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Einmal volltanken - bisher noch kein Luxus. Was würde es bedeuten, wenn sich das ändert?
© Sven Hoppe/dpa

Wer zahlt für Klimaschutz und Nachhaltigkeit?: Wenn die gerechtere Welt in die Ungerechtigkeit führt

Wenn Energie und Konsum teurer werden, wird sich das Armsein hierzulande ärmer anfühlen. Das ist ein Risiko. Es braucht kluge Ausgleichskonzepte. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Ariane Bemmer

Ob Klima oder Soziales, ob Heizung, Benzin, Lieferketten oder Pflege: Es werden gerade alte Rechnungen modifiziert und neue aufgemacht. Wenn auch Konsens bestehen dürfte, dass die zu bezahlen sind, kocht doch die Frage, von wem, gerade erst hoch. Und an der hängen Grundüberlegungen zu Solidarität und Gerechtigkeit.

Besonders konkret machen das die 16 Cent, die Grünen-Spitzenkandidatin Annalena Baerbock als Klima-Aufschlag pro Liter Sprit in den Debattenraum geworfen hat. Die prompte Kritik daran überging die mitgelieferte Kompensationsidee und urteilte relativ einmütig: total unfair, die armen Armen!

[Mehr über den Streit über die Kosten für Klimaschutz lesen Abonnenten von T+ hier: Was der CO2-Preis die Bürger kosten kann]

Gesellschaftliche Veränderung, die über das Portemonnaie erreicht werden soll, ist immer heikel. Zum einen individuell betrachtet, wenn Menschen plötzlich feststellen müssen, dass eben noch Gewohntes zu teuer für sie wird. Aber auch gesellschaftlich betrachtet: Denn wenn zusätzliche finanzielle Änderungen gleich reihenweise kommen, dann höhlt das auch eine Verabredung aus, die spätestens mit dem Beginn der Globalisierung aufkam. Die Verabredung nämlich, dass sich das (ohnehin nur sehr ungern so genannte) Armsein nicht arm anfühlen muss.

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Man konnte und kann in Deutschland derzeit noch mit wenig Geld einen sehr konsumorientierten Lebensstil pflegen: shoppen, weil neue Sachen Spaß machen, und es ja auch egal ist, ob man Prada- oder Pimkie-Taschen nach Hause schleppt, in den Ferien Fernreisen machen, Hauptsache, Sommer, Sonne, Palmen, Sandstrand, oder eben auch Auto fahren, weil das einfach so vieles einfacher macht.

Es braucht kluge Ausgleichskonzepte

Das ging und geht, weil viel von diesem einstmaligen Luxus-Lifestyle zu Preisen verfügbar ist, die wenig mit den zu Ende gedachten Gesamtkosten zu tun haben. Sie ermöglichten breite Teilhabe am Konsum, das wirkte psychologisch stabilisierend und beförderte so auch die Akzeptanz für den Niedriglohnsektor, der sich ohne nennenswerte Gegenwehr ausbreiten konnte.

Dass für die hiesige Billigkeit anderswo auf dem Globus andere Menschen durchaus einen Preis zu zahlen hätten, wurde zwar immer mal betreten zur Kenntnis genommen, blieb aber meistens konsequenzlos – zu wichtig schien im Vergleich die heilsame Wirkung als innerdeutsches Ungleichheitssedativum zu sein. Womöglich hing an der globalen Ungerechtigkeit ein nicht allzu kleines Stück vom sozialen Frieden in Deutschland.

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Geht es den billigen Versionen nun aus Nachhaltigkeitsgründen an den Kragen – das Lieferkettengesetz könnte Fast Fashion verteuern, zugleich steigen wegen des auf Klimaschutz zielenden CO2-Preises Flug-, Benzin- und Heizungskosten –, könnte das ganze Konstrukt ins Wackeln geraten. Oder wer glaubt an ein weiterhin konfliktfreies Miteinander, wenn demnächst nur noch die einen verreisen, shoppen, Auto fahren oder gar auch heizen können, wie es ihnen gefällt, und den anderen dafür das Geld fehlt?

Da sich die Einsicht in die Notwendigkeit von nachhaltigen, klimaschonenden Veränderungen kaum wird umkehren lassen, hängt der künftige soziale Friede nun an intelligenten Ausgleichsmechanismen. Die Grünen stellen sich ein Energiegeld vor, das den sozial Schwachen zugutekäme. Weitere Vorschläge sind willkommen und nötig – wie auch eine Debatte, die ohne ideologischen Schaum vorm Mund auskommt. Denn es steht viel auf dem Spiel.

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