutionen muss ausgeschlossen bleiben. Erst wenn die ganze wilde Klageflut endet, kann es eine Lösung geben.