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Umstrittener Besuch in der Türkei: Robert Spano bei Recep Tayyip Erdogan
© AFP/Turkish Presidential Press Service

Besuch bei Erdogan: Europas oberster Menschenrechtsrichter ignoriert die türkische Opposition

In der Türkei hat der EU-Richter für Menschenrechte keine Zeit für Regierungskritiker. Vertreter der Zivilgesellschaft fühlen sich von Robert Spano verraten.

“Nur eine Stunde”, flehte Basak Demirtas, die Ehefrau des inhaftierten Kurdenpolitikers Selahattin Demirtas, den Präsidenten des Europäischen Menschengerichtshofes an, doch der hatte keine Zeit für sie: Richter Robert Spano war eine Autostunde von Demirtas‘ Wohnort im Südosten der Türkei mit Vertretern der Regierungspartei AKP unterwegs und ging nicht auf ihre Einladung ein.

Hunderte Oppositionspolitiker und Journalisten sitzen in der Türkei in Haft, doch beim Besuch des Menschenrechtsrichters aus Europa spielte das keine Rolle. Spano traf sich mit Regierungspolitikern, mied Oppositionsvertreter und nahm die Ehrendoktorwürde einer Universität an, die prominente Kritiker von Präsident Recep Tayyip Erdogan vor die Tür gesetzt hat. Die Zivilgesellschaft in der Türkei fühlt sich verraten.

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Als Präsident des Straßburger Menschenrechtsgerichtes führt der 48-jährige Isländer Spano eine Institution, bei der die Türkei häufiger als die meisten anderen Mitglieder des Europarates wegen schwerer Vergehen angeklagt und verurteilt wird. Allein im vergangenen Jahr befasste sich Spanos Gericht mit 9250 Verfahren gegen die Türkei; nur Russland stand in Straßburg noch öfter am Pranger.

Theoretisch ist die Türkei an Urteile aus Straßburg gebunden, doch die regierungsnahe Justiz ignoriert die Entscheidungen der Europarichter regelmäßig, wenn es um Erdogan-Kritiker geht. Auch während Spanos Aufenthalt in der Türkei forderte das Straßburger Gericht wieder die sofortige Freilassung des Kunstmäzens Osman Kavala, der seit fast drei Jahren in Haft sitzt. Wie immer ignorierte Ankara den Appell.

Spano trifft Erdogan und dessen Statthalter – keine Regierungskritiker

Spano schwieg dazu und blieb auch sonst bei seinem merkwürdig einseitigen Besuchsprogramm. Er reiste mit Saadet Yüksel, der 36-jährigen türkischen Richterin am Menschenrechtsgerichtshof, ins südostanatolische Mardin, den Wahlkreis von Yüksels Bruder Cüneyt, der für die AKP im Parlament sitzt.

In der Stadt ließ sich der oberste europäische Menschenrechtsrichter mit dem Statthalter fotografieren, den Ankara an Stelle des gewählten Bürgermeisters eingesetzt hat. Mit dem gewählten Bürgermeister oder anderen Vertretern der pro-kurdischen Partei HDP, die in Mardin und vielen anderen südostanatolischen Städten die stärkste politische Kraft ist, traf sich Spano nicht.

Gerne würde sie Spano über die Lage der HDP und ihres inhaftierten Ehemannes informieren, schrieb Basak Demirtas an Spano gerichtet auf Twitter. Auch Selahattin Demirtas sitzt seit Jahren - und nach Ansicht von Spanos Gericht widerrechtlich - in Haft.

Doch der Europarichter kam weder mit Basak Demirtas noch mit Vertretern türkischer Oppositionsparteien zusammen. Dafür traf er sich mit Erdogan und Justizminister Abdulhamit Gül und nahm die Ehrendoktorwürde der Universität Istanbul an, der Alma Mater von Richterin Yüksel. Journalisten von Oppositionsmedien berichteten, sie seien bei der Feierstunde nicht zugelassen gewesen.

Kritik an der türkischen Regierung, die Richter und Staatsanwälte über ein Aufsichtsgremium kontrolliert, übte Spano nur indirekt oder hinter verschlossenen Türen. In seinen Reden unterstrich er, wie wichtig eine unabhängige Justiz und die Freiheit von Forschung und Lehre seien.

Zum Ehrendoktortitel sagte er, dass ihn die Tradition dazu verpflichte, eine Ehrendoktorwürde aus einem Mitgliedsland des Europarats anzunehmen. Nach Angaben des Menschenrechtsgerichts forderte Spano in seinem Treffen mit Erdogan, die Türkei solle die Unabhängigkeit der Justiz und das Recht auf freie Meinungsäußerung beachten.

Vertreter der türkischen Zivilgesellschaft beklagten Spanos Leisetreterei. Der regierungskritische Wirtschaftswissenschaftler und Journalist Mehmet Altan, der selbst nach einer Entscheidung von Spanos Gericht aus türkischer Haft entlassen worden war, kritisierte den Europarichter. Spano habe die Ehrendoktorwürde einer Universität angenommen, die ihn selbst und viele andere Akademiker als mutmaßliche Erdogan-Kritiker entlassen habe, schrieb Altan in einem offenen Brief.

Der türkische Menschenrechtsverein erklärte, Spano vermittele den Eindruck, dass er Erdogans Regierung unterstütze und deren Handlungen gutheiße. Spano reiste ab, ohne sich mit Altan oder den Menschenrechtlern getroffen zu haben. 

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