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Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan.
© AFP/Adem Altan

Demokratie-Aktivist Osman Kavala weiter in Haft: Wer ein Feind der Türkei ist, bestimmt Erdogan alleine

Erdogan verspricht seit Neuestem eine Stärkung des Rechtsstaats. Doch die Justiz ist ein Werkzeug der Regierung. Das zeigt der Fall Kavala. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Susanne Güsten

Die Türkei hat im Fall des Demokratie-Aktivisten Osman Kavala einen weiteren Beweis dafür geliefert, wie schlimm es um die Justiz im Land bestellt ist. Kavala, ein prominenter Partner der EU und anderer europäischer Institutionen, sitzt seit mehr als drei Jahren im Gefängnis, weil die türkische Regierung ihn ohne jeden Beweis zum staatsfeindlichen Agenten gestempelt hat und die willfährige Justiz ihn mit absurden Vorwürfen hinter Gittern hält.

Präsident Erdogan beschimpft Kavala als Handlanger des Investors George Soros beim angeblichen Versuch, die türkische Regierung zu stürzen. Obwohl der Europäische Menschenrechtsgerichtshof seit langem die Freilassung von Kavala fordert, wird der 63-Jährige weiter in Haft gehalten.

Weil Erdogan seit Neuestem eine Stärkung des Rechtsstaats verspricht, um die Türkei wieder attraktiver für Anleger zu machen, war in den vergangenen Tagen über eine Freilassung von Kavala spekuliert worden. Doch das zuständige Gericht ordnete an, dass Kavala mindestens bis zum nächsten Prozesstag am 5. Februar im Gefängnis bleiben muss. Niemand sollte diese Entscheidung vom Freitag als Urteil unabhängiger Richter missverstehen.

Die Justiz ist bei politischen Prozessen ein Werkzeug der Regierung, das je nach Bedarf mal so und mal so eingesetzt werden kann. Kavala und andere politische Häftlinge kommen erst frei, wenn Erdogan es will.

Antisemitische Verschwörungstheorien

Am Freitag wurden vor Gericht sogar antisemitische Verschwörungstheorien diskutiert. Ein US- Wissenschaftler habe einem Geschäftsmann in der Türkei eine Woche vor dem Putschversuch gegen Erdogan im Jahr 2016 gesagt, dass es einen Umsturz geben werde, behauptete ein Zeuge. Das alles angeblich im Auftrag von Soros. Die drei Männer haben nichts miteinander zu tun – sie sind aber alle jüdischer Herkunft, darum geht es offenbar.

Weiter grundlos inhaftiert. Osman Kavala 2014 bei einer Pressekonferenz im Brüsseler EU-Parlament.
Weiter grundlos inhaftiert. Osman Kavala 2014 bei einer Pressekonferenz im Brüsseler EU-Parlament.
© Wiktor Dabkowski / dpa

Mit Kavala hat das erst recht nichts zu tun, aber das interessiert Anklage und Gericht nicht. Es geht nur darum, den Angeklagten mit einem Komplott gegen Erdogan in Verbindung zu bringen.

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Für die Beziehungen zwischen der Türkei und dem Westen endet das Jahr 2020 damit auf einem neuen Tiefpunkt. Vor zwei Wochen erließ die EU Sanktionen gegen Ankara wegen Erdogans aggressiver Politik im östlichen Mittelmeer, vor wenigen Tagen folgten US-Sanktionen, und jetzt zeigt die Türkei in einem für die Europäer wichtigen Fall, wie wenig ihr an rechtsstaatlichen Normen liegt.

Es wäre für den türkischen Präsidenten einfach gewesen, diese Zuspitzung zu vermeiden. Doch er hat sich anders entschieden. Dass sich ausländische Geldgeber und Investoren, die bisher die Türkei meiden, ausgerechnet jetzt in seinem Land engagieren, kann Erdogan kaum erwarten.

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