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Eine Apotheke in Kassel wirbt im Schaufenster für Atemschutzmasken zu einem Preis von 9,95 Euro das Stück.
© Uwe Zucchi/dpa

Telefonhysterie in der Coronavirus-Krise: Wenn Notfall-Nummern wie der Pizza-Service genutzt werden

Die Nummern 110, 112, 116117 sind dauerbesetzt, weil Bürger sich um das Coronavirus sorgen. Ein Kommentar über eine besondere Form des unsozialen Verhaltens.

Ein Kommentar von Gerd Appenzeller

Dafür, dass diese Gesellschaft zur Vereinzelung neigt, der Egoismus die Menschlichkeit permanent überrollt und die Dagobert Ducks, die Raffzähne, die Szene bestimmen, gibt es schöne Beispiele.

Der eine Dagobert, der blonde, hat ja gerade mit dem - zum Glück gescheiterten – Versuch der Kaperung eines Anti-Corona-Serums ein schlimmes Beispiel für den Verlust des Anstands gegeben. Aber die Krise um eine Pandemie, die wirklich wie in einer Nacht über die Menschheit kam, zeigt eben beide Seiten unseres Wesens.

Sie schockiert uns mit Blicken in Abgründe und beschämt uns mit Beweisen der Uneigennützigkeit. Und so ist der Kampf gegen das Coronavirus ein Lehrstück. Vielleicht gehen wir am Ende nicht nur physisch geheilt, sondern auch seelisch gestärkt aus diesem Schockerlebnis hervor.

Ärzte und Beamte des staatlichen Gesundheitsdienstes, aber auch Krankenkassen berichten über zwei völlig verschiedene Verhaltensweisen in der Bevölkerung bei der Beschaffung von Informationen über den Krankheitserreger.

Die eine Gruppe versucht, sich möglichst rational über die angebotenen Servicetelefonnummern oder auf Online-Portalen klug zu machen. Die andere ruft permanent eigentlich nur für absolute Notfälle reservierte Telefonnummern an, und blockiert sie für die Meldung wirklicher Gefahren für Leib und Leben.

So sind die Telefonnummern 110, 112, 116117 dauernd besetzt, weil besorgte Bürger wissen wollen, ob bestimmte Veränderungen ihres Gesundheitszustandes ein Indiz für Corona sein könnten. Wer aber tatsächlich akut Hilfe braucht, etwa wegen eines Überfalls, eines Brandes oder aus Angst, gerade einen Herzinfarkt erlitten zu habe, hört nur das Besetztzeichen.

Corona-Krise: Hysterisch am Telefon

Über ein extremes Beispiel für Telefonhysterie informierte die kassenärztliche Vereinigung in Berlin am Montag die Mediziner der Stadt: Am Wochenende waren auf der Warteschleife des KV-Telefons 4000 Anrufe aufgelaufen, viele von ihnen kamen über die Wahlwiederholungstaste, Tatsächlich Rat gesucht haben deutlich weniger.

Was sind das für Menschen, die die Notfalltelefone blockieren? Ältere Mitbürgerinnen und Mitbürger, die mit dem Internet nicht klar kommen, Onlineangeboten ratlos gegenüber stehen? Oh nein, erklärt ein Insider.

Die älteren Berlinerinnen und Berliner seien abgeklärt, und ziemlich frei von Panik. Durch die Erfahrungen des Mauerbaus und der Blockade könnten sie wohl kaum gestählt seien, vermutet er, so viele lebten aus diesen Generationen nicht mehr.

Hintergrund über das Coronavirus:

Es sei wohl eine Einstellungsfrage. Jene, die immer wieder anrufen und Auskunft weniger erbitten als verlangen, gehörten in vielen Fällen zur Generation um die 30, die eine Telefon-Hotline so ähnlich nutze wie einen Pizza-Service. Wenn das Essen nicht flott geliefert wird, dann nörgelt man eben.

Auch das aber ist nur ein Ausschnitt aus dem Gesamtgeschehen, aus der Summe der Reaktionen auf die Ungewissheit, was diese Epidemie mit uns noch machen wird. Weit beeindruckender sind die vielen Initiativen, die sich spontan, oft aus politischen oder konfessionellen Jugendorganisationen heraus, gebildet haben.

Einkäufe für ältere Menschen, die besonders Covid-19 gefährdet sind

Sie organisieren Einkäufe für ältere oder kranke Menschen; junge Frauen und Männer gehen durch die Straßen und schauen, ob sie an den Fenstern von Wohnungen Zeichen wie etwa ein Winken oder einen handgeschriebenen Zettel sehen, der auf einen Notfall hinweist.

Das ist genau jene Solidarität, die uns auch dazu bringen sollte, ältere oder alleinstehende Bekannte anzurufen, von denen man lange nichts gehört hat, und einfach zu fragen: Brauchst Du was? Besuchen soll man sich ja zur Zeit nicht. Aber ein Zeichen der Anteilnahme am Telefon kann Wunder wirken.

Wunder – das ist ein schönes Stichwort. Wir werden diese Krise überstehen, wie wir auch viele andere, gravierendere überstanden haben. Vielleicht werden wir hinterher um Menschen trauern müssen, die wir an die Seuche verloren haben. Aber wir werden uns anschauen können und sagen: Schön, dass du da bist.

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