Rollenwechsel beim Nato-Gipfel: Wenn Trump plötzlich nicht mehr der Störenfried ist
Macron gerät unter Druck, Trump gibt sich versöhnlich, Erdogan macht den Party Crasher: Der erste Tag des Nato-Treffens in London verläuft ungewöhnlich.
Die Rollen haben gewechselt. Bei den Nato-Gipfeln der vergangenen Jahre trat US-Präsident Donald Trump als „Bully“ auf. Er schimpfte über die niedrigen Verteidigungsausgaben der meisten Europäer, voran der Deutschen. Beim Jubiläumsgipfel in London findet sich Frankreichs Präsident Emmanuel Macron in der Rolle des Störenfrieds wieder. Alle kritisieren seine Diagnose, die Nato sei „hirntot“.
Trump: Macron war sehr beleidigend und bösartig
Gleich am Dienstagmorgen nimmt Trump den Franzosen aufs Korn, in der gemeinsamen Pressekonferenz mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Macrons Aussage sei "sehr beleidigend" und "sehr, sehr bösartig" gegenüber den anderen 28 Mitgliedstaaten der Nato, beschwert sich Trump. Und fügt hinzu: "Niemand braucht die Nato mehr als Frankreich."
Nun ja, es gibt einige Staaten, die dringender auf die Nato angewiesen sind. Die Balten wegen des mitunter aggressiven Vorgehens Russlands. Oder die Türkei angesichts der Kriege und Bürgerkriege in der Nachbarschaft: Syrien, Irak, Jemen.
Doch bei Trumps Aussagen kommt es ja selten darauf an, ob sie sachlich ins Schwarze treffen. Wichtiger sind die emotionalen Signale, wen er gerade auf dem Kieker hat und wen er umschmeichelt. Sein Zorn gilt derzeit Macron, freilich weniger wegen dessen Kommentare zur Nato. Die haben französische Diplomaten längst zurückzuholen versucht.
Weit mehr ärgert sich Trump über die neue französische Internetsteuer, die US-Konzerne wie Amazon, Google und Facebook trifft. Er droht mit Strafzöllen auf französische Luxusgüter: Mode, Accessoires, Kosmetik, Champagner, Käse.
Die Tonlage ist wichtiger als die Fakten
Trump liegt auch mit seinen Angaben über die aktuellen Verteidigungsbudgets ein bisschen daneben. Die USA zahlten 4,0 bis 4,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung, während Deutschland nur 1,0 bis 1,2 bei einem deutlich niedrigeren BIP ausgeben würde, sagte Trump. „Das ist nicht fair.“
Nach Nato-Angaben ist die richtige Zahl für die USA 3,4 Prozent vom BIP und für Deutschland über 1,3 Prozent vom BIP. Aber auch hier ist die Tonlage interessanter als der Faktencheck. Trump überzieht die Bundesregierung nicht mit einer Strafpredigt. Er klingt schon fast versöhnlich. „Ich werde nach Deutschland kommen, ich liebe Deutschland, ich liebe die Menschen in Deutschland.“
Noch netter redet Trump über die Nato, die er 2017 noch für „obsolet“ hielt. „Die Nato dient großartigen Zielen.“ Er sei ein größerer Fan der Allianz geworden, weil diese anpassungsfähig sei, sagt der US-Präsident. Er hält sich zugute, dass sein Druck der Auslöser war, dass viele europäische Staaten ihre Verteidigungsausgaben spürbar erhöht haben. "Wenn die Nato nicht flexibel gewesen wäre, wäre ich wahrscheinlich nicht so glücklich."
Stoltenberg, der Generalsekretär des Bündnisses, hat Trump zugeredet, mehr über den Erfolg der Budgetsteigerungen zu reden und weniger über die Unzufriedenheit, dass viele Partner noch weit vom Ziel entfernt sind, zwei Prozent vom BIP für Verteidigung auszugeben. Doch so ganz kann der US-Präsident vom Drängen und Drohen nicht lassen. „Die Zwei ist eine sehr niedrige Zahl, es sollten eigentlich vier (Prozent) sein“, sagt er.
Erdogan droht mit Veto, Merkel findet Treffen „immer gut“
Und dann ist da noch der türkische Präsident Erdogan, der sich geradezu gefällt in der Rolle des „Party Crashers“. Bevor sich die Staats- und Regierungschefs aller 29 Nato-Staaten bei Queen Elizabeth II. im Buckingham Palace trafen, stand am Nachmittag ein Vierer-Treffen zur Lage in Syrien mit Macron, Bundeskanzlerin Angela Merkel, dem britischen Premierminister Boris Johnson und Erdogan auf dem Programm.
Erdogan drohte, er werde gegen das geplante Hilfsprogramm für die Baltischen Staaten ein Veto einlegen, wenn die Allianz seine Definition, wer in Syrien als Partner in Frage komme und wer als Terrorist zu betrachten sei, nicht übernehme. Die Türkei bezeichnet die kurdische Miliz YPG, mit der sich die USA in Syrien verbündet hatten, als Terrorgruppe.
Merkel zeigte sich nach dem Treffen zuversichtlich, dass die Spannungen mit der Türkei innerhalb der Nato überwunden werden können. Die Unterredung habe gezeigt, „dass Begegnungen doch immer gut sind“ und Konflikte angesprochen werden müssten, sagte die Kanzlerin anschließend. Es könne „aber nur der Anfang eines längeren Diskussionsprozesses sein“. In dem Viererformat sollten zunächst auf Arbeitsebene weitere Beratungen stattfinden, ehe im Februar ein neues Treffen der Staats- und Regierungschefs geplant sei.
Alle Teilnehmer seien sich einig gewesen, dass der Kampf gegen den IS „fortgesetzt und beendet werden muss“, sagte Merkel. Zudem unterstützten alle Seiten die UN-Bemühungen für einen politischen Prozess in Syrien. Zum türkischen Wunsch, syrische Flüchtlinge in der nun in Nordsyrien besetzten Zone anzusiedeln, sah Merkel weiteren Gesprächsbedarf. Klar sei, dass dies nur unter Beteiligung des UN-Flüchtlingswerks UNHCR erfolgen könne. Ihre Kritik am türkischen Einmarsch erneuerte Merkel allerdings nicht.
Selbst wenn Trump sich zurückhält, bleiben gezielte Provokationen bei der Feier des 70-jährigen Bestehens der Allianz nicht aus. Die Besetzung der einzelnen Rollen wechselt, gestrichen werden sie nicht. (mit AFP, dpa)