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Jüdische Kinder in Deutschland.
©  Daniel Bockwoldt/dpa

Antisemitismus an Schulen: Wer einfache Antworten sucht, wird scheitern

Antisemitische Vorfälle an Schulen zeigen: Eine Pädagogik, die auf Diskriminierung adäquat reagiert, muss mitunter noch wachsen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Susanne Vieth-Entus

Ein Mädchen wird indirekt mit dem Tode bedroht. Ihr Vergehen: Sie glaubt nicht an Allah. So berichtet es ihr jüdischer Vater und so macht es die Runde bis nach Yad Vashem, wo Außenminister Heiko Maas den Vorfall als „beschämend und unerträglich“ bezeichnen wird. Noch bevor Maas nach Deutschland zurückkehrt, wird er ein leidenschaftliches Plädoyer gegen jede Form von Antisemitismus halten.

Was so klar scheint, ist tatsächlich kompliziert: Als der muslimische Zweitklässler das Mädchen ins Visier nahm, wusste er nämlich noch nicht, dass sie jüdisch ist. Ihm reichte, dass sie nicht seinem Glauben angehörte. Antisemitismus ist das nicht. Jedoch soll ein anderer Junge mehrfach ein bedrohliches „Du bist ein Jude“ hervorgestoßen haben, nachdem er kürzlich erfuhr, dass seine Mitschülerin jüdisch ist.

Der Fall zeigt exemplarisch, wie sich die Dinge mischen und dass die Wurzel dennoch immer die gleiche ist: Hass auf Fremdes. Fremd ist der Andersgläubige, fremd ist der Alevit, der Schweinefleisch isst, fremd ist der Atheist, auch der Christ mit seinem lockeren Lebensstil, und ganz besonders der Jude, denn er steht nicht nur für einen anderen Glauben, sondern auch für den Staat Israel, den Nahostkonflikt und gern auch für die Weltverschwörung.

Wer einfache Antworten sucht, scheitert

Die Sache wird noch komplizierter, wenn man hinzunimmt, dass der Antisemitismus von rechts ebenso vehement ist wie der von muslimischer Seite. Wer einfache Antworten auf dieses Problem sucht, wird also scheitern. Denn angesichts des rechtsextrem-dumpf gefärbten Antisemitismus in Sachsen, Thüringen oder Teilen Berlins hilft es nicht, allein auf einen professionellen staatlichen und bekenntnisorientierten Islamunterricht zu setzen und dann zu hoffen, dass der Antisemitismus bald verschwindet.

Gewiss, ein solcher Islamunterricht könnte dafür sorgen, dass muslimische Kinder eine Vorstellung von den gemeinsamen Wurzeln der Weltreligionen bekämen; er könnte den Koran anders nahebringen als es die Laien oder die Hassprediger in den Moscheen tun, er könnte eine Brücke schlagen zu einem europäischen Islam. Aber was könnte er tun gegen den Antisemitismus, der sich aus dem Nahostkonflikt speist, oder gegen die irrsinnige Vorstellung einer „jüdischen Weltverschwörung“? Und er könnte ebenso wenig beitragen gegen den Antisemitismus in deutschstämmigen Wohnzimmern.

Nein, einfache Antworten gibt es nicht und auch keine einfachen Rezepte. Der Staat hat nur den Weg über Kitas, in denen für Toleranz geworben wird, und über Lehrer, die kompromisslos einschreiten beim leisesten Anzeichen von Diskriminierung. Das aber scheint nicht so einfach, wie es klingt: Eltern erleben, dass nicht reagiert wird oder zumindest nicht angemessen. Sie erleben Lehrer, die sich – über den Nahostkonflikt – mit muslimischen Schüler solidarisieren oder zumindest nicht so reagieren, wie sie es müssten, um die Grenzen ganz früh aufzuzeigen, anstatt nur auf „Vorfälle“ zu reagieren. Und sie erleben Schulleiter, denen nicht viel mehr einfällt als eine Klassenkonferenz und bestenfalls ein „Projekt“. So aber entsteht daraus allenfalls ein Taumeln von „Vorfall“ zu „Vorfall“.

Ein langer Weg liegt vor den Schulen: Eine Pädagogik, die auf Diskriminierung adäquat reagiert, muss mitunter noch wachsen. In die Lücken, die immer wieder entstehen, müssen Sozialarbeiter springen. Sie in angemessener Zahl an die Schulen zu holen, muss das Nahziel sein.

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